J. G. Jacobi und Gottlieb Konrad Pfeffel – die ungleichen Freunde

J. G. Jacobi besuchte seinen künftigen Freund Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809) erstmals am 20. September 1785 in Colmar. Angesichts des blinden, einfachen Mannes, dem das Schicksal schon soviel Schweres aufgebürdet hatte, und noch sollte, empfand Jacobi zunächst nur tiefes Mitgefühl. Doch dabei blieb es nicht. Es sollte der Beginn einer Freundschaft werden, die mehr als 30 Jahre andauerte.

Gottlieb Konrad Pfeffel, Gemälde von Georg Friedrich Adolph Schöner, Quelle: Wikimedia Commons
Gottlieb Konrad Pfeffel, Gemälde von Georg Friedrich Adolph Schöner, Quelle: Gleimhaus Halberstadt / http://museum-digital.de/nat/index.php?sv=pfeffel&done=yes, lizenziert nach CC 3.0 by-nc-sa

Am Ende ein Abschiedsgruß

Pfeffel schrieb seinem Freiburger Freund im Zeitraum von 1787 bis 1809 nicht weniger als 38 Briefe. Sie haben sich in Jacobis Nachlass erhalten und befinden sich heute im Universitätsarchiv Freiburg. Der letzte der Briefe ist auf den 11. April 1809 datiert, Pfeffel hat sich Jacobi also noch auf dem Totenbett mitgeteilt, zwar mit Schwere, aber nicht weniger herzlich:

Colmar, 11. April 1809
Noch immer, lieber Bruder, liege ich sehr krank darnieder. Meine Leiden sind unaussprechlich. In die Länge werde ich es nicht aushalten können. Unser guter Schnetzler hat sich nicht sehn lassen, und so war ich ganz ohne Nachrichten von euch.
Die letzte Stanze der Fetischschlange werde ich also beibehalten. Deine übrigen Korrekturen, lieber Bruder, habe ich noch nicht nachsehen können, stimme aber allen bei.
Wird es besser mit mir, so schreibe ich ein Mehreres. Heut ist es mir unmöglich mehr zu schreiben.
Lebe wohl mein theurer Bruder, ich umarme dich mit unserer guten Marie und segne den redlichen Fritz von ganzer Seele.

Pfeffel

Das ist der Schluss einer langjährigen freundschaftlichen und äußerst produktiven Beziehung, fruchtbar nicht nur für den Colmarer Poeten, sondern auch für Jacobi, seine Dichterfreunde – und nicht zuletzt für all ihre Leser.

Der Beginn einer Freundschaft

Am Anfang dieser Beziehung standen sich zwei recht unterschiedliche Menschen gegenüber: Johann Georg Jacobi, der zarte Professor der Schönen Künste in Freiburg, und Pfeffel, vom Schicksal mit Blindheit geschlagen, Militärpädagoge und Satiriker wider willen, aber mit großem Erfolg. Pfeffel blühte in seinen scharfsinnigen, oft bissigen Fabeln auf, Jacobi dagegen in sanften ästhetischen Dichtungen. Doch beide vermochten es in gleicher Weise, jung und alt um sich zu scharen, beide machten in der deutschen Literatur von sich reden. Nicht zuletzt waren ihnen ihr poetisches Programm, aber auch die literarischen Feinde gemeinsam. Was lag also näher als eine Zusammenarbeit?

Pfeffel war, trotz seiner Behinderung, ein sehr kontakt- und reisefreudiger Mensch. Was seine Beziehungen angeht, stand er seinem Freund Jacobi in nichts nach. Pfeffel publizierte nicht nur in Jacobis „Iris“, sondern auch in unzähligen anderen Zeitschriften, wie Wielands „Neuer Teutscher Merkur“, Schubarts „Teutsche Chronik“, und Voß‘ „Göttinger Musenallmanach“. Pfeffels Kontakte reichten über Heinse und Voß bis nach Halle und Göttingen, über seinen Mitarbeiter Lense (1749-1800) zu Goethe nach Weimar und mit Sarasin, Iselin und Lavater bis tief in die Schweiz hinein.

Im Jahr 1776 wurde Pfeffel Mitglied der „Helvetischen Gesellschaft“; 1788 berief ihn die Berliner Akademie der Künste zum Ehrenmitglied, gefolgt von der Münchner Akademie der Wissenschaften 1808. Besuch erhielt er ab 1770 von zahlreichen Stürmern und Drängern, wenngleich sich Pfeffel von ihnen mehrheitlich distanzierte. Mit dem berühmten Verleger Cotta in Stuttgart unterhielt Pfeffel eine umfangreiche Korrespondenz. Zu Cottas Frauenzimmerzeitschrift „Flora“ hat Pfeffel nicht wenige Artikel beigesteuert. Ihm verdankt Pfeffel auch mehrere Werkausgaben, die ihre Resonanz nicht verfehlten. Noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts blieb Pfeffel einer der beliebtesten oberrheinischen Dichter.

Ausbildung und Arbeit als Militärerzieher

Dabei hatte der junge Pfeffel zuerst ganz andere berufliche Bahnen eingeschlagen. Den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend hatte ihn sein Vater von Colmar aus nicht ins nähere Freiburg, sondern ins entfernte, dafür aber protestantische Straßburg zur Schule geschickt. Später, 1752, nahm Pfeffel dann ein Studium der Rechte in Halle auf. Diese Zeit prägte sein ganzes Leben. In Halle traf er auf die geistigen Haupteinflüsse, sein Denken und Schaffen prägen sollten: die Philosophie des Christian Wolff, und die Poetik und die Moralischen Anschauungen Gellerts (1715-1769).

In Halle begann aber auch Pfeffels gesundheitlicher Leidensweg: Seine Sehkraft nahm rapide ab. Schuld, sagt man, sei seine übermäßige Lektüre gewesen. Schon wenige Jahre später sollte er nach einer missglückten Augenoperation ganz erblinden. Die Krankheit trug nicht wenig zum Dichtertum Pfeffels bei. Denn eine Karriere als Diplomat, wie sie sein Vater und sein Bruder eingeschlagen hatten, konnte er nun nicht mehr verwirklichen. Pfeffel musste sein Studium abbrechen und begab sich zurück nach Straßburg. Dort kam er zunächst bei einer befreundeten Familie unter. Wenig später heiratete er die Tochter des Hauses, Margarethe Cleophe Divoux (1759), eine beherzte Frau, die ihn sein ganzes weiteres Leben begleitete.

Die junge Familie siedelte nun nach Colmar um, und hielt sich zunächst mit der Erziehung junger Mädchen aus wohlhabenden Familien über Wasser. Ab 1773 konnte Pfeffel sein Einkommen durch eine eigene kleine Militärschule sichern. Er erschloss sich damit eine Marktlücke, denn die protestantischen Adeligen im Elsass waren von der katholischen „Ecole royale militaire“ in Paris ausgeschlossen. Aus dem weitgespannten Lehrplan seiner Militärakademie lässt sich ersehen, dass es Pfeffel wie Jacobi um die Herzens- und Gemütbildung ging. Als pädagogisches Vorbild diente ihm neben Jean Jacques Rousseau (1712-1778) auch Johann Bernhard Basedow (1723-1790), der Gründer des Philanthropinums ins Dessau.

Lehrhaft ging Pfeffel auch in seinen Dichtungen vor. Seine ersten poetischen Versuche unternahm Pfeffel bereits in Straßburg. Doch erst in Colmar wurde er richtig produktiv. Das Versuchhafte war allen seinen Werken zu eigen, nicht nur im Titel („Poetische Versuche“ 1761, „Prosaische Versuche“ 1810-1812). Damit verwies Pfeffel auf seine literarischen Vorbilder der früheren Aufklärung, an der er sein Leben lang anknüpfte und weiter arbeitete.

Pfeffel als Seherdichter

Gerade seine Sehbehinderung verlieh Pfeffel die Aura des Seherdichters. Er wurde nicht nur von den jungen Stürmern und Drängern immer wieder zum modernen „Teiresias“ stilisiert, zum prototypischen Dichter. Man stellte ihn in eine Reihe mit Homer, Ossian und Milton. Ohne Zweifel wurde diese Aura aber auch durch Pfeffels dichterische Scharfsinnigkeit gestützt. Diese erhielt sich bis ins hohe Alter.

Johann Peter Hebel schreibt dazu:

„ Pfeffel rechnete es zu dem Glück seiner Blindheit an, dass die Welt in seinem Alter noch unverwischt so vor ihm stand, wie er sie in seiner Jugend gesehen hatte.“ (J. P. Hebel, Briefe, Bd. 2, S. 758).

Pfeffels Fabeln, Lehrgedichte und Epigramme sind mal verspielt, manchmal liebevoll und empfindsam, sehr oft auch scharf wie Pfeffer. Gerade seine Zeitschriftenbeiträge heben sich durch ihre Schärfe immer wieder von denen der anderen Autoren ab. Pfeffel bemühte sich zwar immer um Mäßigkeit, doch das Talent zu Ironie und Sarkasmus war ihm gegeben. Selbst vor politischer Kritik schreckte Pfeffel nicht zurück: in einigen seiner Fabeln kritisiert er nicht nur deutlich die Missstände des Ancien Regime, sondern auch die Herrschaft der Massen, und deren führende Köpfe, wie beispielsweise Robespierre. Belangt wurde er deswegen jedoch nie. Das mag sich dadurch erklären, dass er als französischer Bürger in deutscher Sprache dichtete. Er wurde zu Lebzeiten weniger bei seinen Landsleuten, als bei den deutschen Anrainern als Poet bekannt.

Einen großen Teil von Pfeffels Leserschaft machten die Frauen aus. Gerade im Hinblick auf seine scharfe Satire und Zeitkritik ist das erstaunlich. Obwohl Pfeffel keinesfalls „Feminist“ im heutigen Sinne war, zog er aufgeklärte Denkerinnen geradezu magisch an. Pfeffels Vorschlag, Cottas Damenzeitschrift „Flora“ mit Jacobis Taschenbüchern zusammenzulegen, lehnte der Freiburger Freund höflich ab. Das tat dem literarischen Austausch der beiden keinen Abbruch. Pfeffel nahm an Jacobis Circularcorrespondenz teil, angeregt durch Johann Georg Schlosser (1739-1799).

Jacobi und Pfeffel schickten einander ihre eigenen Werke zur Begutachtung; Jacobi prüfte die metrische Verssetzung des Freundes, Pfeffel wiederum achtete bei Jacobi auf Witz und Pointe. Wichtig war auch der Austausch neuer Informationen und Werke aus Literatur und Gesellschaft. Gemeinsam war den Freunden ihre anti-kantianische Tendenz: die Betonung des Empfindsamen und die Absicht, nicht nur den Geist, sondern auch das Herz zu bilden. Dieses Ziel gingen die beiden Freunde recht unterschiedlich an.

Pfeffel versuchte keine ästhetischen Konzepte. Er ging kritisch zu Werke: Seine Fabeln kritisieren oft die Aufklärungssucht allzu verkopfter Zeitgenossen. Sie nehmen die bürgerliche Gesellschaft sogar selbst kritisch unter die Lupe: bürgerliche Ideale ihrerseits werden an christlichen Tugenden und an ihrer Vernünftigkeit gemessen. Damit entwickelt Pfeffel Gellerts Dichtungskonzept eigenständig weiter.

Beispielgedicht – Pfeffels „Der Phoenix.“

Pfeffels Dichtung „Der Phoenix. An Herrn Professor Jacobi in Freiburg“ (1796) charakterisiert treffend, was Pfeffel und sein Freund Jacobi immer wieder dachten und in Verse fassten: Letzte Gewissheit kann nicht aus dem Denken, sondern nur aus dem Empfinden gewonnen werden. Vernunft ist wichtig, aber wird dort gegenstandslos, wo sie nicht mehr auf dem Boden der Tatsachen steht, sondern im Metaphysischen, der Unsterblichkeit. Dort ist dann Empfindsamkeit wichtig:

Der Phoenix.

An Herrn Professor Jacobi in Freiburg

     Der Phönix lag auf seinem Sterbebette
Von Myrrhen, Aloes und Zimmetreis.
Minervens Kauz, ein Denker wie man weiß,
Erspähte die geweihte Stätte
Und sprach zum Einzigen: so glaubst du, blöder Greis,
Daß, hat die Glut zu Asche dich verzehret,
Dein Jch verneut ins Leben wiederkehret ?
Der Phönix schwieg. Der Kauz fuhr fort, erkläre mir,
Was gründet deinen Wahn von einem andern Leben?
Jch fodre stets Beweis. Den kann ich dir,
Versetzt der Phönix, wohl nicht geben;
Denn was man fühlt, beweist sich nicht;
Und ein Gefühl, das laut wie ein Orakel spricht,
Sagt mir, ich werde nicht vergehen.
Hier stecket er mit heitrer Zuversicht
Den Holzstoß an und ruft: auf Wiedersehen !

      Der Phönix, lieber Freund, philosophierte schlecht,
Allein er wußte froh zu sterben,
Und wer nicht fühlt wie er, hat wie mich dünkt kein Recht,
Jhm seine Freude zu verderben.

(Pfeffel, Poetische Versuche, Bd. 3, S. 99)

* * *

(Zuerst veröffentlicht in gekürzter Form als Beitrag in: Aurnhammer, Achim / C. J. Andreas Klein (Hgg.): Johann Georg Jacobi in Freiburg und sein oberrheinischer Dichterkreis 1784–1814, Ausstellungskatalog, Freiburg i. Br. 2001, S. 107-109)

Literatur

  • Gottlieb Konrad Pfeffel, Satiriker und Philantrop, Ausstellungskatalog der Badischen Landesbibliothek, Karlsruhe 1986.
  • Stöber, August, Zweiundzwanzig Briefe von G. K. Pfeffel an J. G. Jacobi, in: Alsatia. Neue Beiträge zur Elsäss. […] Sittengesch. 10 (1873), S. 1-41.
  • Sutter, Otto Ernst, Gottlieb Konrad Pfeffels Spuren im Badischen, in: Die Markgrafschaft. Monatszeitschrift des Hebelbundes 15 (1963), H. 10, S. 3-4.
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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.