Prestigedenken

Prestigedenken ist der Anfang vom Ende. Prestigedenken ist der Totengräber einer jeden Sache – Prestigedenken führt in den Untergang, IMMER.

Es gibt auch andere schlimme Dinge – Pragmatiker beispielsweise, welche vorgeben, Dinge nur aus Realismus und Vernunft zu tun und dabei meistens doch noch ganz andere Ziele im Hinterkopf haben, oder aber, das genaue Gegenteil, überzogene Idealisten. Aber selbst wenn es nur ums Prinzip geht, dann besteht wenigstens noch Hoffnung und mit Leuten, welche pragmatisch sein wollen, kann man wenigstens noch mit der von ihnen so sehr verehrten Vernunft argumentieren.

Aber wenn’s ums Prestige geht, dann ist Feierabend. Dann liegt die Sache nicht im Argen, sondern schon im Sarg – und der ist zugenagelt. Prestige hat mit Vernunft ebensowenig zu tun wie mit Idealen, sehr viel aber mit Selbsttäuschung und mit individueller oder gemeinschaftlicher Überheblichkeit – und es beginnt ganz unscheinbar mit dem Stolz, der ersten Treppenstufe auf dem Weg nach unten.

Sobald es um das Prestige geht, dann zählt die Vernunft nicht mehr, auch nicht die Wahrheit und noch nicht mal nackte Tatsachen. Prestige, jenes Leichentuch, was sich wie mutierte Seerosen erst hübsch über einen Teich legt und ihm dann sehr nachhaltig die Luft zum Atmen nimmt, Prestige macht aus dem schönsten Biotop eine Lache von Brackwasser, eine Kloake. Worum es dann nur noch geht, ist der Schein des Heiligen, Scheinheiligkeit, die Lebenslüge, die ganz bewusst als Schleier der Unwissenheit über alle Dinge gelegt werden muss, die man so einfach nicht wahrhaben will. Denn es geht ja um das Prestige!

Daher kann man Leuten, die an Prestige, Prestigebauten oder andere Prestige-Events glauben wie Fanatiker an ein goldenes Kalb, auch nicht mit der Bitte um Recht, Wahrheit oder Vernunft zu Leibe rücken, denn die kennen sie zwar meist, wollen sie aber lieber verdrängen, begraben und zuschütten. Meist geht damit dann auch das Gewissen der Totengräber verschütt. Man fürchtet um sein eigenes Leben und hat es letztlich schon verloren. Da sie wie Pestverseuchte gezwungen sind, lebenslänglich Masken zu tragen, verkommen sie schließlich selbst zur Staffage ihres eigenen Prestige-Götzen, werden unfreiwillige Komödianten in einer automatisierten und meist zunehmend entseelten Pflichtveranstaltung, der das Publikum davonzulaufen droht.

Ab und zu bemerkt einer der Zuschauer aber doch in der Zeit, was Sache ist, steigt auf die Bühne, zieht das Tuch vom Gerippe und zeigt auf den nackten Toten. Dann ist es, ganz klar, längst viel zu spät, um noch etwas zu retten, der allgemeine Jammer aber ist groß und die Schande auch.

Häufiger aber geschieht nichts. Dann bleiben einfach die ehemaligen Prestigeobjekte wie schiefe Grabmale in der Landschaft stehen und die Leute sagen: „Seht her, was hatte man sich damals doch für große Hoffnungen darauf gemacht! Was hatte man sich davon nicht alles versprochen!“, oder in Abwandlung, wenn es sich um Prestige-Events handelt und man die mechanisch aufrecht erhaltenen Zombies dabei betrachtet, wie sie sich langsam an den Ecken und Kanten der Realität zerschürfen: „Wie schade! Angefangen hatte das ja doch damals noch mit so viel Schwung, Elan und Idealismus. Und man hatte sich doch so bemüht!“

Will man LEBEN und keinen Totenkult betreiben, so tilge man jegliches Prestigedenken gänzlich aus seinem Handeln: Man bleibe selbstkritisch, prüfe stets, was man tut und plant und bleibe fähig, Kompromisse zu schließen. Man schaffe sich keine Götzen, laufe nicht irgendwelchen Moden nach und verzichte auf unnützen Tand ebenso wie auf das Lob elitärer Cliquen. Denn derjenige, der mit sich selbst wirklich im Reinen ist und der aus Vernunft und in Übereinstimmung mit der Wahrheit handelt, statt Trugbildern nachzulaufen, ist sich selbst genug, wie auch die Vernunft, die Wahrheit und das Recht – drei Dinge, die sich letztlich sowieso immer durchsetzen.

Über Martin Dühning 1523 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.