Ein kleines bisschen Himmel

Steinig und mühsam wären die Pfade, es ginge immer nur bergab, alles sei eine sinnlose Sisyphusarbeit. Gelebter Glaube wird ja oft totgeredet, besonders das Christentum. Lieber diskutiert man über Glaubensmodelle, krittelt mit bloßen Gedankenspielen herum. Dabei bedient man sich der üblichen Schreckensinstrumente der Moderne: irgendwelcher klugen Studien, mathematischer Kurven, die das Ende aller Dinge prognostizieren und Statistiken, nach denen Deutschland ohnehin schon längst eine dahin siechende Alterswüste ohne jede Lebendigkeit sein müsste.

Kein Niedergang in der gelebten Praxis

Zum großen Ärger wissenschaftlicher wie theologischer und auch atheistischer Apokalyptiker stirbt aber weder die deutsche Bevölkerung noch der Glaube aus. Er hat sich nur gewandelt – aus meiner persönlichen Sicht zum Positiven hin. Was allerdings leicht ins Schwanken geraten ist, das sind die alten Strukturen und Positionen. Man ist nicht mehr so deutlich entweder-oder, dafür-oder-dagegen –  und das verwirrt und verärgert die alten Ideologen, die gerne klare, einfache Verhältnisse haben und die gerne Grenzen ziehen.

Gleichzeitig bilden sich neue Strukturen heraus, die teils flexibler und tragfähiger sind und die Grenzen deutlich fließender. Ideologen mögen darüber klagen, es passt aber zur eigentlichen Idee des Reiches Gottes, das eben kein moderner Staat mit Zollstationen ist, sondern eine „Malkut JHWH“ bzw. „Basileia tou Theou“, also ein Einflussbereich Gottes, der immer soweit REICHT, wie er spürbar ist. Insofern ist es manchmal schon da, aber eben noch nicht ganz. Was aber ziemlich gewiss ist, dass er sicher nicht weniger wird. Und ob sich das Reich Gottes überhaupt statistisch messen lässt oder Glauben im Allgemeinen, das wage ich zu bezweifeln.

Falls die oft bemühten Statistiken denn überhaupt recht haben! Wenn ich ganz konkret die Gottesdienste in unserer Seelsorgeeinheit besuche, hatte ich in den letzten Jahren überhaupt nicht das Gefühl, dass die Besucher weniger werden oder „überaltern“. Im Gegenteil – oft sind die Kirchen deutlich gefüllter als früher, auch mit jüngeren Leuten, manchmal kriegt man sogar wirklich gar keinen Platz mehr, wenn ein Familiengottesdienst stattfindet. Das macht einem dann schon Angst, zumal wenn man wie ich keine großen Massen mag.

Andererseits suchen sich die Menschen inzwischen bewusster ihre Gottesdienste aus – und zwar nach Zeiten und Stilen. Es gibt auch Gottesdienste, da sind nur wenig Leute, z. B. die Werktagsmessen oder Andachten, was in meiner Kindheit aber nicht anders war als heute. Hinzugekommen ist eher das Wählen des richtigen Ortes.

Denn heute wählt man nicht JA oder NEIN, sondern genau aus, was man besuchen will. Auch dies ist wohl ein Nebeneffekt der Zusammenlegung von Pfarrstellen: Wenn man schon zum Nachbarort fahren muss, dann eben nicht zum nächstgelegenen, sondern zu dem, bei dem einen die Gottesdienste am besten gefallen. Und man wählt die Zeit, die einem am besten passt. Einerseits führt das zu stilistischer Erweiterung, andererseits besteht damit natürlich eine gewisse Gefahr von Milieu-Bildung, welche auf dem Lande allerdings durch die mangelhafte Ausstattung mit öffentlichen Verkehrsmitteln weitgehend verhindert wird. Da müssen für Jugendliche oder Senioren dann oft schon Fahrgemeinschaften organisiert werden, was wiederum verbindet. Solche Zweckgemeinschaften gibt es übrigens auch ökumenisch, das ist hier ganz normaler Alltag.

Ein kleines bisschen Himmel am Klettgau-Gymnasium

Natürlich ökumenisch gewachsen ist übrigens auch der Religionsunterricht am Klettgau-Gymnasium und dessen Gemeinschaft. Ja, von Schwund kann gar keine Rede sein – seit acht Jahren verzeichne ich in meinem Reliunterricht kontinuierlich mehr Eintritte als Austritte – in der Regel treten etwa zwei bis drei Schüler in meinen Unterricht wieder ein. An zu guten Noten, wie jeder Schüler, der mich einmal hatte bezeugen kann, dürfte es nicht liegen. Von 1 bis 6 ist nämlich alles drin bei uns – und da Religion ordentliches Schulfach sind, sind die Zensuren auch in beide Richtungen versetzungsrelevant. Aber Leistungsbewertung ist eben nicht alles, allenfalls ein Teil. Leben, auch Schulleben ist doch noch ein bisschen mehr. Womöglich besteht daher auf Schülerseite auch ein Bedürfnis zu aufrichtiger und toleranter Diskussion bei gleichzeitiger inhaltlicher Tiefe. Und man kann auch was lernen im Religionsunterricht. Mancherorts wird das ja leider doch als Gegensatz betrachtet, was ich eigentlich nicht so recht verstehe.

Was aber vielleicht noch wichtiger ist als das bloße Unterrichten ist der „seelsorgerische Rahmen“, den die Religion am Klettgau-Gymnasium hat. Leider ist eine ganzheitliche Betreuung im Schulsystem nicht vorgesehen, allenfalls Nebensache. Dass Schüler leben und keine bloßen Gefäße sind, in die man einfach Lehrinhalte hinein kippt, scheint weder beim Kultusministerium, noch beim Ordinariat richtig angekommen zu sein. Jedenfalls kriegt man kaum oder gar keine Stunden für dezidierte Seelsorge – woran in der Vergangenheit schon so manches Projekt, beispielsweise der Taizé-Meditationskreis bitter scheiterte und übrigens auch oft überschulische Zusammenarbeit.

Dennoch, wir haben uns nicht entmutigen lassen, versuchen es notfalls mehrfach und vor allem haben wir auf Grabenkämpfe jeder Art verzichtet. Was das Klettgau-Gymnasium vielleicht von anderen Schulen unterscheidet ist, dass es nicht nur eine Ökumene zwischen katholischer und evangelischer Konfession, sondern eine herzliche, rege und bewährte Zusammenarbeit mit den Kollegen von der Ethik gibt. Alle wissen nämlich: Die Welt wird durch bloße Grundsatzdiskussionen, ideologisches Gelaber und Vorurteilsdebatten nicht besser, allenfalls diffiziler. Grundsätzliche Verbesserungen im Leben und in der Gesellschaft schafft man nur durch konkrete, solide und fachlich versierte Zusammenarbeit. Ein Beispiel dafür wäre das Sozialpraktikum, das es am Klettgau-Gymnasium schon längst gab, als man sich in Ämtern und Fachabteilungen des Regierungspräsidiums schöne französische Namen und Theorien dafür ausgedacht hat und welches von Anfang an und ganz bewusst ein weit mehr als „nur religiöses“ Gemeinschaftsprojekt war, ebenso die Trauerbegleitung, für die es inzwischen einen festen Arbeitskreis gibt, der über die Grenzen einer einzelnen Fachschaft deutlich hinausgeht. Anders würde das alles ja auch gar keinen Sinn machen!

Und dann wären da einige Dinge, die zwar von „der Religion“, besonders dem inzwischen pensionierten Kollegen Helling vorgeträumt, aber erst in den letzten paar Jahren auch verwirklicht wurden:

  • der FairTaste-Verkaufsstand als Leuchtturm fairen und nachhaltigen Handelns am Klettgau-Gymnasium, als Projekt für die ganze Schulgemeinschaft, nicht einer einzelnen Anschauung,
  • das Bethlehem-Projekt, was auch nach dem Weggang der Initiatorin weiterlebt und sogar deutlich über die Fachschaft hinaus an Strahlkraft gewonnen hat dadurch, dass es nun inoffiziell überschulisch gehandhabt wird sowie auch
  • die KGT-Weihnachtsfeier, die sich bei uns nun quasi „verdoppelt“ hat: in einen bewusst christlichen Vorweihnachtsgottesdienst und eine bewusst vorrangig gemeinschaftliche Feier in der Aula.

Beide Feierstunden haben insofern ihren Platz, als der Gottesdienst aus freiwilliger Basis das bewusst christliche Element verkörpert und Raum zu bewusst religiöser Feier und Andacht gibt, während die aus Sicht von uns Religionslehrern weltliche Weihnachtsfeier als anschaulich eher neutralisiertes Kulturevent vorrangig die Schulgemeinschaft stärkt. Das ist auch wichtig und das gelingt meiner Meinung nach sogar besser, wenn es daher auch bewusst von der Schulgemeinschaft als solcher getragen wird, statt dass „die Relilehrer“ nur „ihr Ding“ drehen.

Beide Feiern sind eigentlich auch recht gut besucht, kommen also an, besonders auch der Gottesdienst, wenn man bedenkt, dass er FREIWILLIG ist (und bleiben wird!). Selbst am Schneekatastrophenfreitag, als viele gar nicht zur Schule kommen konnten, war die Kirche eigentlich voll. Weitere Gottesdienstangebote sollen zu sinnigen Anlässen folgen.

Neben diesen großen Projekten können wir uns am KGT eigentlich auch nicht über die Ausrüstung beschweren. Vor allem der Reliraum kam uns schon einige Male zugute, zuletzt beim Todesfall eines Schülers am KGT vor genau einem Jahr, als wir dort dann relativ problemlos ein Trauerzimmer für Schüler einrichten konnten. Ansonsten gibt es für Schicksalsschläge oder zur Besinnung ja leider keine geeigneten Rückzugsorte an der Schule. Ganz einfach für den Stundenplaner war es vielleicht doch auch nicht, da der Raum ja eigentlich rund um die Uhr mit Reliunterricht belegt ist und auch gerne benutzt wird, da er für Projektunterricht wie auch für Meditationen entsprechend eingerichtet ist, was es deutlich erleichtert, wenn äußere Umstände schnelles Handeln erfordern.

Realistisch-hoffnungsvoll leben ist besser als ideologisch verzweifeln

Freilich, das Reich Gottes auf Erden haben wir mit allem noch nicht, werden wohl nie ganz haben. Auch sind die vielen Ansätze, Schulleben und Schulwelt schöner zu machen, mit sehr viel Anstrengung verbunden. Gemeinschaftlich Kräfte müssen dazu ständig investiert werden – und hier liegt dann auch die Gefährdung, denn wenn das gemeinsame Engagement nachlässt, kann es sich auch wieder wenden:

Die doch harmonische Gemeinschaft zwischen Konfessionen und Ethik sowohl bei Lehrkräften, als auch bei Schülern wie Eltern ist ein Glücksfall. Sobald ein wie auch immer gearteter Ideologismus aufkommt, sei es von allzu konfessioneller Seite als auch von Fundamentalatheisten, dürften die nötigen Synergien verloren gehen, könnte die Zusammenarbeit und das Miteinander scheitern.

Kräfte binden auch die wenig weitsichtigen und ständigen zwischengeschneiten Reformen im Bildungswesen. Nicht nur die Gemeinden und Vereine müssen darüber klagen, dass der unausgegorene, faktisch existierende Ganztagesschulbetrieb den Jugendlichen immer mehr die Zeit für Spiel und Besinnung und die Kräfte für soziales Engagement raubt, am Klettgau-Gymnasium spürt man dies auch: So fehlen der FairTaste-AG dringend benötigte Schülermitarbeiter und bei dem doch sehr positiven Echo dürfte dies wohl nicht auf mangelndes Interesse zurückzuführen sein.

Auch die für 2011 geplante „Vorgriffsstundenregelung“, de Facto eine weitere Arbeitszeiterhöhung bzw. Lohnkürzung für jüngere Lehrkräfte, dürfte nicht dazu beitragen, das übrigens derzeit meist freiwillig erbrachte Engagement am KGT zu vermehren, zumal so passend direkt vor dem Doppelabitur, ebenso wie das wahlpolitische Herumlavieren mit den individuell verbauten Kontingentstunden der lokalen Schulen. Hier zerschlägt man wieder einmal mutwillig von Oben herab, was an der Basis mit sehr viel Mühe und Kreativität – trotz mangelnder finanzieller und zeitlicher Unterstützung – aufgebaut wurde!

Da ständige Arbeitszeiterhöhungen und Lohneinbußen aber auch sonst die Regel sind, können sich wohl auch die Eltern nicht noch mehr engagieren, als sie dies am Klettgau-Gymnasium ohnehin schon tun. Da wirklich überall in unserem Sozialwesen munter gekürzt und wegrationalisiert wird, übernehmen sie ja teils schon faktisch die Fahrdienste, wenn der öffentliche Nahverkehr in der Provinz mal wieder einmal kollabiert.

Insofern sollte man besser ganz realistisch bleiben, aber auch den Mut nicht verlieren. Gemessen an den doch nicht gerade rosigen Rahmenbedingungen geht es uns am KGT sehr gut und der Religion könnte es nicht besser gehen. Das wird nicht immer so bleiben, denn nichts bleibt ewig so, wie es gerade ist – und der aktuelle Zustand ist ein Geschenk. Er ist aber eine Gabe, für die man dankbar sein darf und die zur rechten Zeit kommt, denn alle am KGT können sie brauchen. Sie unterstützt und erzeugt Projekte, die Mut und Hoffnung machen können, wenn man denn genügend Offenheit und Geduld aufbringt und dabei einen gewissen pragmatischen Realismus behält, um Rückschritte wie Rückschläge, die sicher kommen werden, zu verkraften und kreativ zu verwandeln. Denn um es mal mit Goethe zu formulieren: „Auch mit Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man schöne Dinge bauen.“

Über Martin Dühning 1507 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.