Die schaurige Macht des Konsums

Dunkel ist’s. Kein Mond scheint. Nebel wehen über den Friedhof und auf den Straßen laufen satte deutsche Bürgerskinder und sammeln schaurig Süßigkeiten. Es ist wenige Jahre her, da gab es noch Opposition gegen Halloween. DAMALS, als das neugeschaffene Fest in einem wahrlich bis dato unerreichten Medienhype, vor allem von Seiten der privaten Fernsehsender, in deutsche Kinder- und Elternhirne getrichtert wurde, sehr begrüßt von der deutschen Süßigkeitenindustrie. DAMALS, denn wer hat heute noch den Nerv, nervtötende Nachbarskinder ohne selbige abzuweisen, wenn sie fröhlich klingeln, hier wie überall, inzwischen von Kindergärten und Grundschulen breitflächig pädagogisch flankiert, zu Halloweenfeiern und Süßigkeitensammelzügen aufbrechen.

Da hat man uns möchtegern-kritische Normalbürger bei den wunden Stellen des modernen Individualisten gepackt: der mangelnden Geduld, dem schlechten Langzeitgedächtnis und dem mangelnden Verständnis für echte Traditionen. Wie gesagt, der Widerstand ist inzwischen weg, ja es ruft bei den Nachbarn nur wirres Kopfschütteln hervor, wenn man sich auf mitteleuropäische Kulturgepflogenheiten beruft, die eine Naschkatzenverköstigung am Vorabend zum Totengedenkfest Allerheiligen durchaus nicht vorsehen, dagegen einen echten, eher stillen Gräberbesuch am Folgetag und dann später im Advent, der sogenannten „Lebkuchenzeit“, eigentlich eine richtige, wenig glitzernde vorweihnachtliche Fastenzeit.

Aber so ist das halt: Wir glauben an den schokoladigen Weihnachtsmann, den frühlingsmodigen Osterhasen und manch andere ergötzliche Kunstwesen, aber nicht an den mahnenden biblischen Gott. Wir haben uns unlängst an von der Blumenindustrie propagierte pseudoheilige Festlein wie Valentinstag oder den sogenannten „Muttertag“ ebenso gewöhnt wie an längst zum Standard gewordene Sonntagsverkäufe am christlichen Ruhetag, die neuerdings sogar von gutbürgerlich-christlichen Gewerbevereinen selbst in der Provinz mit heiligem Eifer verkündiget werden. Man nennt sie dort „Weihnachtsmärkte“ oder „verkaufsoffene Adventssonntage“ und sie mögen auch als Ersatzgottesdienst für müßige Weihnachtsmenschen herhalten in einer Zeit des allgemein gefühlten Seelenheil-Mangels, wo „Seelsorgeeinheiten“ zu seelenlosen Managementverbünden verblassen, Esoterikläden wie einst Waldpilze überall aus dem Boden sprießen und von findigen Werbemanagern erdachte Ersatzfigürchen zur individuellen Wellnessförderung das ganze Jahr über gerade recht kommen.

Ganzjährig kippen wir nun den Kindern die Kohlehydrate in Bonbon-Form in den Schlund, später tun sie das dann ganz von selbst, noch etwas später in destillierter Form dann hinter die Birne und schließlich fühlen sie sich nur noch in vorgeheiztem Zustand festlich-fröhlich. Wir Erwachsene aber sind dann erstaunt und wundern uns in tiefster Seele darüber.

Wahrlich, in gewisser Weise ist das auch Gottesdienst, doch ein Beten zum falschen Gott. Der ist wohl eher ein Baal der Wohlstandgesellschaft, der allgegenwärtige Geld- und Konsumgott Mammon, dessen Tempel die Banken und Börsen und dessen Psalmen süßer nie klingelnde Kassen und und in den Himmel steigende Dividenden sind – oder sonst irgendein Wohlstandsgötze. Aber der Hüter Israels wird so gewiss nicht geheiligt. Was würden wohl ein Amos oder Jeremia dazu sagen? Oder ein Kant oder Freud? Wir malen es uns lieber erst gar nicht aus…

Ich würde mir wünschen, dass die lieben Kinderlein mit dem selben Eifer, mit welchen sie nun ganz selbstverständlich und ganz allein für sich selbst schaurig-kalorienreiche Süßigkeiten sammeln, vielleicht nur mit halbem Eifer mal etwas für die Hungernden am Horn von Afrika tun. Oder dass die ach so sorgsamen Eltern ihre Kinder, statt sie mit künstlichen Kohlehydraten moderner Industriekonfiserie vollzustopfen, wenigstens auf nachhaltige und gesunde Kost achten würden und ihre Zöglinge auf den Wert von Lebensmitteln hinweisen würden, was bei uns wirklich Not tut. Denn die Hälfte auch der Süßigkeiten landet wohl wieder im Müll, wo stattdessen eigentlich die ganze Art dieses Feierns hingehört.

Seltsam, dass sich Feste zur sozialen Gerechtigkeit oder zugunsten der Umwelt nie durchsetzen. Oder auch nur solche für die minder Bemittelten gerade auch in unseren Breiten. Vielleicht fehlt ihnen inzwischen aber auch die Lobby, welche die Medien für sie beeinflusst. Doch das Monopol der Medien ist eigentlich durchbrochen. Leben wir nicht im Zeitalter „sozialer Netzwerke“? Warum forciert nicht einmal jemand über Facebook neues Umwelt-Thanksgiving mit ökologischem und sozialen Nachhall?

Warum feiern wir heute immer nur, was der Konsumindustrie passt?

Warum schaffen wir uns, wenn wir uns doch für so aufgeklärt und mündig halten, pseudoreligiöse, konsumistische Ersatzrituale?

Und warum bringen wir diese niveaulose, selbstgefällige und völlig unmündige Lebensgestaltung unserer Kindern auch noch mit heiligem Eifer bei?

Über Martin Dühning 1523 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.