The Snow Queen

Auf der Suche nach erträglicher Weihnachtsmusik hatte ich mich bereits Anfang November an die neue Winter-CD von Sting gemacht, immerhin ein umsichtiger Musiker, der nicht leichthin in Kaufhausgedöns verfällt. Weihnachtslieder waren es dann doch. Interessanter kamen schon seine Dowland-Interpretationen daher und brachten mich auf einige persönliche Intonationsideen, die ich aufgrund einer heftigen Grippeattacke dann aber doch mal wieder nicht umsetzen konnte.

Mitte Dezember stieß ich dann tatsächlich auf ein interessantes Weihnachtsmärchen, „Die Schneekönigin“ von Hans Christian Andersen, in einer finnischen und einer britischen Adaption. Letztere, „The Snow Queen“, wartete in ihrer filmischen Umsetzung mit interessanten visuellen Effekten, minimalistischer Schauspielerbesetzung und – mal wieder – Patrick Steward im Hintergrund, interessanten poetischen Seiteneffekten auf. Die Musik stammt von Paul K. Joyce. Während die deutsche Synchronisation, obwohl sie nicht schlecht ist, gerade beim Libretto auf das seichte Niveau von Disney-Derivaten abdriftet, bleibt die englische Originalversion der Tradition des britischen Weihnachtsmusicals treu. Musikalisch trägt Joyce gerade bei den Orchestersuiten etwas viel Schmalz auf, doch die Kombination teils minimalistischer Zwischensequenzen und klassischer englischsprachiger Lyrik verleiht dem Ganzen insgesamt poetische Tiefe.

Im Grunde genommen geht es bei „The Snow Queen“ wie auch in Andersens Original um „The undefeated Enemy“ – den Tod, sanft aber treffend umkleidet im Motiv des Winters und der Schneekönigin. Die Grundbotschaft: „Liebe überwindet den Tod“, ist so simpel wie auch überzeugend umgesetzt, zumal schon in Andersens Original allerlei archetypische, tiefenpsychologisch ergiebige Zwischensequenzen einer allzu eindimensionalen Verdeutung entgegenwirken. Freilich wurde die hochkomplexe Originalgeschichte auch in der britischen Version der BBC von 2005 mal wieder entschlackt. Anders als bei anderen Interpretationen des Stoffs verhindern aber die integrierten lyrischen Texte eine primitive Schwarzweißmalerei oder eine Reduktion des Stoffes auf Vorschulniveau – wobei es gelingt, im Endeffekt Kinder wie auch Erwachsene anzusprechen. Das kindliche Gemüt wird sich an den märchenhaften Motiven ergötzen, ältere an der doch betroffen machenden Poesie von Lyrikern wie  Hilaire Belloc, Vita Sackville-West, Lord Byron, Christina G. Rossetti, W. H. Auden oder Sir Thomas Moore. Ein Grundmotiv ist das berühmte und der Lyrikerin Mary Elizabeth Frye zugeschriebene „Do not stand at my grave and weep“ – das als einzige Vertonung auch in der deutschen Übersetzung einigermaßen überzeugen kann. Wer den Reiz der Sprache hören will, sollte aber besser auf das englische Original umstellen oder gleich den Soundtrack zurate ziehen, der die ursprüngliche Musicalfassung zu Gehör gibt. Dort ist statt Patrick Steward Juliet Stevenson (im Film spielt sie die Mutter Gerdas) als Erzählerin zu hören und als Rezitatorin überzeugt sie durchaus mehr als der steward’sche Rabe im Film.

Wieder einmal mehr fragte ich mich, ob man dieses Musical nicht auch schulisch umsetzen könnte. Gut, man müsste gerade die Orchestersuiten dramatisch zurecht stutzen, das Libretto ließe sich aber auch von einem Mittelstufenchor problemlos umsetzen und lebensrelevant ist das Thema Krankheit und Tod für Schüler allemal. Gerade auch in der dunklen Jahreszeit. Daneben lässt Hans Christian Andersen wie auch Joyces musikalische Interpretation viel Raum für Aktualisierung. Denn den Weg zur Schneekönigin säumen auch heute noch allerlei sinnestrübende Spiegelscherben, wundersame Blumenzauberinnen und Räuber. Bei alledem böte das Szenario genug Raum für romantische und fantastische Gemüter, was neueren Bühnenstücken ja leider oft fehlt. Die englische Originalsprache, die viel Anteil an der poetischen Tiefe hat, sollte man beibehalten. Das Stück ist in seiner Handlung verständlich genug, um auch fremdsprachig aufgeführt zu werden. Nachdenklichen Gemütern erschließt sich der lyrische Tiefgang ohnehin erst beim wiederholten Anhören.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.