In der letzten Juniwoche wurde das lang erwartete neue Stück der Theater-AG aufgeführt. Diesmal stand „Raus aus Åmål“ auf dem Spielplan. Die Regie hatte Nancy Liebig übernommen, zum ersten Mal am KGT, aber man merkt der Inszenierung an, dass eine routinierte Fachfrau am Werk war.
„Raus aus Åmål“ behandelt das Beziehungsdrama um die 16jährige Agnes, die in ihrer neuen Heimat, der skandinavischen Kleinstadt Åmål, keine Freunde gefunden hat und von der dortigen Jugendclique gemieden wird. Was die Situation noch erschwert, ist, dass sich Agnes zudem unsterblich in die Dorfschönheit Elin verliebt hat – eine lesbische Neigung, die von Jugendlichen wie Eltern nicht wirklich verstanden wird.
Das Stück, aufgeführt am 26. und 29. Juni am Klettgau-Gymnasium, hat damit inhaltlich durchaus wieder einmal das Zeug zum Skandal, denn ähnlich wie seinerzeit „Legoland“ oder auch „Krieg der Knöpfe“ geht es zwischen den jugendlichen Akteuren hart her. Doch im Gegensatz zu den vorgenannten Stücken ist die Grundbotschaft von „Raus aus Åmål“ letztlich positiv, das Stück endet diesmal nicht als Tragödie. Der offene Schluss entzieht sich einer plakativen Bewertung lesbischer Beziehungen, da das Stück zumindest in seiner KGT-Umsetzung nicht auf die Frage der Homosexualität reduziert wird, auch nicht auf „Adoleszenzprobleme aus Pädagogensicht“, sondern individualisiert: Es ist die Geschichte von jugendlichen Personen, nicht von Ideologien. Wenn für die Zuschauer auch lange Zeit der rote Faden bzw. die „Hauptmessage“ nicht klar ersichtlich wird, weil die Geschichte manch unvorhersehbare Wendungen nimmt, passt das doch letztlich besser auf die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen als manch andere Problemstücke, die zuspitzend vereinfachen. Es geht letztlich nicht um ein einzelnes, tragisches Problem. Wichtig sind die Menschen von Åmål selbst.
Nicht nur das Stück wurde sinnig ausgewählt, die Vorlage von Lukas Moodysson wurde von der KGT-Theater-AG auch humorvoll und adäquat für Schauspieler wie auch heimische Publikum angepasst: So sprechen die kleinstädtischen Jugendlichen Alemannisch, die Partykultur der Jugendlichen aus Åmål ist der aktuellen in Waldshut-Tiengen abgeschaut (wenn auch überzeichnet), die Spielorte der eingespielten Videosequenzen sind KGTlern eigentümlich bekannt – z. B. die „Rammelplatte“ oder der neue Chillout-Party-Keller unter dem Pavillon.
Nicht zuletzt die sehr stimmige Besetzung der unterschiedlichen Charaktertypen und die trotz Hitze größtenteils sehr überzeugende schauspielerische Leistung der Mittel- und Oberstufenakteure trugen zu einem überzeugenden Gesamteindruck bei. Das gilt nicht nur für die beiden Hauptdarstellerinnen Noelle Barabas (als Agnes) und Nikola Rupp (als Elin), auch Elisa Held und Mirlinda Makshana überzeugten individuell in ihrer Rolle als Mütter und Jan Knoblauch gab einen trefflich gutmütig-planlosen Vater ab, wie Sarah-Ann Heuberger als Zickenschwester Jessica und Nicolas Meinen als Macho-Markus brillierten. Niklas Nuß sorgte als genial verpeilter Möchtegern-Lover für manchen Lacher.
Technisch kam das Stück weniger innovativ daher. Die vorhandenen KGT-Konventionen wurden bei der Inszenierung übernommen: die übliche KGT-Bühne (wieder einmal zu niedrig für die Zuschauer im Parterre), die KGT-Videoleinwand für Filmsequenzen per Beamer, diesmal bestückt mit von Heiko Groß erstellten Videos, die an den passenden Stellen abgespielt wurden und die größtenteils nur angedeutete Kulisse mit den durch die üblichen schwarzen Vorhänge vorgegebenen Standard-Ein- und -Ausgängen.
Dass hier aber nicht einfach nur KGT-Konvention imitiert wurde, zeigte sich vor allem in Details: Die Bühne war künstlerisch geplant mit einer Grand Armée durchaus sinnig plazierter Kuscheltiere ausgarniert, die individuelle Auswahl der musikalischen Hintergrundkulisse zeigt, dass sich jemand bis ins kleinste Detail Gedanken gemacht hatte: Gespielt wurden nämlich jeweils passend Titel aus der aktuellen Jugendszene, z. B. Goyte bei den entgleisenden Partyszenen, aber auch so seltene und erlesene Songs wie die von „Antony And The Johnsons“ im Zimmer der lesbischen Agnes. Die Auswahl war kein Zufall: Hier war definitiv ein musikalischer Kenner am Werk. Mit der Regisseurin Nancy Liebig war ja aber auch kein Neuling am Werk. Mag „Raus aus Åmål“ auch ihr erstes Stück am KGT sein, kann sie doch inzwischen auf eine bald zehnjährige Theatererfahrung an Schulen zurückblicken.
Im Vorfeld hatte die Inszenierung mit einigen Tücken zu kämpfen. Der Zeitpunkt war eher ungünstig. Insgesamt sechs Theater-Events standen und stehen in diesem Schuljahr auf dem Spielplan, trotz Doppelabitur und in der Woche der Aufführung ging die Europameisterschaft in die heiße Phase, der Hochsommer ebenso. Die Luft und Kraft aus vielen Lehrern und auch Schülern war raus, was man hinter den Kulissen feststellen konnte, aber keineswegs darauf: Dort spielte man mit großer Kraft und Konzentration. Diverse technische Probleme im Vorfeld waren bis zur Aufführung gelöst. Auch an Publikum mangelte es nicht – selbst am Freitag war die Aula gut gefüllt, denn es hatte sich herumgesprochen, dass sich das Stück zu sehen lohnte.
Organisatorisch klappte die Pressearbeit in diesem Fall perfekt, wofür der Regisseurin großes Lob gebührt: Endlich mal jemand, der mitdenkt, vorplant und alle Zuständigen rechtzeitig und auch in sehr höflicher Form informiert! Endlich einmal wieder ein Programmflyer, der diesen Namen auch verdient! Auch der SMV gebührt großer Dank: Sie ließ sich erweichen und übernahm trotz ihres Großprogramms in diesem Jahr auch hier noch einmal das Catering in den Pausen, was für Zuschauer wie Akteure gerade bei den heißen Temperaturen sehr hilfreich war.
Wenn man auch in diesem Jahr sagen muss, dass man als nebenbei voll berufstätiger Zuschauer mit der Masse der Veranstaltungen am Klettgau-Gymnasium schlichtweg überfordert ist und insbesondere die Gesamtzusammenstellung der Events einen inhaltlichen Masterplan vermissen lässt – von solchem Theater wie „Raus aus Åmål“ wünscht man sich mehr: Es war liebevoll inszeniert, war gefühlsvoll umgesetzt, passte zu Schauspielern und Publikum und die Botschaft macht Hoffnung fürs Leben im Alltag, ohne bloß zu verstören oder zu moralisieren.