Zu den Dingen, die ich, um es einmal vorsichtig auszudrücken, gar nicht sonderlich schätze, gehört Scharfmacherei. Und so war seinerzeit auch der Romanzyklus „His dark materials“ von Philip Pullmann einer der wenigen Fälle, in denen ich Bücher huldlos dem Papierkorb überantwortete, weil jede andere Methode, die Bücher loszuwerden, verantwortungslos gewesen wäre. Damals konnte ich nicht verstehen, wie man in der heutigen Zeit, oder überhaupt, solch einen apologetischen Schwachsinn verfassen kann in dem wirklich alles, was Christentum ausmacht, ins Gegenteil verkehrt wird. Inzwischen verstehe ich allerdings, was Philip Pullmann dazu trieb.
Denn es gibt tatsächlich ein älteres Werk, was Pullmanns Triologie an Polemik in nichts nachsteht und wohl sicher auch den Ausschlag dafür gab, überhaupt ein solches Werk zu verfassen. Autor und auserwählter Widersacher Pullmanns ist, wie man anderorts nachlesen kann, C. S. Lewis. Allerdings meine ich, dass Pullmann nicht vorrangig nur gegen die Narnia-Reihe abzielt, obwohl auch diese einigen Anlass zur Kritik böte. In Rage versetzt haben dürfte ihn besonders ein älteres Werk von Lewis, der eigentliche Gegenpart zum „Goldenen Kompass“: die Perelandra-Triologie.
Nun, um es vorweg zu nehmen, schlechterdings schlecht geschrieben ist die Perelandra-Triologie nicht. Sie ist eine dreibändige Science-Fiction-Romanfolge, einer der ersten Versuche, christliche Science Fiction zu schreiben. Mittelpunkt eines jeden Bandes ist ein Planet des Sonnensystems, im ersten Band der Mars (Malakandra), dann die Venus (Perelandra), schließlich die Erde (Thulakandra). Dabei kommen neben Außerirdischen, Raumschiffen, verrückten Wissenschaftlern und Verschwörungstheorien so ziemlich alle vertrauten Elemente aus der Science Fiction vor – daneben aber auch jede Menge Glaubenslehre und damit verknüpft einige innovative Ideen. Verglichen mit den zeitgenössischen SciFi-Romanen, die C. S. Lewis kennen konnte, hat sie geradewegs bahnbrechendes Niveau, nicht nur in sprachlicher Hinsicht. Im ersten Band, „Jenseits des schweigenden Sterns“ – womit die Erde gemeint ist, oder auch Thulakandra, wie die Malakandrier oder Marsianer unseren Planeten bezeichnen, kommen auch einige höchst interessante Aspekte auf, die durchaus wegweisend sein könnten: Beispielsweise der, dass die Erde nur ein Aspekt der göttlichen Schöpfung ist und es neben den Menschen auch noch andere intelligente Spezies geben könnte, dass die Schöpfungszeit relativ – also vergangen wie zukünftig wie gegenwärtig ist – der Versuch, die Relativitätstheorie mit der christlichen Heilslehre zu verbinden und damit einige dualistisch-lineare Engführungen zu überwinden.
Zukunftsträchtig war sicher auch die Infragestellung der rassistischen Ideologien, welche in der Entstehungszeit des Romans (30er Jahre) weiterhin prägend waren – gerade auch in der SciFi-Literatur; schließlich geht Lewis indirekt auch mit dem British Empire und seinem Kolonialismus ins Gericht und mit dem westlichen Konsumdenken.
Doch was der erste Band noch an Hoffnungen erweckt und was er an ideellen Chancen bietet, das zerstören die Folgebände. Im zweiten Band, „Perelandra“, verfällt der Autor zusehends wieder in einen latenten Dualismus von Gut und Böse, sein Gegenspieler, der Physiker Weston, wird im Verlauf der Handlung kurzerhand zum „Nichtmenschen“ deklariert – wortwörtlich – was dem Romanhelden ermöglicht, ihn gegen Ende und im göttlichen Auftrag kurzerhand und auf bestialische Weise umzubringen. Deutliche Apologetik, welche schon im ersten Band latent vorhanden ist wie auch in den späten Narnia-Bänden, steigert sich in „Perelandra“ über die Zwischenstufe gesteigerter Mythenallegorisierung zu einem apokalyptischen Endkampf, welchen man in dieser Form nur noch als fundamentalistisch bezeichnen kann. Lewis selbst ist es, der darauf verweist, dass eine rein allegorisierende Auslegung des Kampfes gegen das Böse ab einem gewissen Wendepunkt nicht mehr möglich und wirkliches Handeln gefordert sei (was in diesem Falle auf die Tötung des vom Bösen besessenen Gegenspielers Weston hinausläuft).
Kritisch ist, dass Lewis hier sein berüchtigtes Allegorisierungskonzept nicht nur in Frage stellt, sondern seine eigene Metaphorik mutwillig zerbricht – wenn tatsächlich mit der Inkarnation des Gottwesens Maleldil auf der Erde (gemeint ist damit wohl die Menschwerdung Christi) die Wende angebrochen ist, seit welcher der Kampf gegen das Böse mehr als Allegorie ist, dann gilt das, was für den „guten“ Helden Ransom auf Perelandra zutrifft, nämlich dass er tatsächlich im Leben gegen das Böse kämpfen muss, auch für alle anderen Christen wie er.
Mit anderen Worten: Gefordert wird ein realer Miles Christianus, ein christlicher Kämpfer, der jederzeit bereit ist, das Böse auszutilgen. Zu Lewis Entschuldigung muss man ihm vielleicht zugestehen, dass er ganz im Horizont des zweiten Weltkrieges schreibt, wo die Fronten zwischen Gut und Böse klarer erschienen, als sie das heute tun. Diesen Wahrnehmungshorizont hat Lewis aber sein ganzes Leben beibehalten, er findet sich auch in der Welt Narnias wieder und Lewis ist auch nicht der einzige, der ihn vertritt: Ein starker Dualismus dieser Art durchzieht auch Tolkiens Mittelerdewelt, nicht nur im „Herrn der Ringe“. In Lewis‘ „Perelandra“ nimmt er allerdings Formen an, dass man den Roman als Bettlektüre eigentlich nur noch für christliche Selbstmordattentäter weiterempfehlen dürfte.
Aus heutiger Sicht muss das fatal erscheinen. Insbesondere, weil eine solche Auffassung interreligiösen Dialog nicht nur erschwert, sondern in der Art, in der Lewis hier verfährt, eigentlich ausschließt, da Lewis die Grenzen der einzigen Wahrheit äußerst eng definitiert. Dies wiederum tut er, weil er sich selbst wohl bewusst ist, auf welch schmalem Grad er in seinem Roman zwischen künstlerischer Freiheit (es ist ja ein Sci-Fi-Roman) und religiöser Häresie changiert. Womöglich daher rühren auch die massiven Korrekturen der Folgebände.
Wenn man sich genauer betrachtet, was der Bösewicht Weston im zweiten Band vertritt, wird klarer, was Menschen wie Pullmann so gegen diese Engführung des Christentums aufbringt: In Weston wird letztlich nichts anderes als der Humanismus und die Aufklärung selbst bekämpft. Denn die Mission des Romanhelden Ransom im zweiten Band ist nichts geringeres, als den Sündenfall und damit die Erkenntnis eines neuen Menschengeschlechts auf der Venus zu verhindern. Selbstbestimmung wird mit Sünde quasi gleichgesetzt, das Gute mit der vorbehaltslosen Übereinstimmung mit Gott Maleldils Willen. Mit Recht verweist sein Gegner Weston im Roman darauf, dass es ohne den biblischen Sündenfall keine Freiheit und keine Entwicklung geben könne, letztlich damit auch kein Gutes. Genau dieser Gedanke durchzieht auch Pullsmanns Romanfolge. Lewis setzt dagegen das ungebrochene Vertrauen auf den Schöpfergott Maleldil. Damit liegt Lewis nicht falsch, denn Glauben ist immer Vertrauen auf Gott. In der Art und Weise seiner Darstellung dürften die Ausführungen des Bösewichts auf den Leser aber deutlich überzeugender wirken als das von vielen Zweifeln durchzogene, teils fremdgesteuerte Handeln Ransoms oder gar die blinde, dümmliche Gedankenlosigkeit der perelandrischen Eva. Zumal im Fall der Frau auch noch ein deutlich chauvinistischer Einschlag spürbar wird, der gegen Ende so fatal wird, dass man seinem Kontrapunkt Pullmann letzterdings dankbar sein muss, dass er in seiner Triologie hier dann einiges deutlich besser gemacht hat.
Es ist Lewis wohl nicht anzulasten, dass er ganz im Horizont seiner Zeit – einer Weltkriegszeit – dachte und wohl auch kein ausgewiesener Bibelkenner war, weshalb er einige Aspekte der Schöpfungstheologie zu simplifizierend ausdeutet. Insgesamt kommt er dem theologischen Gehalt auf seine intuitive Art und Weise sogar überraschend nahe, seine kreative Verknüpfung von Schöpfung und extraplanetarischer Landschaftsbeschreibung ist beachtlich und der späteren Version in „Das Wunder von Narnia“ deutlich überlegen, sprachlich zumindest. Theologisch wirkt sie noch nicht immer ganz ausgereift: Bei der Inthronisation des männlichen Menschen am Schluss nimmt Lewis dann ein verbreitetes Fehlverständnis des Abbildcharakters auf, verschärft dies aber noch, indem es der Frau abgesprochen wird, Abbild Gottes zu sein, was auch die deutliche Unterordnung begründet. Der zunächst inexistente, dann am Schluss aber doch wieder wichtige „Schutzengel“ Perelandras scheint etwas aufgesetzt, vielleicht ein Zugeständnis an die zeitgenössische Antroposophie, an die sich die Engel/Eldils in der Triologie ohnehin stark anlehnen. Teilweise, gerade auch durch diverse Abgrenzungen von säkularem Humanismus gerät der Roman in gnostisch-esoterische Gefilde, wirkt stellenweise, vor allem gegen Ende hin etwas überladen.
Heraus kommt dann eine nicht ganz stimmige Mythencollage, teilweise auch Enttäuschung beim Leser, weil im zweiten Teil wieder vieles zurückgenommen wird, was der erste Teil noch an Gedankengut zu bieten hatte. Kontraproduktiv erweist sich aber vor allem Lewis‘ Versuch, gegen Ende auch noch die Christologie als verbindlich in die Handlung mit hineinzupacken. Durch die Gleichsetzung von Maleldil mit Jesus Christus sah sich Lewis wohl genötigt, die Sache mit der Trinität nochmals klarzustellen, was dann schließlich das bewirkt, was ein Muslim als „Schirk“, als Beigesellung zusätzlicher Götter bezeichnen würde: Er ordnet in den Lobgesängen am Schluss dem Schöpfergott(!) Maleldil noch einen Vater und einen Heiligen Geist zu. Da die Rolle des Schöpfergottes allerdings schon an Maleldil vergeben ist, der auch sonst direkt zu den Seinen spricht, fragt sich der geneigte Leser zurecht, was der zusätzliche Vatergott und der Geistgott dann überhaupt noch sollen.
Für Nichtchristen, auch gläubige, dürfte diese unnötig verengende Darstellung daher gänzlich unwirsch bis unausstehlich wirken. Dass sie auch noch bewusst provokant formuliert ist, macht es nicht besser. Kein Wunder, dass Pullmann sich zu einem Gegenentwurf genötigt sah. Nun ist es aber ein Glück, dass wir im friedlichen Mitteleuropa und nicht in Nordamerika oder auf den britischen Inseln leben, sodass sowohl Pullmanns als auch Lewis‘ Extremposition die meisten modernen Leser in Deutschland höchstens irritiert, selten oder kaum aber mitreißt. (Abgesehen vielleicht vom Bundesland Berlin, wo sich die Fronten zwischen beiden Lagern inzwischen deutlicher verhärten.) Propaganda betreiben letztlich beide Autoren und beide wollen sie auch scharfmachen, möchten, dass man eindeutig Stellung beziehe. Unterschied ist allerdings, dass sich Lewis mit der Perelandra-Reihe definitiv an Erwachsene richtet, Pullmann aber an Kinder. In der Kinderbuchreihe Narnia hat Lewis sein Konzept weiterentwickelt, teilweise deutlich entschärft. Angriffspunkte gibt es freilich auch dort noch.
Ich finde, es ist doch sehr fraglich, ob die Vertreter beider Seiten durch solche Apologetik ihren eigentlichen Zielen gerecht werden. Weder ist Humanismus durch reinen Individualismus, gar notfalls um jeden Preis, zu haben, wie Pullmann insistiert, noch ist christliche, oder weitergehend abrahamitische Ethik ohne die Erkenntnis von Gut und Böse, Vernunft und die menschliche Freiheit möglich. Wirkliche Freiheit, da hat Lewis sicher Recht, ist immer die Freiheit zum Richtigen. Ohne Vernunft ist diese aber nicht zu haben, der Versuch, den „Sündenfall“ zu verhindern, nicht nur Urangst antitotalitärer Menschen und der Humanisten, sondern eigentlich auch in theologischer Hinsicht unsinnig und alles andere als weise. Da helfen auch die teilweise höchst fragwürdigen anthroposophischen Exkurse nichts. Der Gedanke, was passiert wäre, wenn man den Sündenfall verhindern hätte können an sich ist interessant, letzterdings aber gefährlich, weil er Gegensätze erzeugt, die überhaupt nicht bestehen. Den Gegensatz zwischen Glauben und Erkenntnis, den Lewis hier aufbaut, haben andere dankbar übernommen und damit höchst obsolete Dichotomien aufgebauscht. Ohne diesen Scheinwiderspruch wäre Pullmanns Triologie gar nicht denkbar. Die Romanreihe endet bei beiden Autoren dadurch fast automatisch zunehmend in Fundamentalismen. In Pullmanns Fall wird spätestens in „das magische Messer“ die individuelle Erkenntnis absolut gesetzt, im Fall von Lewis ab dem zweiten Teil die christliche Dogmatik, teils gegen die vorherige Handlung. Das enttäuscht, ist letzterdings aber folgerichtig bei den von beiden gewählten Prämissen.
Wünschenswert wäre ein neuer Romanzyklus, der vielleicht zwischen den Extremen vermittelt und damit die Wahrheit angemessener abbildet: Nämlich dass individuelle Vernunft und Glaube kein Gegensatz sind, sich sogar gegenseitig bedingen. Auf atheistischer Seite gibt es ihn schon: Terry Pratchetts „Scheibenwelt“ – wer zwischen den Zeilen zu lesen im Stande ist, wird hier eine moderatere, selbstkritische und vor allem humorvollere Version von humanistischem Atheismus finden. Die christliche Seite ist bislang leider nicht belegt, obwohl das eigentlich doch auch machbar wäre. Vielleicht, um den heutigen Tag zu würdigen (Epiphanias), ganz im Sinne der drei Weisen aus dem Morgenland, die gar nicht apologetisch waren, aber doch recht aufgeklärt-humanistisch Wahrheit und Erkenntnis suchten und – mithilfe eines anderen Sterns – schließlich auch fanden. In gewisser Weise war das ja auch schon Science Fiction.