Heute ist ja wieder Philipp-Neri-Tag, Namenstag des Narren unter den Heiligen. Aber nicht nur im Christentum gibt es religiöse Schelme, mit Nasrudin oder Nasreddin kennt auch der Islam einen großen Schalk.
Dabei kann sich der Mullah aus Chorasan selbst mit einem Till Eulenspiegel mühelos messen, bekannter ist er ohnehin: Von China über Afghanistan, Usbekistan, Russland, den vorderen Orient bis tief hinein in den Balkan tritt der Schelm unter verschiedenen Namen auf als Affandi, Nasrudin, Nasreddin, Nasrettin, Nastradhin, Nastratin oder – unser Leser ahnt es schon: Anastratin. Wobei letzterer Name sich unseren Recherchen nach nur in einem einzigen Beleg findet, der Geschichte „Anastratin und die Maulbeeren“ im Buch „Schelmengeschichten“ von Václav Cibula aus dem Jahr 1981, das wieder eine Übersetzung eines Werkes aus dem Tschechischen ist. Bei der mehrfachen Übersetzung der ursprünglich griechischen Geschichte hat sich dann wohl auch ein Übersetzungsfehler eingeschlichten und der ehemalige Artikel „a“ wurde mit dem Eigennamen „Nastratin“ verknüpft. Der Name, der dabei dann herauskommt, ist zwar etymologisch nicht ganz korrekt, klingt aber sehr melodisch und sieht sehr hübsch aus, sodass wir ihn damals dann auch zum Namensgeber dieses Blogs erkoren haben, das nach ihm Niarts Anastratin heißt.
Wir finden das sehr passend, verbindet doch Nasrudin wie kein anderer ganze Völkerschaften und Religionsgruppen. Selbst die orthodoxen Rumänen oder Griechen oder die sunnitischen Türken lieben die Geschichten vom schiitischen Mullah. Zudem holt er die Religion vom hohen Ross und setzt sie auf einen sehr sympathischen kleinen Esel – wie kein anderer verbindet er philosophische Einsichten mit einfachem Alltagshumor, verkörpert also den weisen Narren und in gewisser Weise auch einen närrischen Heiligen.
Wann und wo er tatsächlich gelebt hat, und ob, ist recht umstritten. Viele Völker sehen ihn als einen der ihren an. Eine Mehrzahl der Geschichten lokalisiert in aber in der ehemaligen Provinz Chorasan in Persien und in die Zeit von Timur Lenk oder die Sawidenherrscher. Ein anderer bedeutender Traditionszweig verortet ihn in Südwestanatolien, wo es noch heute in der Stadt Akşehir ein Mausoleum mit seinem Namen gibt.
Was zeichnet den Mullah Nasrudin besonders aus? Genau wie die geographische Verteilung sind natürlich die Themen und Geschichten über ihn weit gestreut. Von niederen Schwänken bis zu langen, philosophischen Erzählungen ist alles dabei, die meisten Stoffe sind aber in Form von kurzen Anekdoten niedergeschrieben. In ihnen ist Nasrudin meist schon ein etwas älterer, relativ armer, verheirateter Religionslehrer. Folglich drehen sich gleich eine ganze Reihe der Anekdoten um Religion, seine Ehefrau und ganz prominent: Seinen Esel. Denn was für Eulenspiegel seine Narrenkappe, Eule und Spiegel sind, das ist für Mullah Nasruddin sein greises Antlitz, seine Robe und der kleine Esel, mit dem er auch oft reitend abgebildet wird.
Literatur zu Nasrudin gibt es natürlich wie Sand am Meer in allen Sprachen und Variationen. Besonders gefallen hat mir die Hörbuchreihe „Mullah Nasruddin, Orientalische Eulenspiegelleien“, hier besonders Teil 2, herausgegeben von Dieter L. Göbel, die mit freundlicher Empfehlung des türkischen Generalkonsulats Berlin in der Edition Grenzenlos im Verlag Peacock herausgekommen ist. Etwa eine Zeitstunde werden dem Hörer hier durch die Sprecher Dieter L. Göbel, Santiago Ziesmer und Viktoria Vogt allerlei Stücke um den lustigen Mullah szenisch vorgesprochen. Musikalisch umrahmt werden die Szenen von anatolischer Folklore (Gelin Alayi und Kervan) aus dem Archiv Kudsi Erguner.
Bibliografische Daten:
- Dieter L. Göbel (Hg.): Mullah Nasruddin 2, Orientalische EUlenspiegelleien, Hörbuch, Edition Grenzenlos, Verlag Peacock, Berlin 2007. Preis in Deutschland: 12,95 EUR