Man macht es dem deutschen Konsumenten nicht gerade leicht, auf elektronischem Wege zu lesen. Sowohl die Verlage, als auch die Hersteller versperren selbst dem willigen und kaufkräftigem Leser den einfachen Weg zur elektronischen Tinte. Das geht sogar soweit, das Produkte, wie Samsungs durchaus interessanter E60 oder E100 komplett vom deutschen Markt abgeschirmt werden – angeblich, weil die Deutschen auf Ergonomie, augenfreundliche Produkte und Ästhetik weniger Wert legen würden als auf den Daddelfaktor. So wird es hier wohl auch weiterhin nur schummerige, nicht entspiegelte Multimedia-Tablets geben für die Klickibunti-Generation, während lesende Normalanwender älterer Semester oder Bibliophile weiterhin dem klassischen Buch treu bleiben müssen, wenn sie halbwegs Sinn für Ästhetik bei Tageslicht haben und Mitleid mit ihren Augen.
Oder aber sie müssen zumindest deutliche Kompromisse in Kauf nehmen. Wem ein sehr lesefreundliches, auch draußen problemlos entzifferbares und solide verbautes „EBook“ lieb ist, der kann beispielsweise auf Amazons Kindle zurückgreifen, wenn er im Gegenzug auf Touchscreen, Stifteingabe (und damit Markierfunktion) sowie deutsche Eingabesymbole verzichten will und mit der reinen US-Version vorlieb nimmt. Denn bestellbar ist es, aber nur über Amazon.com in den USA und auch nur in einer US-Variante für den europäischen Markt. Will der Leser einigermaßen bebilderte elektronische Büchlein lesen, sollte es dann aber schon die größere 9,7″-Variante, also der Kindle DX sein. Dieser liegt allerdings noch nicht in der dritten Generation vor, nur in einer überarbeiteten Version 2 mit verbessertem Kontrast und neuerer Software und schlägt noch mit etwa 380 US-Dollar zu Buche – Preis tendenziell fallend. (Warum auch immer – die verbesserte Version ist nur wieder einmal in Schwarz zu haben, während es die perlweißen DX-Varianten nur mit älterem, kontrastärmeren Display gibt. Schade eigentlich, aber der Zwang zum Schwarz scheint ja neuerdings überall in der EDV oktroiert zu werden.)
Amazon Kindle DX
Das Display des Kindle DX ist auch in Generation 2.5+ bemerkenswert. Hat man zuvor noch nie ein Gerät mit E-Ink in der Hand gehabt, glaubt man zunächst, die Schriftzüge und Grafiken seien aufgeklebt. Gerade auch draußen und im Sonnenschein ist das Display bemerkenswert klar und konstrastreich, selbst mit seinen nur 16 Graustufen werden auch Fotos und Grafiken detailreich und nuanciert abgebildet. Man muss es selbst gesehen haben, um es zu glauben. Schade, dass man damit nicht auch zeichnen kann. Der Bildaufbau vollzieht sich freilich deutlich sichtbar vor den Augen des Lesers ab, aber wen kümmert’s: Das Gerät ist zum reinen Lesen von Texten da, nicht zum Videospielen. Insofern stört der Seitenaufbau im Viertelsekundentakt in der Praxis nicht sonderlich.
Über die 3G-Schnittstelle kann auch der deutsche Leser von fast überall direkt auf den Kindle-Store und immerhin die englische Wikipedia direkt vom Gerät aus zugreifen. Alle anderen Seiten, selbst Google, sind in deutschen Landen gesperrt. Über die Schnittstelle werden bestellte Bücher automatisch heruntergeladen und auch Patches und Updates vollziehen sich im Hintergrund. Im tiefen Südschwarzwald, wo die Verbindung nicht astrein ist, zerrt die Funkfunktion freilich enorm an der geräteeigenen Batterie, die sonst bis zu zwei Wochen durchhalten soll. Deshalb ist es praktischer, den Funk in der Regel zu deaktivieren.
Der interne Speicher des Kindle DX, bespielbar per USB-Anschluss, bietet mit mehr als 3GB Speicher für diverse elektronische Bücher in den Formaten Kindle, Mobi und PDF – letztere beiden werden allerdings nur in den unverschlüsselten Varianten unterstützt. Eine Speicherkartenschnittstelle fehlt. Vom experimentellen, Webkit-basierten Webbrowser haben deutsche Benutzer wegen des restriktiven Internetzugriffs nicht sonderlich viel, der sehr rudimentäre MP3-Player ist eine nette Zugabe und eher Nebeneffekt der Hörbuchfunktion – lassen sich so neben Audible-Büchern doch auch MP3-Hörtexte abspielen und eben auch Musik, wenn mans braucht. Als Easter-Egg sind noch ein Mindsweeper-Game und ein Bildbetrachter versteckt, letzterer scheint aber noch nicht ganz ausgegoren zu sein, denn er hat deutliche Probleme mit dem Bildaufbau und ist auch sonst nicht mehr als ein Geheimgoodie. Eigentlich schade, denn von seiner technischen Konzeption hätte man problemlos auch noch einen richtigen Bildbetrachter sowie Notizblock und Terminkalender unterbringen können. (Im Hintergrund läuft ein Linuxkernel, darauf eine javabasierte GUI). Amazon hat hier aber wohl bewusst auf alles verzichtet, was die Bedienung verkomplizieren könnte. Das Gerät soll für einen technisch nicht sonderlich interessierten Leser möglichst einfach und intuitiv zu bedienen sein, was im Großen und Ganzen auch gelingt.
Wenig Deutsch im Kindle-Store
Die eigentliche Stärke liegt denn auch beim Darstellen von Bücherware. Ziemlich deutlich wird der Leser dahingelenkt, das eigene Kindle-Format und den Kindle-Store zu benutzen und dort einzukaufen. Beim deutschsprachigen Leser dürfte dies aber nicht so ganz funktionieren, da die deutschsprachigen Bücher im amerikanischen Store insgesamt rar und meist zweite Wahl oder hoffnungslos veraltet sind. Dass es sich dann meist um Klassiker handelt, hilft auch nichts, wenn die Editionen professionellen Ansprüchen nicht genügen. Für deutschsprachige Leser ist das Angebot an Monographien im Kindle-Store insgesamt enttäuschend. Besser sieht es schon bei elektronischen Zeitungen aus, die man sich per Abo auf den Kindle laden lassen kann. An deutschsprachiger Presse ist dort zurzeit aber nur Frankfurter Allgemeine Zeitung und Handelsblatt zu finden, dafür international noch eine Menge anderer renommierter Zeitungen. Die Vorstellung, frühmorgens beim Frühstück statt großflächig knisterndem Blätterwald (der in der Provinz oft gar nicht rechtzeitig bis zum Postempfänger vordringt) die aktuellen Inhalte auf das handliche Lesepad zu laden, ist natürlich schon verlockend. Aber meine Lieblingszeitungen fehlen und amerikanische Hauspresse interessiert den Germanisten nicht sonderlich.
Mangelhafte Mangagrafik
Bleibt dann noch die Möglichkeit, den Kindle für Comics oder grafische Novellen zu verwenden. Hier tritt die Sprache in den Hintergrund und die Auswahl im Amazon-Store sieht schon deutlich besser aus. Gerade bei den klassischen amerikanischen Comics oder bei Mangas sollte die herausragende optische Qualität des Kindle-Displays doch zum Tragen kommen! Doch nichts da: Die Grafiknovellen des Kindlestores scheinen oft eher lieblos eingescannte Varianten der Druckausgaben zu sein mit teils deutlich sichtbaren Kompressionsartefakten, besonders bei den Sprechblasen, aber auch sonst bei Zeichnungen.
Hier hat man dann wohl etwas zu sehr bei der Dateigröße für die Funkübertragung gespart und damit eine Menge Chancen verschenkt – gerade die Konsumenten, die aus Qualitätsgründen zum Ebook-Reader statt zum LCD-Tablett gegriffen haben, dürften sich damit überhaupt nicht zufrieden geben – zumal bei den Preisen, die den qualitativ meilenweit überlegenen Druckausgaben nicht wirklich nachstehen. Dabei scheitert es an der Umsetzung, nicht an der Technik!
Beachtlicher PDF-Reader
Dass das Gerät selbst es nämlich deutlich besser kann, sieht man nicht nur an den beeindruckenden Grafiken, die bei längerer Nichtbenutzung als Bildschirmschoner eingegeblendet werden, sondern auch überraschend schnell, wenn man sich vorhandene PDF-Handbücher oder PDF-Books per USB vom Computer auf den Kindle-DX lädt. Überraschend hochstechend werden selbst die feinabgestuften Zeichnungen z. B. des elektronischen Bilderhandbuchs von CorelDraw X5 dargestellt, neben dem Layout werden auch sämtliche Schriftarten bei PDF korrekt dargestellt – was bei Kindle-Büchern nicht in allen Fällen klappt (Sonderzeichen!). Lediglich bei Transparenzeffekten neuerer PDF-Bauart stößt der interne Reader im Kindle an seine Grenzen. Dafür, dass er Skripts nicht ausführen kann, sollte man in der heutigen Zeit aus Sicherheitsgründen sogar dankbar sein.
Wirklich praktisch nutzbar ist der Kindle DX damit, wenn man ihn als mobile PDF-Handbuchsammlung oder als Voranzeige fürs Drucklayout von A5 und sogar A4-Texten benutzt, zumal er sich auch bei PDF die jeweils aufgeschlagene Seite in allen vorhandenen Dokumenten merken kann und die Autorotation auch hier funktioniert. Zwar muss man dann auf freie Schriftgrößenwahl und die Notizfunktion verzichten, da diese allerdings mit der recht kleinen US-Tastatur ohne jegliche Umlaute ohnehin von sehr begrenztem Wert ist, scheint das verzichtbar.
Fazit
Allem Unken zum Trotz, was die begrenzten multimedialen Fähigkeiten von Ebook-Readern angeht, ist die Qualität, die sie über E-Ink-Displays erreichen, doch beachtlich. Für Menschen, die viele Texte ständig parat haben müssen, seien es Wörterbücher, Literatur oder gerade auch Handbücher, ist das leichte und handliche Pad eine äußerst lesefreundliche Alternative. Wesentlich kontrastreicher und augenfreundlicher als alle anderen Displays, die mir bislang untergekommen sind, laden sie wirklich zu ausgiebigerer Detailbetrachtung ein, selbst im Freien. Momentan fehlen allerdings noch die Farben, die beispielsweise bei komplexen Karten, Organigrammen oder Schaltplänen nützlich wären. Bei Texten und selbst bei Zeichnungen und S/W-Fotos stört dies allerdings nicht.
Das Kindle-Ebook von Amazon ist ein materiell durchaus wertiger Vertreter seiner Geräteklasse, macht insgesamt einen gediegenen und qualitativen Eindruck, die Hardware ist durchdacht, die Bedienungssoftware etwas spartanisch, aber funktionell ausgelegt. Was einem Lesearbeiter aber dennoch fehlt, ist eine intuitive Methode, Textstellen zu markieren – gerade auch in PDF-Dokumenten, denn das Kindle-Format nutzt einem Leser in Deutschland faktisch nichts. Ein regulärer Markierstift, der über das Display benutzbar ist adäquat zum papiernen Original, der muss noch her, ebenso eine Notizfunktion für PDF. Fingermalen, Blätter- und Flackereffekte müssen dagegen nicht sein – dafür können Daddelkids und solche, die es noch werden wollen, ja die bereits vorhandenen Multimediadisplays wie IPad & Co benutzen – drinnen freilich, nicht draußen, denn dafür sind selbige noch zu duster.