Das Wort zum Pfingstmontag – Kommentar

Opferkerzen in St. Andreas, Oberlauchringen (Foto: Martin Dühning)
Opferkerzen in St. Andreas, Oberlauchringen (Foto: Martin Dühning)

Pfingsten, das ist das zweitwichtigste Fest der Christenheit. Das erstwichtigste ist Ostern. Weihnachten kommt erst an dritter Stelle, wenn überhaupt. In unserer konsumverwöhnten Gesellschaft werden die Prioritäten freilich etwas anders gesetzt. Manch einer weiß nicht einmal, wofür Pfingsten da ist, aber vielleicht ist das ja auch besser so…

Wozu Pfingsten?

Weihnachten ist, wie jeder weiß, das Fest des Weihnachtsmannes, der mit seinen Jul-Elflein am Nordpol haust, von wo aus er jedes Jahr um den 25. Dezember die menschlichen Kinder (und die Erwachsenen) mit allerlei unverzichtbaren Geschenklein versorgt, vertreten durch seine fleißigen Helfer überall in den Festtempeln der Neuzeit. Freilich, da gibt es auch noch die Geschichte mit diesem Jesus aus Bethlehem, aber der politischen Korrektheit halber lassen wir das lieber mal weg…

Auch Ostern, das leuchtet jedem ein, hat etwas mit Ostereiern und Osterhasen zu tun und mit Frühling, Frühjahrsmode und verkaufsoffenen Frühlingssonntagen. Metaphorisch gesprochen: Nach dem misslungenen Winterschlussverkauf (ja, dieser dumme Klimawandel…) ersteht der Handel neu, erblüht förmlich aus dem Tode in neuen, lebendigen Frühlingskonfektionen und Verkaufshoffnungen, immer häufiger und gerade auch an Sonntagen, die ja Feiertage sein sollen für alle Menschen, also auch die an den Kassen beschäftigten. Und gefüllte Kassen sind gut für die Wirtschaft, damit alles in Deutschland wieder grünen und blühen kann, insbesondere die Konjunktur.

Und Pfingsten? Dieses Fest entzieht sich bislang dem westlich-aufgeklärten Verstand. Wozu soll es noch gut sein? Wo doch der letzte Rest Schnee für den Skiurlaub schon an Ostern unauffindbar geworden ist in unseren klimaerwärmten Alpen? Wozu Pfingsten, wo zwei Wochen für den sonnigen Urlaub im Süden eh nicht ausreichen? Und was sollte man dann auch während der Sommerferien anfangen? Welchem Kunden kann man nach dem ersten Frühlingsfest noch ein zweites zumuten? Mit welchen Spezereien soll man die Kindermünder beglücken? Ja: Was soll man zum Feiern anbieten, wo es doch eh nichts Rechtes zum Feiern gibt?

Die christliche Lehre macht es einem wahrlich auch nicht leicht: „Der Heilige Geist“! Ja was soll das denn wieder sein? Geister? So etwas gibt es doch gar nicht! Und selbst wenn: Für Gespenstereien haben wir doch schon Halloween! Das kann man nicht nochmal unter dem Jahr bringen, mitten im Vorsommer! Auch die gebratene Taube hat sich als Verkaufschlager hierzulande noch nicht durchgesetzt. Es ist schon ein Kreuz mit diesem Fest, mit dem selbst mancher Christ so seine Probleme hat; noch viel mehr der sich aufgeklärt gebende Mitteleuropäer, dem Geisterscheinungen aller Art inzwischen zurecht suspekt geworden sind.

Fest des Verstandes

Und doch, gerade für die heutige Vernunftgesellschaft ist Pfingsten eigentlich das Fest des Jahres. Denn Pfingsten ist das Fest des Verstandes, so wie Ostern eigentlich das Fest des Sinns ist und nicht das Fest der Schokoosterhasen. Denn nicht dass es Osterhasen gibt und Eier bunt sind steht nämlich im Mittelpunkt der christlichen Botschaft und auch nicht, dass Gott statt Häslein zur Not auch den eigenen Sohn – quasi hokuspokus – aus einem großen Zauberhut wieder hervorzaubern kann, sondern dass ein jedes Leben, selbst wenn es so verloren scheint wie ein Toter am Kreuz, nicht kläglich scheitern muss, sondern Sinn behält und zwar so viel Sinn, dass selbst der Tod letztlich keine Schranken mehr setzen kann.

Das ist freilich harter Tobak, heute, aber auch schon damals vor 1974 Jahren, und daher bedarf es einiger Mühe, trotz all dem Leid in der Welt noch ein Quentchen Sinn zu finden und nicht zu verzweifeln. Und selbst wenn ein einzelner kluger Kopf, in geistig-philosophische Höhen abdriftend, doch noch irgendwo irgendein bisschen Sinn erkennen könnte, ja selbst wenn der Sinn leibhaftig vor einem stehen würde, was würde es nützen? Und wird die große Welt dadurch denn besser? Was ist mit all den anderen Menschen und ihren Problemen?

Nein, da braucht es schon mehr als nur verborgenen Sinn – und genau deshalb ist Pfingsten nötig. Pfingsten ist das Fest der Begeisterung: Christen feiern hier den Durchbruch der „Ostererfahrung“ – zugleich die Geburt der christlichen Gemeinschaft. Pfingsten meint nämlich, dass nicht nur jedes Leben sinnvoll ist, sondern dass dieser Sinn auch für alle Menschen spürbar wird, dann und genau dann, wenn nicht nur einzelne, sondern viele zusammen miteinander Sinn in ihrem Leben erfahren. Um zu erfahren, um zu verstehen, braucht es Vernunft. Ohne geht es nicht.

Fest der Begeisterung

Vernunft im Sinne von Nachgegrübelthaben reicht aber nicht. Es braucht Verstand und Herz! Es braucht genug Mut und Optimismus im Leben, um die endlosen Probleme des Alltags immer wieder neu anzupacken! Das ist etwas, was nur gemeinsam gelingen kann. Und weil es mit Gemeinschaft immer so eine Sache ist, klappt es auch nicht immer. Dazu braucht es einen „Heiligen Geist“, der alle erfüllen muss, damit das Zusammenleben gelingt.

Solche gelingende Gemeinschaft wird an Pfingsten geehrt. (Übrigens gibt es so etwas nicht nur im Christentum.) Pfingstgemeinschaft meint gerade nicht irgendeinen fanatisch-geistlosen Mob, sondern eine optimistisch-verständige Gesellschaft, die konstruktiv-kritisch denken und handeln will. Denn nur gemeinsam, optimistisch und verständig lassen sich Probleme wirklich lösen. Und gerade darum ist Pfingsten eigentlich auch ein sehr demokratieförderliches Fest.

Denn so eine positive Begeisterung kann auch den westlichen Demokratien nicht schaden, sie ist sogar dringend nötig; ohne klappt Demokratie nämlich nicht. Zu viele Menschen verharren in Karfreitagstimmung – passive Zuschauer, die ewig jammern: „Es wird eh alles immer schlimmer, wir können eh nichts ändern…“, nur fordern, abwarten und im Zweifelsfall weggucken. Lebendige Demokratie braucht stattdessen Menschen, die positiv in die Zukunft blicken und die sich gleichzeitig in der Gegenwart füreinander einsetzen. Wenn das gelingt – dann lassen sich auch globale Probleme lösen. Sonst aber nicht.

Auch Demokratie braucht Begeisterung

Darum finde ich, ist Pfingsten eines der wichtigsten Feste, welche das Christentum der heutigen Gesellschaft vermacht hat. Dass kein so großer Rummel darum gemacht wird wie um die Konsumfeten Weihnachten, Halloween und Ostern liegt an seiner Natur: Denn Menschen lassen sich zwar prima zu einer festlichen Konsumgesellschaft zusammenschweißen, aber nur unter Aufgabe des kritischen Menschenverstandes und selbständiger Eigeninitiative. Und diese beiden Dinge gehören zu Pfingsten genauso fundamental dazu wie zu jeder Demokratie, die diesen Namen verdient hat. Weshalb ich es sehr gut finde, dass Pfingsten keine so große Geschäftigkeit übergestülpt wurde wie den anderen Festen.

Feiern sollte man das Pfingstfest aber allemal. Vielleicht findet unsere säkulare Gesellschaft eine Möglichkeit, ihr christliches Erbe würdig umzusetzen – auch zum Wohl unseres Grundgesetzes, dass vor 59 Jahren, am 23. Mai 1949 – zur typischen Pfingstzeit – das Licht der Welt erblickt hat und mit ihm die Bundesrepublik – in einem neuerstandenen freiheitlich-demokratischen Geist, der gerade auch heute am Leben erhalten werden will.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.