Abizeitungen, die Dritte

Man fragt mich immer wieder, warum ich als Betreuer einer Schülerzeitung so definitiv uninteressiert an ABI-Zeitungen bin. Regelmäßig führt dies zu herben Enttäuschungen nahestehender (Ex-)Schüler(innen). Nun gut, die Sache ist diese.

Es gab tatsächlich eine Zeit, eine sehr kurze Zeit, da sammelte ich ABI-Zeitungen. Es war der kurze Zeitraum zwischen der Zeit nach meinem eigenen Abitur 1994 und der bis zu meinem Referendariat, also die Jahre 1995 bis 2001. Auch hier ging ich nicht kontinuierlich vor, sondern sporadisch und mein Interesse galt dem einzigen Zweck, zu dem ABI-Zeitungen eigentlich taugen, der Selbstdarstellung. Selbst nicht mehr Schüler, interessierte mich doch, was aus meinen jüngeren Mitschülern, hauptsächlich auch jüngeren Freunden geworden war. Doch mit den Freunden an meiner alten Schule schwand auch mein Interesse – und seien wir ehrlich, viel mehr als Selbstdarstellung haben ABI-Zeitungen doch nicht zu bieten.

Vor meinem Schulabgang hielt ich nicht viel von diesen Machwerken, meinen eigenen Jahrgang durchaus eingeschlossen. Viel Selbstgefälligkeit fand und findet sich darin, Selbstbeweihräucherung, was mir hier wie anderswo suspekt ist. Nicht zu vergessen die vulgäre Kaugummimasse dazwischen, die, wo sie nicht doch wieder indirekt in Selbstverherrlichung ausartet, entweder einfältig, trivial oder nur unverschämt wird. Dies war mir als Schüler so verhasst, wie es mich ein Jahrzehnt später als Lehrer seither anödet. Und doch können doch die armen ABI-Zeitungen gar nicht anders sein, ja sie sind sogar verdammt dazu, so sehr sich ihre Autoren auch abmühen mögen.

Als ich vor einiger Zeit einen älteren Artikel meiner selbst las, geschrieben Ende 1994 in einer Nicht-ABI-Zeitschrift, die nur wenigen Auserwählten bekannt wurde, war ich überrascht, wie kontinuierlich sich doch diese meine Meinung nicht verändert hat. Darum auch der Titel, denn mit diesem hier ist es schon der dritte, der sich mit dem immer gleichen Thema beschäftigt und seinen Problemen, die doch immer die gleichen bleiben, egal, wie man es dreht und wendet und von welcher Warte aus man es betrachtet, wenn man nüchtern ist.

Kurz, damals wie heute ist die Sache doch die: Außer den jeweiligen Abiturienten selbst kann doch niemand ernsthaft ein Interesse an ihrer Abschlusszeitung haben, in welcher sich ein Jahrgang am Ende seiner Existenz noch mal selbst über viele, teils mühsam gefüllte Seiten ausgiebig feiert, bevor er dann notgedrungen auseinandergeht, wobei das Ausmaß, vom Driften über das Zerbröseln bis zum waschechten Kollabieren, doch oft auch am Grad der in der jeweiligen ABI-Zeitung zum Ausdruck kommenden Selbstüberschätzung messbar ist: Je superber und bombastischer man sich hier selbst kommt, desto schneller überholt sich die Zeitung selbst, da sie ihren Verfassern, nach einer gewissen Zeit postgymnasialer Ausnüchterung, in beschleunigter Weise suspekt wird und man diese Geringschätzung dann auf die nur noch in papierner Form existierende Gemeinschaft projiziert, was die in Stufen immer existierenden Divergenzen dann zu Ekel und Abscheu multipliziert – quasi als unzeitiger Vorgriff auf die zombiefilmartigen Gefühle bei Klassentreffen in fortgesetztem Alter – was dazu führt, zu den ehemaligen Gefährten beschleunigt auf Distanz zu gehen, um sich bei seinen neuen Freunden, Kommilitonen und Arbeitskollegen nicht mit ihnen zu blamieren müssen.

Die dagegen zeitlosen, regelmäßig von Lehrerseite ergehenden Appelle an die so sehnlichst erwünschte Vernunft von Abiturienten, doch bitte in gemäßigterer Form und im Bewusstsein der eigenen Verantwortung vor der Schulnachwelt zu texten, Unflätigkeiten im Hinblick auf die lesenden nachfolgenden Generationen zu vermeiden und doch auch mal recht lieb und brav auf die Gefühle der ehemaligen Lehrer zu achten, statt diese mit flachen Gemeinheiten zu überhäufen, sind zwar politisch korrekt und wirklich gut gemeint, aber sie gehen doch knapp am Ziel vorbei. Denn sie treffen nicht das Wesentliche.

Die einzig richtige und einzig erfüllbare Bitte wäre doch: Liebe Leute, schreibt doch bitte so, dass euch eure eigene Zeitung nicht selbst schon nach wenigen Jahren so peinlich geworden sein wird, dass ihr euch für sie vor anderen schämen müsst, sondern verfasst sie doch um euretwillen dahingehend, dass sie eure schulzeitliche Gemeinschaft so abbildet, wie ihr sie gerne in Erinnerung behalten und auch bewahren wollt, sicher ein wenig euphorisch und beschönigend, aber doch nicht nur plumb selbstgefällig, durchaus mit Kritik gegenüber sich und anderen, aber nicht in maßlosen Egoismen überzogen und vor allem doch bitte mit einem gewissen Grundniveau, mit dem ihr selbst auch als 28jährige noch etwas anfangen könnt, wenn ihr dann die Zeitung wieder hervorkramt, um eventuell ein Klassentreffen vorzubereiten.

Allerdings, und man muss da ganz ehrlich sein, setzt schon das Anhören dieser Bitte auf Seiten der Schreiber sehr viel innere Reife voraus, wie sie in der heutigen Zeit bei der Masse der Noch-nicht-ganz-Abgänger genauso selten vorzufinden ist wie das früher der Fall war. Substanzielle Änderung ist hier erstmals durch G8 zu erwarten, aber nicht wirklich zum Positiven.

Und vom guten Willen einmal abgesehen – auch das jährt sich immerzu: Wie soll denn um Himmelswillen zwischen all den Abiturprüfungen, den Abschlussfeierlichkeiten und den ganzen Feten dazwischen, ohne wirkliche Redaktionsprozesse und einem Mindestmaß an kreativer Muße, mit einem Minimum an Absprachen in einer ausufernden, ihr eigenes Ende herbeisehnenden Stufe eine qualitativ hochwertige, gleichsam niveauvolle wie unterhaltsame Jahrgangszeitschrift herauskommen, wo doch die meiste Zeit schon mit Anzeigensammeln und internen Streitereien vertan wird? Dass es überhaupt seitenweise Lichtblicke gibt in all den Jahrgängen, ist dann schon erstaunlich. Dass auch diese dann für die Allgemeinheit eher uninteressant sind, weil es dann trotz allem eben doch nur Jahrgangsabschlusszeitschriftenartikel sind und keine universellen Beiträge zur Schulgemeinschaft, ist für die bemühten Macher umso ernüchternder.

Es gibt einfach Strukturen, die so aussichtslos in sich selbst verhaftet sind, dass selbst die genialsten Schreiber keinen Ausweg finden können und das ist auch der Grund, warum ich diese ABI-Zeitungen nicht mehr sammle und auch früher nicht gesammelt habe, von einem kurzen Abschnitt, siehe oben, abgesehen.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.