Schüler vom KGT pfeifen den Kultusminister aus und das KGT schafft es ins Fernsehen

In Sachen Bildungspolitik läuft es nicht unbedingt rund im Ländle, tatsächlich ecken derzeit überall alle an und streiten sich mächtig. Sogar südlich vom Hotzenwald, wo sich angeblich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen, geht es zunehmend heiß her – denn es geht inzwischen ums Eingemachte.

Nicht jede Schule in Baden-Württemberg kann von sich behaupten, eine natürlich gewachsene Schulkultur zu haben. Allzu oft wird dieses Wort für allerlei künstliche Gewächse der Bildungsideologie missbraucht. Dass es aber Schulen gibt, wo Schule schon lange in der Realität Gemeinschaft bedeutet, ganz ohne den modischen Begriff „Gemeinschaftsschule“, dass dürften einige Bildungspolitiker zunehmend unsanft bemerken.

Noch noch tun sie das dann mit Hasstiraden gegen die Lehrerverbände ab, die angeblich Heulsusen seien. Aber den traditionellen Verbänden gelingt es ohnehin immer weniger, den Ärger von Elternschaft, Schülern und Lehrkräften zu kanalisieren.

Am Klettgau-Gymnasium, wo das versammelte Lehrerkollegium vergangenen Monat einen gesalzenen Protestbrief aufsetzte, haben die Verbände beispielsweise überhaupt nicht mehr das Sagen gehabt. Hier waren es die betroffenen Lehrer selbst, also alle, die Initiative ergriffen und diese auch zu behalten gedenken. Denn sie wollen ihre bereits vorhandene und funktionierende Schulkultur und Schulgemeinschaft um jeden Preis erhalten.

Der ungewöhnlich einhellige, deutliche öffentliche Protestbrief fand nicht nur großes Echo auch an anderen Schulen, die davon über die Regionalpresse erfuhren, sondern schaffte es am 21. Mai 2013 sogar in die SWR-Landesschau:

Am 21. Mai schaffte es der gemeinsame Lehrerprotest am KGT sogar ins SWR-Fernsehen.
Am 21. Mai schaffte es der gemeinsame Lehrerprotest am KGT sogar mehrmals ins SWR-Fernsehen und ins SWR-Internet.

(Der Fernsehbeitrag konnte noch bis Mitte Juni 2013 über die Webseite des SWR abgerufen werden.)

Schon in der Woche zuvor hatte es aber eine andere merkliche Protestveranstaltung – diesmal von der SMV am KGT initiert, gegeben. Bei einer Diskussionsveranstaltung zum „Wandel der Bildungslandschaft“ wurde Kultusminister Stoch am 17. Mai 2013 vor der Justus-von-Liebig-Schule in Waldshut von einem Pfeifkonzert demonstrierender KGTler empfangen. Etwa 100 Schüler vom KGT hatten trotz beginnender Ferien die Chance genutzt, ihren Unmut direkt an den Mann zu bringen.

Schüler vom KGT empfangen den Kultusminister mit Pfeifkonzerten. So hatte sich die SPD die Veranstaltung wohl nicht ganz vorgestellt.
Schüler vom KGT empfangen den Kultusminister mit Pfeifkonzerten.

Die kurzfristige Demo schaffte es dann auch, in der Regionalpresse dem Ministerbesuch der Gemeinschaftsschule Wutöschingen vom Vormittag und den eigentlichen Workshops am Nachmittag journalistisch den Rang abzulaufen. So hatte sich die SPD die Veranstaltung wohl nicht ganz vorgestellt.

Fast zeitgleich starteten am Pfingstwochenende anderorts eine ganze Reihe von Petitionen gegen die geplanten Kürzungen und Streichungen, beispielsweise auch diese hier:

https://www.openpetition.de/petition/online/stoppen-sie-den-raubbau-am-gymnasium

Allerdings betrifft die neuerliche Kürzungs- und Streichwelle ja auch die meisten anderen traditionellen Schultypen, es dürften also auch an anderen Schultypen Proteste folgen.

Es ist gut, dass mal etwas passiert. Allzu lange haben sich die Lehrkräfte, inzwischen mehrheitlich eine junge Generation zwischen 25 und 40 Jahren, vorführen lassen mit dem Klischee vom  grauschläfigen, angestaubten „Studienrat“, der angeblich morgens bequem und nachlässig in die Schule schlurft und dann nachmittags frei habe und der trotzdem angeblich wie ein Firmenleiter fürstlich bezahlt würde. Trübselige Erinnerungen an längst verflossene pubertäre Schultage mischen sich dabei mit allgemeinem Akademikerneid.

Mit der leider schwindsüchtigen Bezahlung junger Lehrkräfte in der Realität, die trotzdem zunehmend rund um die Uhr arbeiten müssen, notfalls an jedem Schultyp, hat dies nur noch sehr, sehr wenig gemein. Die angeblichen Vorteile des Beamtentums kann man im Jahre 2013 in der Pfeife rauchen. Viele Lehrer wären ohnehin viel lieber Angestellte, dann dürften sie nämlich sämtliche Arbeitnehmerrechte wahrnehmen, also auch streiken.

Dass man mit den jetzt geplanten Kürzungen nun aber gerade noch die Leistungsträger an den Schulen, also die besonders engagierten Lehrkräfte in den Funktionsposten abstraft, das war nicht nur gemein, sondern auch schlichtweg dumm. Unglaublich engagierte Lehrer engagieren sich nämlich auch unglaublich im Protest. Am Klettgau-Gymnasium mit seinen vielen Arbeitsgemeinschaften, Partnerschaften und regionalen Verbindungen in Wirtschaft, Kulturbetrieb und Politik gibt es besonders viele davon – aber sicher nicht nur dort.

Und es sind auch nicht nur die Lehrer, sondern auch Schüler und Eltern, welche ideologische Traumgespinste leid sind, die  ihre Angelegenheiten pragmatisch selbst in die Hand nehmen und jetzt nicht mehr länger still halten wollen. Es ist nicht die Schuld der rot-grünen Regierung, dass jetzt die Mehrheit aller an Gymnasien (und nicht nur an diesen) beteiligten Personen stocksauer sind, sondern eine Folge der jahrelangen Mehrbelastungen bei der Umstellung von G9 und G8, den ständigen faktischen Lohnkürzungen seit 15 Jahren und den Mehrbelastungen für Schüler und Eltern, denen man genau mit solchen pädagogischen Mitteln wie der Hausaufgabenbetreuung und Ganztagesangeboten helfen wollte, die man jetzt einfach streichen will. Oder besser gesagt: Man streicht die Gelder und erwartet von den Beteiligten, dass sie ihr Engagement nun kostenlos weiterführen. Nicht umsonst hat der jetzige Kultusminister ja das (auch völlig unbezahlte) Amt des „Kulturbeauftragten“ an den Schulen eingeführt. Das ist schon sehr blauäugig.

Blauäugig wäre es allerdings auch, zu glauben, dass so ein klitzekleiner Protestbrief wie der vom Klettgau-Gymnasium, einer Schule am Ende des Wahrnehmungshorizontes der Landespolitik, und so ein kleines Fernsehinterview wie das vom 22.5.2013 die Welt wieder einfach heile machen könnte. Wenn es überhaupt etwas direkt bewirkt, dann wohl höchstens ein beschwichtigendes Antwortschreiben oder aber, im äußersten Fall, ein freundliches, unverbindliches und letztlich völlig folgenloses Gespräch an einem schnell zusammengezimmerten Runden Tisch. Vielleicht stellt man sich aber auch einfach gleich auf sturr. Beides hülfe niemandem und erinnert stark an die hilflosen Versuche der Vorgängerregierung, die Kritiker von Regierungsprojekten wie Stuttgart 21 mundtot zu machen. (Mit den bekannten Auswirkungen bis heute.)

Indirekt wäre aber viel geholfen, wenn sich Lehrkräfte, Schüler und Eltern überregional und jenseits von ideologisierenden Verbänden und Gewerkschaften selbst vernetzen würden und permanent dran blieben an der Bildungspolitik. Die Gestaltung der eigenen Arbeits- und Lebenswelt jahrelang den schulfernen Parteien und Ideologen zu überlassen, war ein schwerer Fehler.

Und noch gibt es einiges zu verlieren: für das Klettgau-Gymnasium seine – trotz G8 – noch völlig intakte Schulkultur und Schulgemeinschaft und für das Land Baden-Württemberg den guten zweiten Platz in der bundesweiten Bildungspyramide. Zerstören kann man das alles recht schnell, es danach aber wieder aufzubauen, würde Jahrzehnte dauern, wenn es überhaupt gelingt.

Denn manche Dinge, wie Kultur oder Gemeinschaft, kann man zwar fördern, aber nicht erzwingen.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.