Es naht das zweihundertjährige Bestehen des Hochrhein-Gymnasiums in Waldshut – im Sommer 2014 soll es soweit sein. Beim letzten großen Schuljubiläum 1989 wurde das aktuelle Schulemblem eingeführt, es ist also inzwischen ein Vierteljahrhundert alt.
Seinen ersten großen Auftritt hatte das berühmte „H“ mit den drei Wellenlinien auf dem Cover der Festschrift zur 175-Jahre-Feier des Hochrhein-Gymnasiums. In damals noch hochaktueller, moderner Schlichtheit und ein wenig minimalistisch präsentierte es eine quadratische weiße Fläche, auf der im oberen Drittel mittig das neue Emblem platziert ist, umsäumt von serifenlosen Helvetica-Worten, links in Grau, rechts in einem Dunkelblau, das heute als „Navy“ bekannt ist, das Emblem selbst gibt die Farbkombination spiegelverkehrt wieder.
Betrachtet man die Festschrift genauer, stellt man fest, dass das Hochrhein-Gymnasium diesem Stil in den letzten 25 Jahren optisch erstaunlich treu geblieben ist. Immerhin war die Festschrift in ihrer grafischen Modernität damals auch kaum überbietbar. (Inzwischen hat sich die Kunst ja weiterentwickelt.)
Während sich die Grafik 1989 bewusst modernistisch präsentiert, zeugt der Inhalt von gediegem-traditionellem Späthumanismus, der manchmal eher in die Adenauer-Ära gepasst hätte. Das ist ja heute anders. Insofern hat sich also seither schon einiges getan am Hochrhein-Gymnasium.
Offizielle Deutungen zum Schulemblem
In einer kaum zu übertreffenden sprachlichen Ausdrucksweise erklärt der damalige Schulleiter Dieter Flamm auf Seite 12 der Festschrift das damals neue Emblem der Schule. Mit dem „neuenglischen Begriff“ LOGO tut sich der Oberstudiendirektor in den ersten Abschnitten noch etwas schwer (wir befinden uns ja auch noch kurz vor der Windows-Ära der 90er Jahre, wo Icons inflatorisch präsent wurden), er erläutert dann aber differenziert und mit verbalem Feingefühl alle Bedeutungsebenen des unscheinbaren kleinen Emblems:
„Man sieht so etwas wie ein H, das H von Hochrhein-Gymnasium. Aber die begrenzenden Senkrechten sind zu Rechtecken ausgestaltet, allerdings so, daß das eine oben, das andere unten geöffnet ist. Die eine Waagrechte weist nach rechts (für unser Gefühl nach „vorne“), die andere nach links (also „zurück“). Die Rechtecke stehen einander gegenüber, sind aber auch miteinander durch den Querbalken des H verbunden. Dieser hat sich allerdings verdreifacht und Wellenform angenommen.
Diese Wellen erinnern natürlich an den Fluß, den Rhein, den Hochrhein. Erwecken die Vorstellung von etwas Fließendem, Bewegtem. Inmitten eines starren, wenngleich offenen Gehäuses steht also das Wellensymbol. Nicht für sich, sondern mit den Geraden verbunden, unten und oben aus ihnen hervorgehend. Dies ist optisch effektvoll, und man könnte darin einen besonderen Sinn sehen. So verbinden sich im Emblem die Zeichen des Beharrens und des Aufbrechens, Statik und Dynamik. Das Wellensymbol steht in der Mitte, denn das Lebendige muß im Zentrum sein. Die Wellenbögen haben ein Minimum an Länge – Wellenberg, Wellental – aber in ihrer Dreiheit setzen sie sich durch gegenüber den beiden Gehäusen. Sie könnten, von oben nach unten gesehen, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft suggerieren. In ihrer Dreizahl entsprechen sie auch dem nach wie vor gültigen Motto der Schule „Veritati – Virtuti – Vitae“ und sogar noch dem V, mit dem die lateinischen Wörter beginnen. (Unser deutscher Buchstabe W, der am Anfang von Wörtern wie Welle, Woge, Wasser steht, entstand aus zwei ineinander verschränkten V!)“
Man sieht, da hat sich also beim Logoentwurf sicher ein Profi Gedanken gemacht (auch wenn nirgends ein Urheber erwähnt wird). Selbst wenn man von der Ausdeutung einige spekulative Interpretationen weglassen darf, das Emblem macht in seiner formalen Gestaltung vielfach Sinn. Gleichzeitig ist es hochkomprimiert und einprägsam. Vielleicht deswegen war es so unhinterfragt in all den Jahren am Hochrhein-Gymnasium. Sogar zur Farbgestaltung wusste der damalige Schulleiter die tiefere Bedeutung zu erläutern:
„Zwei Farben betonen die Spannung – Spannung, nicht Gegensätzlichkeit, denn Blau und Grau sind verwandte Farben. Eine leichte Asymmetrie kommt durch das Überwiegen des Blau, der lebendigeren Farbe, ins Spiel. Sie wäre aufgehoben, wenn die mittlere Welle – als Zitat der Stadtfarben – rot wäre, was wir probiert haben. Auch haben wir den Versuch gemacht, das Grau insgesamt durch das Rot zu ersetzen, aber dann wäre der Gegensatz zu stark, und das Zeichen fiele auseinander. (Auf einer Fahne oder auf einem T-Shirt würde sich das Rot jedoch vielleicht gut machen!)“
Letztlich ist man am Hochrhein-Gymnasium über alle Jahre der Kombination Blau-Grau treu geblieben, sieht man einmal von der rein weißen Variante auf der alten HGWT-Webseite ab und der Variation in Blau-Dunkelgrün, wie sie SMV am Hochrhein-Gymnasium auf ihrer Facebook-Seite verwendet. Interessant wäre ja durchaus gewesen, mal die von Dieter Flamm 1989 vorgeschlagenen T-Shirt-Farben auszuprobieren. Ich bin jedenfalls gespannt darauf, was es nächstes Jahr auf der 200-Jahr-Feier zu sehen geben wird. Ein Schul-T-Shirt dürfte auf jeden Fall dabei sein.
Das Schulmotto Veritati – Virtuti – Vitae
Die Festschrift von 1989 erklärt übrigens auch das Schulmotto „Veritati – Virtuti – Vitae“ (Der Wahrheit – Der Tugend – Dem Leben) noch genauer, und zwar gleich mehrmals. In seinem Geleitwort auf Seite 11 gibt Schulleiter Flamm die drei lateinischen Worte wie folgt wieder:
„Veritas – Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, nicht der Phrase verfallen, kritisch sein, auch gegenüber dem eigenen Standpunkt.
Virtus – Tauglich sein für das, was die Gesellschaft von uns verlangen darf! Leistungsbereitschaft, aber auch Verantwortungsbereitschaft, Solidarität.
Vita – Aufgeschlossen sein für die wunderbare Vielfalt des Lebens, lebendig bleiben, nicht erstarren.“
Etwas blumiger und deutlich theologischer sowie moderne-kritisch deutet der damalige Religionslehrer Wolfgang Wolpert dann das Schulmotto gegen Ende der Festschrift auf S. 124:
„Die vergängliche Verherrlichung der Wertepluralität von heute und die an ihrer Hand gehende Indifferenz in fast allen Daseinsbereichen ändert nichts daran, daß mit diesem Motto ein zwar angezweifeltes und bekämpftes – trotz allem aber bleibend gültiges Ziel ausgesprochen wird: VERITATI meint die ewige, göttliche Wahrheit, auf die hin der Mensch geschaffen ist. VIRTUTI meint die Anstrengung des Menschen, der, unruhig, sich von dieser Wahrheit messen läßt. VITAE meint das Leben, das von dieser Wahrheit her seinen Sinn bekommt und folglich in ihr Erfüllung findet.“
Die Betonung liegt also auf dem Sinn, womöglich sogar dem Sinn des göttlichen Logos-Wortes. Vielleicht ist es für heutige Verhältnisse auch ein wenig arg viel Sinn in oder über Worte – und für damalige eigentlich auch, zumindest auf Schülerseite. Es ist aber nicht so, dass die Festschrift nur aus philologischen Interpretationen bestünde, auf Seite 67 geht Karl Menger dann auch – leicht ironisch – auf Motto und Schulwirklichkeit ein. Interessant ist noch Wolperts Hinweis, wo man denn mehr zum Ursprung des Mottos erfahren kann, nämlich in der vorangegangenen Festschrift von 1958 auf S. 7 in einem Aufsatz von Karl Ludwig Wetzel. Allein, so weit reicht mein privates Archiv dann auch nicht zurück, es müsste im Stadtarchiv Waldshut aber einzusehen sein.
Die Buchstaben mit dem Schulmotto, die wohl seit 1958 an der Wand des Aufenthaltsraumes hängen, habe ich schon als Grundschüler bewundert, wenn ich donnerstags daran vorbeimarschierte zur Kantorei in die Versöhnungskirche. Auf theologisch tiefgründige Spekulationen bin ich als kleiner Junge natürlich nicht gekommen und verstand natürlich auch kein Latein mit meinen acht Lebensjahren. Aber ich fand, die Worte klangen sehr schön, prägte mir das wie Zauberworte ein und das mag dazu beigetragen haben, dass ich später, als ich dann Schüler am Klettgau-Gymnasium war, dessen (deutlich davon inspiriertes) Motto „Veritas Viaticum Vitae“ zu meinem Lebensmotto machte. Zu jenem habe ich mich ja schon an anderer Stelle geäußert.
Manchmal blicken wir auf die gehobenen Sprachspielereien der frühen bundesrepublikanischen Gymnasien und ihre Ausläufer in den 80zigern mit leichter Belustigung herab und übersehen dann doch, dass ein Dieter Flamm durchaus auch schon damals Recht hat mit seiner Sprachkritik am „Neuenglischen“ und an Phrasen. Die Gefahr, in platten Slogans zu leben, ist ja keinesfalls auf das Lateinische begrenzt und ob es mit heutigen denglischen IT-Begriffen tiefgründiger wird, oder gar ohne jedes Leitmotiv, das darf man durchaus auch bezweifeln. Was ich am Hochrhein-Gymnasium interessant zu beobachten finde, ist, dass Motto wie Logo dort deutlich präsenter waren und sind – auch in der Schülerschaft, und sei es als adretter Stehgreifwitz in einer Moliére-Aufführung.