Wir haben uns nichts mehr zu sagen…

Als ich mich neulich mit einem in medientechnischen Angelegenheiten benachbarten Kollegen traf – und ich erlaube mir mal, dies hier offen zuzugeben; wir Lehrer reden nämlich auch miteinander und tauschen uns untereinander aus – da kamen wir auf das Thema Gästebücher zu sprechen.

Die gab es früher ja zuhauf, doch sind sie seltener geworden. Die KGT-Webseite hat auch eines, es gehörte immer schon dazu, wenngleich es zeitweilig umstritten war und manchmal verteidigt werden musste von den Webmastern. Wie auch immer: Es existiert noch. Noch existiert es, weil es doch auffällig ist, wie sehr es abgebaut hat. Also eigentlich hat ja nicht das Gästebuch abgebaut, das steht da wie eh und je, aber die Beiträge haben abgebaut – und zwar sowohl, was die Anzahl, als auch, was deren Niveau angeht.

Kritiker werden einwenden, das Schwinden der ehemaligen KGT-Gästebuchkultur liege womöglich daran, dass das Gästebuch (wie die meisten anderen inzwischen) moderiert ist. Moderieren kommt aber nicht von vermodern. Außer automatisiertem Spam ist dort auch nicht viel da zum Moderieren. Das Phoenix-Gästebuch, das nicht im Moderationsmodus ist und stattdessen auf Captcha als Spam-Schutz hofft, hat noch weniger Einträge. Auch da gab es in früheren Zeiten schon mal viel, viel mehr.

Ich denke eher, es liegt wohl daran, dass wir uns nicht mehr wirklich etwas zu sagen wissen. Immerhin gibt es für Schüler heute andere Orte, wo die Kommunikation abläuft, allerdings nur unter denen, die in den jeweiligen Foren eingetragen sind. Das sperrt dann nicht nur Lehrer, sondern auch viele Ehemalige und Eltern aus, was ein Verlust ist. Nun ist ein Gästebuch ohnehin kein Forum, aber die Funkstille ist doch ein Symptom dafür, dass es wohl nicht mehr viel zu sagen gibt und an Kommunikation auch nicht unbedingt Interesse besteht.

Als Deutschlehrer sieht man das Internet ohnehin immer etwas kritischer. Grammatik, Rechtschreibung und Stil im Internet, na ja… Doch auch mit Nicht-Germanistenaugen überlesen ist da nicht mehr viel Substanz.

Ab und zu mahnt ein Ehemaliger vergangene Zeiten an, als es anders war. Dann scheint wieder etwas die Sonne im Gästebuch, aber das war es dann. Glücklicherweise sind Herr Hutterer und ich alt genug, um in den guten alten Zeiten schwelgen zu können und das tun wir dann auch häufiger. Aber die sind ja nun leider vorbei und ihre Relikte verschwunden, denn so schnell das Internet sein kann, so flüchtig ist es auch, allem Schaffen und Bewahrenwollen zum Trotz. Statt der früheren Gästebuchbeiträge gibt es nur noch ganz kleine Bröcklein und auch die sind selten geworden.

Vielleicht geht es einfach zu leicht, ein paar Wörter am PC einzutippen, sodass wir das Denken schon verlernt haben und einfach unüberlegt Sprachfetzen aneinanderreihen, sofern wir nicht dazu schon zu faul geworden sind. Nachdenken ist ja schwierig, Gefühle und Vorurteile alles, was geblieben sind, wohin man auch sieht. So ist denn auch Betroffenheit das Einzige, was die Mehrzahl noch zum Beiträgeschreiben veranlassen kann. Junge geben Gefühlsausbrüche noch von sich, ältere Schüler schweigen aus Verstand (so sie ihn haben). Wohlüberlegte, niveauvolle Kommentare dagegen sind höchst selten geworden, nicht nur in den Gästebüchern, sondern auch in vielen Foren.

Es fehlt ja auch der persönliche Bezug, selbst nachdenken zu müssen. Denn inzwischen ist es völlig aus der Mode gekommen, als Persönlichkeit zu schreiben und für seine Meinung auch gerade zu stehen. Lieber wird heckenschützenmäßig aus dem Off gepostet, meist grobschlächtig vorurteilt und die Urteile fallen oft roh und vernichtend aus. Da sich inzwischen herumgesprochen hat, dass es wirklich anonym im Internet schon lange nicht mehr geht, verzichtet man in der Öffentlichkeit lieber ganz darauf. Öffentliche Gästebücher sind deshalb out, reinzuschreiben auch – denn dazu müsste man sich selbst ja outen.

Man merkt’s ja auch immer wieder in der Schule, wenn Dinge aneinander vorbeilaufen oder man vieles gar nicht mitbekommt, von schwammigen Gerüchten mal abgesehen oder Streit, wenn er sich deswegen ergibt, weil man aneinander doch nicht immer vorbeikommt. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass bei Schulveranstaltungen schon mal mehr los war. Wenn man so die „guten alten Zeiten“ vergleicht, also die Zeit nach dem E-Bau-Neubau bis etwa 2004 mit heute, geht es uns ausstattungsmäßig wirklich nicht schlechter, doch das Gemeinschaftsgefühl hat nachgelassen. Das können dann auch ein bis zwei Feste oder Großveranstaltungen nicht mehr wettmachen. Da bräuchte es vielleicht im Schulalltag mehr Kommunikation.

Einfach mal miteinander reden, das wäre es vielleicht, aber über was? Und wann? Vielleicht braucht es einfach kleine Orte, wo man miteinander ins Gespräch kommen kann. Die Sitzecke im E-Bau ist ja schon mal ein Anfang, nur dass sie halt wieder bloß für die Schüler ist. Persönlich träume ich von einer kleinen Cafeteria, doch wer weiß, ob sie jemals kommt. Jedenfalls wäre aber ein Ort schön, wo man gemeinsam ins Gespräch kommen kann – und das könnte selbst ein einfacher Gang sein, wenn er entsprechend eingerichtet ist.

Was das Gästebuch angeht: Auch wenn es antiquiert wirkt, hätte ich wieder gerne eines mit vielen Einträgen, aber ein echtes, kein virtuelles: ein in Ehre gehaltener Band, gebunden mit Papier und Leinen, in das man sich bewusst eintragen kann, gerade auch für die realen Gäste am Klettgau-Gymnasium. Ergebnis wäre ein dauerhaftes Buch mit bewussten Einträgen, dass man dann auch stolz vorzeigen könnte. Denn es kommen ja eigentlich genug nicht-virtuelle Gäste an das KGT, die in der Regel auch was zu schreiben wüssten.

Über Martin Dühning 1527 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.