Warten auf Nives

Der Frühling kommt ... kommt nicht ... kommt nicht ... kommt ...
Der Frühling kommt ... kommt nicht ... kommt nicht ... kommt ...

Lange ist es her, lange, viel zu lange, seit dem Wanderer zum letzten Mal eine warme Sonne ums Haupt streichelte und viel zu lange, lange, lange währten Winter, Frost und Regen. Nun bin ich erschöpft, wie von einer schlaflosen Nacht und immerwährendem Warten auf den fernen Frühling, auf ein klein wenig Frühling doch nur und ein einziges Blümchen, das mehr als nur Hoffnungsschimmer auf ein echtes Blau, eine laue Brise und einige Tage mit warmer Erholung wäre. Vielleicht, aber nur vielleicht, bringt Nives den Frühling.

Man selbst ist ausgegraut, wurde rabengleich, kohlrabengrau – wie eine krause, mühselige Krähe im Frühmärz über ein kahles Feld humpelt, eine alte Krähe, die den Winter kaum überstanden hat. Mit zerfledderten Federn und zerfledderter Seele, traurig krächzend:  „Krabat, Krabat.“ Und die Kantorka ist weit und die Auferstehung fern. Man bebt mit dem alten Faust, Ostergesänge sind noch nicht, man geht unverjüngt wie der alte Dominic Matei, zerlumpt, verhutzelt, uralt wie vor seiner Erleuchtung, verstört und dement. Man geht mit Rheuma und mit Migräne und ohne alle Rücksicht. So gut es halt noch geht – geht es ohne alles Grün. Jugend ohne Jugend. Alter vor der Zeit. Eine Gelehrtentragödie. Nein, nein, da ist noch keine Sonne, da ist noch kein Frühling und es regnet und es regnet noch immer. Ein kalter, steifer Ostwind bläst. Vielleicht Nives, vielleicht …

Nives heißt das Hoch, das sich gerade im Norden über Deutschland so schön breit macht. Nives. Im Norden wohlgemerkt, nicht hier im tiefen Süden, wo Wolken noch dichte rumschunkeln und sich vom steifen Ostwind an den Himmel stapeln lassen. Nives, so sagt der Wetterbericht, Nives könne den Frühling bringen. Nives? Nives – das erinnert an Kosmetikartikel, an Salben vor allem. Und Balsam könnte man ja brauchen. Nives kommt allerdings aus dem Italienischen (’neve‘) und bedeutet Schnee. Igitt …

Nomen est omen und ein gutes ist das ja nicht. Nun gut, es kann ja auch „schneeweiß“ bedeuten, aber in jedem Fall klingt es doch mehr nach schneelichten Wintertagen, wenn die Krähen wie kleine Kohlestückchen auf den weißen Feldern staken, klingt wie „Krabat, Krabat“ eher denn nach Zephirs beschwingten Frühlingsflügeln, lyrischen Amseln und lieben Nachtigallen oder gar elegischen Lerchen, wenn die Sonne voll aus dem Grünen steigt. Ach, ob es denn je besser wird? …

Regenpfützenunwettergrauen...
Regenpfützenunwettergrauen...

So bleibt denn wohl nur, die grauen Regenwolken zu ertragen, oder wegzuschauen und sich weiterzuschleppen, die Zähne zusammenzubeißen (damit sie uns nicht entfallen wie dem alten Matei) und weiterhin mit den Blümchen auf die Kantorka und auf bessere Zeiten zu hoffen. Ja was auch sonst? …

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.