Deja Vu der Abstürze

Die 90er Jahre – ungezählte Computerabstürze, Geräte, die von Anfang an vor Defekten strotzten und gewiss nicht das taten, wozu sie beworben wurden. Betriebssysteme, unfertig auf den Markt geworfen ohne Hoffnung auf echte Fehlerpatches und alle lechzten nach DEM Update, das Abhilfe schüfe, der nächsten Version, die besser sein würde und endlich die Erwartungen erfüllen. In der Zwischenzeit gewöhnte man sich an so manche Unmöglichkeit und vertat viele Stunden seines Lebens mit Elektronik, die GANZ BESTIMMT nicht das tat, was sie sollte. So fern diese Zeiten heute schon scheinen, so nahe sind sie uns doch wieder.

Fast 20 Jahre später wiederholt sich nämlich die Geschichte. Die Protagonisten sind sogar teils die gleichen. Apple spielt wiederum eine noblere Vorreiterrolle, im i-Zeitalter aber mit einer wesentlich größeren Nutzerbasis, was neue, mächtige Herausforderungen für dessen Support schafft. Dennoch sind elitärer, oft quasi-religiöser Anspruch und das zugehörige Korsett für den gläubigen Apple-Nutzer das gleiche geblieben. Hier gibt es zweifellos – ähnlich wie damals schon bei den Macs – mehr Qualität, aber eben nicht die große Freiheit. Die Hardware ist oft künstlich funktionsbeschränkt, die Software monotheistisch auf den heiligen Apfel zentriert nach dem Motto: „Du sollst keine anderen Götter neben iTunes haben“.

Glaubensfreiheit (oder zumindest eine Abwandlung von Technikgläubigkeit) versprechen andere Anbieter, liefern dafür aber allzu oft halbgares Zeugs, was noch nicht wirklich funktioniert und in einigen Fällen auch wohl nie wirklich funktionieren wird – weil die nötigen Softwareupdates die Gewinnmargen zu sehr schmählern würden. Weiß man doch, dass der Mensch von heute, ungeduldig wie er ist, lieber gleich das nächste Smartphone oder Tablet kauft, als über Monate ein Update abzuwarten.

Verwunderlich ist nur das schlechte Gedächtnis gerade der Mittdreißiger und Mittvierziger, denen das doch eigentlich irgendwie müsste bekannt vorkommen. Die Situation, dass einem der elektronische Butler am Tag mehrmals abstürzt und gewiss nicht auf Anhieb das tut, was er soll, hatten wir doch eigentlich schon mal. Doch schien sie seit MS Windows XP vergessen. In der Welt der Smartphones und Tablets, wie ich leider feststellen musste, wird aber durchaus wieder Alltag, was längst als überwunden galt – zurück zur abenteuerlichen Zeit vor der Sintflut. Zwei Tablets habe ich nun besorgt, von denen ich eines – das qualitativ deutlich anspruchsvollere – wegen Garnichtfunktionierens sofort wieder zurückschicken musste (Nachlieferung nicht möglich, da ausverkauft). Das zweite, verhältnismäßig bescheidene, behielt ich bislang in mäßiger Ernüchterung, da auch dieses leicht fehlerhaft ist: Ein störendes totes Pixel verunziert das Display und der USB-Anschluss hat auf der Platine definitiv einen Wackler. Aber 200 EUR gelten heute wohl als nicht mehr genug, um wirklich passable Hardware zu erhalten.

Dabei sind die Ansätze ja ganz gut. Denn meine zweite Anschaffung, das Creative Ziio 7, hat ja theoretisch einiges zu bieten – und es bietet ja, von obigen individuellen Mängeln abgesehen, ja auch schon einiges – teils böte es sogar mehr als das teurere Apple-Pendant. Aber wirklich ausgereift war bislang noch kein Tablet, das mir untergekommen ist – nicht mal die von Apple. Oft sind es nur geringe Details, die einem die praktische Nutzung vergällen. Beispielsweise ein fehlender Schacht für die inzwischen zum Quasistandard gewordenen SD-Karten (die 7-Zoll-Variante des Ziio versteht sich immerhin auf Mini-SD), ein unzuverlässiger USB-Port (was wohl bei Android-Geräten nicht so selten vorkommt, wie man diversen Foren entnehmen kann). Oder schlicht der Mangel an passender Software – mit dem Ziio darf man nämlich nicht in den Android-Store und der Creative-eigene hat noch nicht wirklich viel zu bieten. Oder der Umstand, dass noch kein einziges Display irgendeines aktuellen Tablets im sonnigen Gartenpavillon wirklich ablesbar wäre. Abgesehen davon ist das Ziio 7 ein wirklich prächtiger MP3-Player, der sogar Videos abspielen und streamen kann. Viel mehr allerdings ohne Software und besseres Display aber nicht – trotz der sinnigen Stiftbedienung. Wieder einmal zerfloss der Traum vom Zeichentablet zum Skizzieren von Freilandszenen. (Vielleicht macht Amazons künftiges Tablet oder das von HTC da ja was besser, falls mal was größeres, wirklich freilandtaugliches kommt.)

Überhaupt kann ich nicht verstehen, welchen Reiz es ausmachen soll, sich seine Augen mit Videos auf Miniaturdisplays zu verderben im Zeitalter von 27-Zoll-Bildschirmen oder mit Software, die in ihrer Funktionalität sogar den PC-Versionen von Mitte der 90er Jahre deutlich nachsteht. Es mag zwar für manche lustig sein, mit Fettfingern auf kleinen düsteren Bildschirmchen herumzuwischen, aber mehrere hundert Euro dafür auszugeben, finde ich dafür absolut zuviel. Es soll durchaus sogar eine Menge Telefone geben, die alles Mögliche können – außer normale Telefongespräche. Was z. B. gegen einfache, klassische Hardware-Tasten spricht, die z. B. im Winter auch mit Handschuhen zu bedienen wären, ist mir noch nicht wirklich aufgegangen. Vielleicht lässt sich mit dieser praktischen, aber einfachen Funktion einfach nicht genug an Patenteinnahmen erzielen. Höchst ärgerlich ist auch der Wildwuchs an allen möglichen Adaptern und Zusatzgeräten, ohne welche die meisten der angepriesenen Fähigkeiten gar nicht nutzbar sind.

Was die Software angeht, scheint Apple zumindest hier wieder einmal die Nase vorn zu haben. Android, selbst in Version 2.2 und in Teilen gar 3.0.1 scheint noch nicht wirklich ausgereift, der Datenschutz wird von den meisten Internetfirmen offenbar ohnehin hinten angestellt gegenüber der Nutzerdatenverwertung. Mir persönlich ist Datenschutz aber wichtig. Ich mag es weiterhin nicht, wenn man mich mit einem Gerät permanent orten oder erreichen kann. Und nur, um überhaupt Zugang zu irgendwelchen Appstores zu bekommen, werde ich mir gewiss auch keine Handy-Karte zulegen. Mobiltelefone mag ich nicht. In der Lauchringer Breitbandwüste können mir „cloudbasierte Systeme“, die nur mit permanentem Internetzugang sinnig werden, gestohlen bleiben. Und selbst, wenn man Handys hegt und in einer Stadt mit Breitbandanschluss lebt, werden es nur wenige schätzen, ihre kostbare Zeit mit halbgaren oder abstürzenden Geräten und Apps totzuschlagen. (Nun ja, man sollte das zumindest meinen. Die Verkaufszahlen sagen da momentan etwas anderes.)

Gut, es gibt immerhin ein leichtes Qualitätsgefälle. Wiedereinmal scheint es, als wenn die Apple-Konkurrenz erst mit einer Version 3.1 massentauglich wird aufschließen können – nur dass der Konkurrent diesmal nicht Microsoft Windows, sondern Google Android heißt. Und mit dem Blick auf die Desktopversionen moderner PC-Plattformen – die inzwischen fast alle nahezu fehlerfrei und vergleichsweise benutzerfreundlich funktionieren – mag ich eigentlich nicht mehr zurück in die stressige Urzeit der Wackel-EDV. Genau dieses Bild bietet aber gerade noch die „schöne neue Welt“ der Smartphones und Tablets, wo Fehler, Sparmaßnahmen und mangelnde Features wie damals in den 90ern dem Kunden als Features verkauft werden und teils wissend trojanische Pferdlein verteilt werden, die Hackern Tor und Tür zum eigenen Bankkonto öffnen.

Es wäre echt mal Zeit für eine bewusste Gegenbewegung. Ich finde, man muss sich ohnehin nicht allerorten mit unnützer Elektronik zudrahten, wenn man es nicht wirklich auch braucht bei der Arbeit – und das tun dann doch die wenigsten Möchtegern-Businesser, welche sich mit ihren hippen Smartphones und ach so trendigen Tablets oft nur wichtig machen. Abgesehen von der unbezahlbaren Lebenszeit, die einem als unfreiwilliger Betatester so verloren geht, werden mit dem habgaren Zeug auch noch millionenfach seltene Rohstoffe vergeudet, die nicht erst künftigen Generationen fehlen werden, sondern heute eigentlich schon Mangelware sind.

Aber irgendwie scheint dieser Generation in ihrem Technikwahn der Sinn für Zweckmäßigkeit bei Produkten verloren gegangen zu sein. Wer kauft heute schon ein Gerät, dass länger als die Mindestgarantiezeit hält und das man zur Not auch noch reparieren kann. Stattdessen rennt man jeder neuen Mode nach und fühlt sich auch noch gut dabei…

Über Martin Dühning 1523 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.