Spirituöse und säkulare Flaschen

Es gibt eine Reihe von sogenannten „besonders frommen“ Menschen zur Linken und zur Rechten, die Glauben mit einer spirituösen Angelegenheit verwechseln, die einem guten Weine gleich in möglichst tiefen Kellern zu lagern hat und in keinerlei Form zu bewegen sei, auf dass sie möglichst gut gedeie und ein einzigartiges Bouquet entwickle. Diese besondere Anschauung treibt gerade auch dort die absonderlichsten Blüten, wo die Gesellschaft säkular geworden ist, oder anders formuliert, sich „betont individualistisch“ konzipiert.

Indem man aber Religion zur individuellen Kunstform stilisiert, nimmt man ihr jeglichen rationalen Lebensbezug. Sie kann dann nur ästhetische Gegenwelt werden zu einer zwangsweise weniger ästhetisch anmutenden Alltagswelt. Darin stimmen Religionsästheten mit Säkularatheisten in seltsamer Weise überein. Dualismus verweist zwangsweise immer auf seine Gegensätzlichkeit, ist zugleich darauf angewiesen.

Es ist in sehr hohem Maße zweifelhaft, ob sich diese Anschauung von Religiosität auch nur ansatzweise mit der Botschaft Jesu vom Reich Gottes verträgt, das immer auch schon im Alltag anbrechen soll. Eine allzu eklektizistische Spiritualität lenkt jedenfalls vom lebendigen Atem Gottes ab, welcher Heiliger Geist ist, kein Weinflaschengeist, den man etikettieren und in heimelige Keller wegstöpseln könnte. Insofern ist es eine höchst gefährliche Sache, wenn sich Kirche immer mehr in ihre heiligen Kellerräume zurückzieht und um jeglichen Ärger mit Andersdenkenden oder auch in den eigenen Reihen lieber zu vermeiden (man fürchtet um seine guten Jahrgänge), dann letztlich nur noch „wahren Kennern und Genießern“ – oder selbsternannten Messweinexperten – Zutritt zu seinen klandestinen Schatzkammern gewähren möchte.

Nimmt man die Botschaft von Pfingsten ernst, muss man doch eher alle Türen und Tore weit aufreißen, damit der Herr hinein kann und man selbst hinaus in die weite Welt ziehen, denn dort spielt sich gelebter Glaube ab. Christlicher Glaube ist eben keine erlesene Weinprobe, bei der man sich zu besonderen Anlässen mal kulturfreudig beschwippsen könnte. Das wird dem Anspruch der christlichen Botschaft nicht gerecht, genauso wenig jedenfalls wie die Ansicht von Säkularisten, man könne, um sich über Religion ein angemessenes Bild zu machen, mal auf die Schnelle Sightseeing-Touren in die christlichen Weinkeller veranstalten, quasi um diesen Wein mit anderen zu vergleichen. Glaube reduziert sich nicht auf Kulturevents und Symbolmuseen.

Genau genommen realisiert sich Glaube sogar viel weniger in solchen Flaschen als im realen Leben – und zwar im Leben und Arbeiten im großen Weinberg, um im metaphorischen Rahmen zu bleiben. Es ist im eigentlichen Sinne schnöde, schwere und oft wenig ästhetische Alltagsarbeit, karitativer Dienst am Nächsten, oft auch eine sehr mühsame und von Unsicherheit und Streit begleitete Suche nach dem richtigen Weg durch die immer wieder neu gestellten moralischen Anfragen der Gegenwart. Festlichkeiten gibt es schon, aber sie sind die dafür nötigen Sammel- und Ruhepole, nicht die Hauptsache.

Es sind von Jesus keinerlei Gleichnisse über das Anlegen von Weinkellern und Horten von Weinflaschen bekannt, einige jedoch über Weinberge und das rechte Verhalten der Arbeiter darin und was die Lagerung betrifft, gibt es immerhin ein bekanntes Spruchwort über alte und neue Weinschläuche mit deutlicher Warnung, dass neuer Wein nicht in alte Schläuche gehört und umgekehrt. Weinschläuche aber verwendet man gerade nicht zum Einlagern, sondern zum Transport auf Reisen und zum Austausch und Handel mit Anderen. Christlicher Glaube ist nur im Austausch, in der Kommunikation und in Gemeinschaft mit Anderen möglich. Darum dreht sich die Botschaft vom Reich Gottes.

Vielleicht sollte man sich davon auch heutezutage von der wahren Wurzel des Weinstocks etwas stärker inspirieren lassen als von manchen selbsternannten Flaschenetikettierexperten in ihren hübsch abgesonderten Kellerchen, welches Bouquet sie auch bevorzugen und wie sie sich gerade auch immer nennen mögen.

Über Martin Dühning 1501 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.