Kommentar zur Weihnachtsmanninvasion am KGT
„Nicolaus kommt von NICOS, das ist Sieg, und LAOS, das ist das Volk, und heißt also: ein Überwinder des Volks, nämlich aller Untugenden, die gewöhnlich und gemein sind“, – so beginnt Jacobus de Voragine sein Kapitel über Sankt Nikolaus in der berühmten Legenda Aurea. Freilich kann man sich heute mit Fug und Recht fragen, ob der Sieg des legendären christlichen Bischofs aus Myra von Dauer war.
Der Siegeszug des Weihnachtsmannes dagegen scheint nicht mehr aufzuhalten, auch nicht am Klettgau-Gymnasium. Was vor Jahren im Kleinen begann und damals teilweise noch soziale Hintergedanken hatte, hat sich heute zu einem gigantomanischen Catering-Act gesteigert, der wahrlich seinesgleichen sucht. 50, teilweise 80 großformatige Weihnachtsmänner à 20 cm pro Klasse haben sich per postalischem Bestellsystem über die SMV da manche Schüler füreinander bestellt – und alle haben sie bekommen.
Der logistische Aufwand bei einem Gymnasium mit 1090 Schülern und über 80 Lehrkräften ist gewaltig und die SMV kann stolz darauf sein, dass sie alle der weit über 2000 Schokostangenmanneken über ihren modisch zipfelbemützten Auslieferungs-Service pünktlich zustellen konnte. Stolz verzehrte so mancher Fünft- und Sechstklässler seine bis zu sechs großen Weihnachtsmänner und ließ dafür dann später seinen Eintopf mit Würstchen beim Mittagstisch ungenutzt Retour gehen, das haufenweise. Auch in höheren Klassen und selbst im Lehrerzimmer war ebenso fröhliche Beschenkung angesagt. Mancher Lehrer konnte stolz ein Dutzend Schokoladenmänner auf seinem Tisch versammeln. Ein sehr eindrückliches Bild.
Können wir aber wirklich stolz auf uns sein, auf eine solche völlig eigennützige, gigantische Selbstbeschenkung? Denn letztlich haben sich doch nur die besten Freunde gegenseitig beschenkt. „Tun das nicht auch die Heiden?“ würde ein berühmter Wanderprediger aus Nazareth anmerken. Die schiere Masse macht es nicht besser. Aber sie macht es doch recht eindrücklich. Ein Grund zum Stolz?
Die Antwort muss wohl jeder selbst finden, lautet die ausgegebene Devise. Mehr finden als das rote Männlein können wir in dieser Zeit aber kaum. Was hätten wir auch für Alternativen? Schokonikoläuse statt Weihnachtsmänner? Lebkuchen? Oder gar: puristisches Fasten? Wer sucht, der findet, sagt man. Aber muss man? Suchen? Wozu?
Immerhin sei angemerkt, dass während am KGT sich mancher seinen Ranzen mit Naschwerk und Schokolade übermäßig gefüllt hat und sich Europa in den Medien vorrangig um seine Währung sorgt, in Afrika immer noch die schlimmste Hungersnot herrscht seit den 80ziger Jahren. Damals hatte es in Europa zeitgleich noch großangelegte Spendenaktionen gegeben. Heute sorgen wir uns vorrangig um unseren eigenen Wohlstand, tanken die Erwachsenen der Weltbevölkerung daher „umweltbewusst“ das Essen weg (Biosprit) und die Kinder lassen es sich jederzeit gut gehen, weil es vielleicht kein Morgen mehr gibt. Vom heutigen Wohlstand etwas abgeben oder Spenden ist nicht mehr IN. Nicht mal für die Klassenkasse.
Ein schlechtes Gewissen hat die Masse dabei nicht. Warum auch? Lieber lässt man es sich gut gehen, um Probleme sollen sich andere kümmern (und um den Müll auch). Man kann für diese Einstellung, die sich auch am Klettgau-Gymnasium inzwischen fast überall breit gemacht hat, eigentlich nur ein einziges passendes Wort finden: DEKADENZ!
Viele Dekaden ist es auch schon her, seit im 4. Jahrhundert Nikolaus von Myra sich gegen eben eine solche Dekadenz zur Wehr setzt, die Dekadenz der Römer im glänzenden Rom der Spätantike, die sich mit unverdientem Getreide den Bauch vollschlugen, das sie als Stadtvolk vom Kaiser als „Geschenk“ abverlangten – dafür waren wohl auch die Galeonenladungen mit Weizen im Hafen von Myra bestimmt, nicht aber für die hungernde griechische Bevölkerung. Es bedurfte schon damals viel, sich gegen den Zeitgeist zu stellen und nur wenige tun das bis heute. Umsonst oder aus Eigennutz kann man aber niemals gut sein.
Der alte Nikolaus musste sich gegen allerlei rationale und finanztechnisch durchaus vernünftige Erklärungen zur Wehr setzen, setzte sich gegenüber dem Flottenkapitän aber schließlich durch und half so vielen hungernden Bürgern. Das war verwegen und sicher nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber es brachte Glanz in die Augen der notdürftigen griechischen Bevölkerung, die es in ihrer echten Not mit echter Dankbarkeit aufnahm. Die Legende hat seine glanzvolle Tat im Kleinen zu einem großen Wunder ausgeschmückt. Jacobus de Voragine gibt seinen frommen Lesern in der Legenda Aurea deshalb noch eine zweite (etymologisch allerdings nicht ganz korrekte) Erklärung für den Namen Nicolaus: „Oder es kommt von NITOR, Glanz, und LAOS, Volk: Glanz des Volkes; denn in ihm war das, was rein und glänzend macht.“ – Von diesem wahren Glanz, notfalls auch ganz ohne Wunder, bräuchten wir wieder etwas mehr. Er kann, so de Voragine, aber nur von Innen kommen, nicht von Äußerlichkeiten oder gigantomanischen Events.
Das schokoladige Weihnachtsmännerheer, mit dem wir uns heute geradezu maßlos zugeschüttet und teils wirklich vollgefressen haben, wirft ein wenig gutes Licht auf unsere Gemeinschaft. (Völlerei galt früher übrigens als die sechste der sieben Todsünden.) Von ihrer glänzenden Seite hat sich die KGT-Bevölkerung damit wirklich nicht gezeigt!
Geglänzt hat wieder einmal nur das Äußerliche – in diesem Falle die Zellophanhüllen ganzer Legionen von Weihnachtmännern. Und nur diese hatten heute einen wirklich glänzenden Sieg über das Volk – NIKO LAOS…