Ultramontanismus 2.0

Vorsichtig-zustimmende Kommentare zu suggestiven Fragen und Feststellungen eines bürgerlichen Mitterechts-Katholiken und Benedikt-Fans – so könnte man das Buch „Benedikt XVI. – Licht der Welt, Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit – ein Gespräch mit Peter Seewald“, kurz aber unfreundlich zusammenfassen.

Licht der Welt - Cover des Papstinterview-Buches, erschienen im Herderverlag 2010
Licht der Welt - Cover des Papstinterview-Buches, erschienen im Herderverlag 2010

Da ein Interviewter letztlich immer nur soweit erhellt wird, wie die Fragen helle sind, ist man als gemäßigter deutscher Katholik dann vom Ergebnis eher enttäuscht bis frustriert: Es ist ein altbekanntes Phänomen gesättigten und zu gut situierten Bürgertums, dass es den eigenen und den Untergang des Abendlandes vorher sieht und teils auch geradezu herbeisehnt. Wenn es sich beim Befrager dann noch  um einen römisch-katholischen, gutbürgerlichen Intellektuellen handelt (die Betonung liegt deutlich auf „römisch“ und „bürgerlich“), dann bekommt das Ganze eine unterschwellig antimodernistisch-ultramontane Note. Insgesamt verdient Papst Benedikt XVI. dabei großes Lob, dass es ihm aufgrund seines aufrichtigen und klaren Denkens bisweilen gelingt, sich aus den doch einzäunenden Fragen und gewinkten Sprachzaunpfählen (in Form teils seitenlanger Vorfeststellungen) seines Interviewers gekonnt zu befreien und sie teils moderat richtig zu stellen.

Wenn man in einem Buch-Interview, die Länge macht es da eigentlich nur noch schlimmer, allerdings fast ausschließlich Fragen gestellt bekommt, bei denen die Wertung meist schon eindeutig vorgegeben ist, verwundert auch nicht das Ergebnis – die „konservativ-katholische Anti-Abendland-Apokalypse“, die Seewald spätestens damit heraufbeschwört, dass er zum Ende hin neben der Johannes-Apokalypse die mystischen (übrigens aus dem Kontext gerissenen) Visionen einer Faustina Kowalska dem päpstlichen Gesprächpartner so zwischen die erwarteten Gänsefüßchen keilt, dass dieser, in Wahrung päpstlich-toleranter Contenance, nur mit Mühe verhindern kann, nicht vor platt-spekulativem Spiritualfundamentalismus in die Knie zu gehen. (Glücklicherweise ist Benedikt XVI. Rationalist, nicht Mystiker und daher zumindest so nicht zu Fall zu bringen).

Angesichts der sichtlich tendenziösen Interviewvorgaben, die einem katholischen Laientheologen teils Verwunderung, teils pures Grausen abnötigen, muss man sich wirklich fragen, was der Frager (Seewald) mit solchen Fragen beim Befragten (Papst Benedikt) eigentlich erreichen wollte. Ja was nur? Ganz augenscheinlich wollte er ihm schmeicheln und ein (aus seiner Sicht) möglichst positives Bild von ihm ermöglichen.

So allerdings funktioniert das nicht wirklich. Denn das Bild des Papstes, das Seewald in seinem Großinterview malt, wird durch die kurzsichtigen Fragestellungen weitgehend vorgegeben – meist nicht wirklich zugunsten seines weitsichtigen Gesprächpartners: Es ist das Bild von Benedikt als eines konservativen, wertebewussten Traditionsverwahrers, der den unausweichlich nahenden Untergang des modernen Westens rechtzeitig vorhergesehen und erkannt hatte, die staatliche Schuldenfalle wie die durch die bös-egoistischen Altachtundsechziger verursachten Kulturverirrungen konkret benannte und der Alternativen anzubieten gehabt hätte für all jene, die guten Willens gewesen und die nicht auf ihr eigenes Ego gepocht hätten. Joa, recht gschiehts denen!

Verdächtigerweise  ist das genau jenes Bild – diesmal allerdings ernsthaft positiv gezeichnet – das die Journalistenkaste gewisser großer deutscher Zeitungen, mit denen der Interviewer womöglich auch noch eine Rechnung offen hat, sonst allzu düster an die Wand malt. Sehr genau merkt man den Fragen gründliche journalistische Recherche, aber mangelndes theologisches Tiefenwissen an.

Allein durch die Raffinesse des Gesprächspartners (Papst) erscheint das Interview doch nicht ganz so hoffnungslos antimodern und zukunftspessimistisch, wie Interviewer Seewald das vielleicht gerne gehabt hätte. Immerhin lässt sich Benedikt auf einige Spielchen nicht ein. Dass Peter Seewald allerdings definitiv ein Fan des Papstes ist, dürfte es diesem womöglich auch nicht leichter gemacht haben, sich aus dessen kommunikativen Zwangsvorstellungen zu befreien. Ja, man muss Benedikt bedauern dafür, dass seine größten Unterstützer sich doch einen viel konservativeren und mithin weniger rational-denkenden Papst wünschen, als Benedikt alias Joseph Ratzinger nun mal ist. Jedenfalls ist das Papstbild schon zu sehr von Seewalds Vorannahmen über seinen Wunschpapst vorgeprägt (der, wenn schon nicht ein wahrer Johannes Paul III., so doch wenigstens so ähnlich oder mit ihm eng befreundet wäre). Das Ergebnis fällt dann wohl unter die Kategorie „Self-fulfilling Prophecy“.

Seewalds selbst-erfüllende Vorannahmen, die in einigen Fragen deutlich mitschwingen, wären:

  • Das Zweite Vatikanische Konzil sei ein notgedrungenes Zugeständnis an die (böse) Moderne, ließ sich halt leider nicht vermeiden.
  • Der Papst tut letztlich nur seine Pflicht und hält sich an das Kirchenrecht.
  • Die biblischen Texte seien besonders zeitnah und in „beispielloser Texttreue“ überliefert (S. 202), historisch-kritische Exegese daher zumindest fragwürdig.
  • Die katholische Kirche, besonders die in Rom, würde immer missverstanden und selbst von innen heraus durch liberale gallikanische Kräften bedroht.
  • Dass die katholische Kirche in Deutschland durch Kirchensteuern gestützt wird und dass es staatliche Religionslehrer gibt, sei dem römischen Glauben eher abträglich.
  • Eine innere Reinigung tue Not, die Kirche sei wie eine Arche Noah (für die wenigen aufrichtigen Katholiken).
  • Die moderne Welt sei dem Untergang geweiht, die Apokalypse könne (oder sollte am Besten) kurz bevorstehen, am besten noch in diesem Pontifikat.

Demgegenüber zeigt sich Papst Benedikt sehr konziliant, wissend und vorsichtig, berichtigt meist auch die allzu tendenziösen Teile, lässt sich oft aber auch von romtreuen Lob einlullen. Teils liegen Berichtigungen womöglich auch nicht in seinem bewussten Interesse. Es bleibt dann beim doch eher konservativ-antimodernen Bild, was durchaus schade ist. Letztlich gelingt es Seewald somit nicht, den Papst für den Leser wirklich als einen Brücken bauenden, intellektuell erhabenen Menschen zu erhellen, der über ein eher rückwärtsgewandtes katholizistisches Milieu weitsichtig hinaus blickt oder es zumindest könnte.

Des Papstes Antworten sind allesamt sehr klug, aber bleiben allzu artig. So verharrt man zweisam in Selbstverteidigung, bei theologischen Lieblingsthemen des ehemaligen Theologieprofessors, wie z. B. Wiedervereinigung der Christen unter dem Primat des Papstes, die rechte(!) Liturgie und die besonderen Vorteile, Aufgaben und Schwierigkeiten des geistlichen Standes. Aus intellektueller Korrektness spielt auch das Ökologische und die Kapitalismuskritik jeweils eine Gastrolle. Ja, man erfährt auch, dass der Papst ein (gutbürgerlicher) Mensch ist und ein bisschen sowas wie ein Privatleben hat, dass er Zeitungen liest, Fernsehen guckt und manchmal auch DVDs von Don Camillo und Peppone, d.h., dass er auch Humor hat. Aber die Gedanken sind dann dennoch eingekreist. Viel bleibt in altbekannter Topologie stecken.

Schade eigentlich. Man erahnt zwar, dass vielleicht doch noch mehr möglich gewesen wäre. Dass manche Fragen einfach fehlen und dass die übrigen ein klares Raster erzwingen. Warum eigentlich? War es insgeheim so vorgegeben, absprochen und sollte es indirekt ermöglichen, sich zu rechtfertigen oder intellektuelles Niveau zu zeigen?

Das wäre dann nur teils gelungen, allein, weil für die eigentlichen Antworten meist zu wenig Raum bleibt. Zwar liest man durchaus Brillianz in den Antworten. Doch bleibt der Papst in bewusster Wahrung seiner Rolle bei vorsichtigen und eher vagen Ausbruchsversuchen und besonders der Interviewer weiß mit dem durchaus vorhandenen Optimismus des Gesprächspartners nicht so recht etwas anzufangen – bleibt seinem eher kulturpessimistischen Denken bis zum Schluss treu und verschiebt das Reich Gottes auf das Jenseits.

Das Buch insgesamt verharrt so weithin in Verteidigung aus romtreuer Perspektive gegen die bösen modernen Medien und Systeme, gießt letztlich damit aber nur weiteres Öl ins ewig brennende Lamento gutsituierter, konfessionstreuer Bürgerlichkeit, produziert pseudo-eschatologisches Endzeitdenken, welches wie auch sein atheistisch-säkulares Pendant eigentlich nur das eigene Ableben und das des abendländischen Kulturkreises herbeiredet bzw. -sehnt, statt wirklich zu neuer Hoffnung aufzubrechen und wirklich Christsein in der Gegenwart zu wagen.

Nein, Untergangsapologetik brauchen wir nicht noch mehr! „Licht der Welt“-Sein, das bedeutet doch etwas mehr als das. Wahres Licht ist nicht nur ein perspektivischer Spiegel, sondern es leuchtet und strahlt auch aus sich heraus. Dazu braucht es aber deutlich mehr Zuversicht und Weitsicht und Kreativität – Kreativität im eigentlichen Sinne als Teilhabe an der Schöpfung.

Um dies zu ermöglichen im Interview, hätte man aber offenere Fragen stellen müssen, mithin selbst Aufbruch und Offenheit wagen. Dieser ist so allenfalls ein hypothetisch erdachter. Es wäre daher womöglich deutlich klüger gewesen, wenn statt Seewald ein Nicht-Katholik das Papst-Interview geführt hätte, vielleicht sogar ein Nicht-Christ. Dies hätte einen echten Dialog erzeugt. So aber bestätigt sich lediglich ein Vertreter eines bestimmten katholischen Milieus selbst und gibt seinem Idol die Ehre.

Literatur

  • Seewald, Peter (Hg.): Benedikt XVI. – Licht der Welt, Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit, Ein Gespräch mit Peter Seewald, – 2. Aufl., Herder-Verlag, Freiburg; Basel; Wien 2010.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.