Norden, nördlicher

Ein Reisebericht – Teil 1: Montag, 11.08.08

Alle 26 Jahre macht auch mal Martin Dühning Urlaub. Zumindest versucht er es. Nach dem letzten echten Urlaub im Jahre 1982 in Norditalien war es nun mal wieder Zeit. Einfallslos, wie ich nun mal bin, verfiel ich auf das Reiseziel meines vorletzten Urlaubs, Ostfriesland, auch, weil ich das Meer mal wieder sehen wollte und der Sommer hier bislang schon heiß genug gewesen war, weshalb ich nicht auch noch in den Süden wollte. Deshalb sollte es nun nach NORDEN gehen.

Von Lauchringen nach Köln

5:30 Uhr – Aufstehen zur Unzeit, verschlafenes Frühstück, ohne Kaffee leider, letzte Vorbereitungen, eine Woche ohne Computerarbeiten (Juchu!!!) – schon am Tag zuvor wurde der Computer demontiert für die anstehende Schreibtischreparatur in Abwesenheit.

6:15 Uhr – Abfahrt von zuhause an den Bahnhof Lauchringen, dort geht golden die Sonne auf, gegen Westen, wohin die Reise gehen wird, erstrahlen zwei frühmorgendliche Regenbogen. Ein gutes Zeichen, hoffentlich.

6:31 Uhr – von Lauchringen aus geht die Fahrt mit dem Interregionalexpress nach Basel, verläuft reibungslos, Ankunft dort 7:15 Uhr, pünktlich, nach Jahren funktioniert die Neigetechnik wohl endlich standardmäßig.

7:21 Uhr – Mit dem ICE geht es nach Köln, zum Glück auf vorreservierten Plätzen, denn schon ab Freiburg im Breisgau wird es immer voller im Zug. Die Atmosphäre ist recht lärmig, auf dem Gang des Großraumwagens geht es zu wie in der Abfertigungshalle eines Großflughafens:  Menschen mit Koffern drängen vorbei, irgendwelche (Möchtegern-)Manager und Geschäftsleute führen selbstgewichtige Handygespräche, hinter uns schnabulieren zwei Dämchen aus wohl gutsituierten Häusern pausenlos über das luxuriöse Leben von Studenten, irgendwelche möglichen Studentenappartments in allen möglichen Großstädten Deutschlands wie München, Köln, Berlin und anderes. Es ist verwunderlich, das manche Leute so viel und pausenlos schwatzen können, ganz ohne heiser zu werden oder nach Luft zu ringen. Draußen rast die Landschaft vorbei.

Mit leichter Verspätung sind wir um 11:08 Uhr endlich in Köln, wo wir länger Aufenthalt haben.

Köln und von Köln bis Norden

Langsam wache ich auf, doch der Schädel schwirrt mir vom frühen Aufstehen. Die Bahnhofshalle Köln ist akkustisch wie optisch eine Katastrophe. Büchse wird sie genannt, und so klingt sie auch. Mehrere Lautsprecherdurchsagen verlaufen synchron in die Nachhallleere.

Völlig unverständlich, psychedelisch – Sprachnirvana. So muss man hören, bevor man ins letzte Delirium verfällt. Immerhin scheinen allein für die vielen Durchsprechereien mindestens fünf Leute abbestellt zu sein. Soviel haben Waldshut, Lauchringen und Tiengen nicht mal insgesamt zusammen. Hier dagegen scharen sich die Bahnmitarbeiter auf jedem Gleis.

Auf Bahnsteig 3, wo wir später abfahren, fährt zunächst ein Regionalexpress nach Gießen ein. Später trifft unser IC nach Norddeich Mole ein, wird aber wegen einer Baustelle vor Duisburg eine Umleitung nehmen. Wir verlieren damit eine Viertelstunde, aber egal, diesmal brauchen wir ja nicht mehr umsteigen. Außerdem holen wir bei jeder Station ein bisschen auf. Am Ende sind wir wieder in der Zeit.

Diesmal haben wir zwei Plätze in einem Wagenabteil gebucht, aber die Abteile sind sehr eng. Da alles voll ist, wird das Reisen hier sehr unbequem. Vielleicht sollte man das nächste mal doch 1. Klasse buchen, auch wenn es deutlich teurer ist. Neben einem freundlichen Ehepaar aus Baden-Baden, wie wir später erfahren, sitzen zunächst zwei handfeste Männer aus Duisburg im Zug, denen zu lauschen recht lustig ist. In Sprache und Mienenspiel erinnern sie mich an meinen Phoenix-Mitarbeiter Victor. Schon lustig, wie heimelig einem regionale Eigenheiten vorkommen können. Als die beiden in Duisburg aussteigen, ist mehr Platz im kleinen Abteil. Mein Bruder kommt ins Gespräch mit dem badenser Ehepaar. Es ergibt sich, dass beide bei einer Schwarzwald-Schweizfahrt schon mal bei einem seiner Ex-Arbeitskollegen in dessen Hähnchenlokal unvergesslich getafelt haben, vor 20 Jahren, wovon sie immer noch trefflich zu schwärmen wissen, genauso wie von der Insel Norderney, wo es so gut wie nie regnen soll, wie sie betonen. Seit vielen, vielen Jahren, zwölf werden es wohl sein, besuchen sie schon die Insel für eine alljährliche Sommerkur.

Für Lebensgeschichten und Kurzbekanntschaften sind Zugabteile besonders geeignet. Deshalb hatte ich sie auch bevorzugt gebucht. Wenn ich zu Studienzeiten früher in den Zug von Seebrugg nach Freiburg stieg, hatte ich immer wieder interessante Menschen getroffen, die auf der Reise nach Norddeich waren und vieles zu erzählen wussten. Schade, dass es die Linie Seebrugg-Norddeich nicht mehr gibt. Vom Schluchsee direkt in den Norden zu fahren, davon habe ich früher immer geträumt. Vielleicht hätte ich auch früher davon Gebrauch machen sollen, aber da mangelte es mir noch an Geld. Mit 500 DM Unterhalt im Monat ist ein solcher Urlaub eben nicht drin. Schön wäre es trotzdem gewesen.

Nun bewundere ich die jungen Leute in den Zügen, beneide sie auch zugegeben, um ihren jugendlichen Urlaub und ihre offenbar reichlich vorhandenen vermögenden Eltern. Und solche jungen Leute gibt es viele, dazu aber später mehr. Im kleinen Zugabteil, in dem wir jetzt sitzen, ist davon erst mal nichts zu bemerken. Nur ein nerviger Teenager-Trupp sträunert zwischen den Abteilen herum und ärgert die Leute und den Schaffner. Schullandheim wahrscheinlich, oder eine Jugendtruppe, wohl eher letzteres, denn fast überall sind ja noch Ferien in Deutschland, obwohl die Duisburger vorher erwähnten, dass in Nordrhein-Westfalen die Schule schon wieder beginnt, zeitgleich mit der besagten Streckensperrung der Deutschen Bahn, worüber sich die beiden trefflich amüsierten. Wer gibt schon auf Schülerzüge acht?

In Papenburg steigen zwei weniger appetitliche Damen ein. Sie wollen uns von unseren reservierten Plätzen verscheuchen, weil sie auch reserviert haben. Obwohl es eigentlich kein Problem gibt, immerhin sind von den sechs Plätzen ja noch zwei frei. Nach kurzer schroffer Auseinandersetzung ist das Abteil wieder vollbesetzt und es währt Totenstille. Selbst die Badener schweigen. Als die beiden Damen wieder aussteigen in Leer, sind alle sehr erleichtert. Die Landschaft hat sich inzwischen gewandelt, die Häuser werden rot, die Heide blüht violett, lila und blau. Große Rotoren auf langen, dünnen Stahlhälsen säumen in Rudeln den Horizont. Schön, dass die Windenergie hier so Einzug gehalten hat. Wie viel Strom man damit wohl erzeugt? Diese Frage stelle ich mir immer wieder.

Auf der Strecke nach Köln hatte ich den technischen Fortschritt aber auch schon bedauert. ICE ist zwar schnell, aber die alte Rheintalstrecke war doch schöner. So schwinden alle Schlösser und Städte und Flussschwingungen, die man in den ICE-Tunneln und Wällen der Schnellstrecke nicht mehr sehen kann. Nun was soll’s, die alten Zeiten sind wohl ein für alle mal vorbei.

Norden, am Abend

Um 15:48 Uhr erreichen wir planmäßig den Norder Hauptbahnhof. Wie vereinbart holt uns unsere Gastgeberin am Bahnhof ab mit dem großen Familienwagen. Obwohl wir die Familie in den kommenden Tagen eigentlich nie zu Gesicht bekommen, zeigen der Kindersitz aber auch viele kleine Schuhe im Hausflur, dass der Name „Familie“ im Titel wohl zurecht geführt wird.

Unser Fremdenzimmer ist sehr schön und erinnert mich an glücklichere Wohnzeiten. Die Möbel gleichen denen meiner Denzlinger Refendarswohnung, auch der Lichteinfall. Nur der Balkon und die Störche fehlen. Durch Denzlingen waren wir heute morgen übrigens auch gefahren, aber natürlich nicht durch die Wohnung. Was mein alter Vermieter heute wohl macht, sieben Jahre später?

Es ist noch nicht spät, aber die Fahrt war sehr anstrengend, der Schlafmangel macht sich bemerkbar, darum falle ich gleich ins Bett,  womit die Reisebeschreibung für heute endet.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.