Es gibt sehr wenige Filme, die ich mir kurz hintereinander mehrmals angesehen habe. Die Actionkomödie „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ hat es bislang dreimal geschafft und wird es wohl auch noch ein viertel Mal.
Was mich an dem amerikanischen Film „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ (Originaltitel: Scott Pilgrim vs. the World) aus dem Jahr 2010 so begeistert ist seine eben nicht stimmige Mischung. Ähnlich wie seinerzeit Tarantinos Pulp Fiction ist die Handlung wirr und ziemlich unvorhersehbar. Man wird im Verlauf immer wieder überrascht. Neben den vielen ziemlich vorhersehbaren 08/15-Hollywood-Produktionen ist das einmal wohltuend anders.
Die Charaktere sind liebevoll überzeichnet und passen so gar nicht zusammen, dass dies allein immer wieder zu skurrilen Situationen und Gesprächen führt. Dem Regisseur Edgar Wright gelang es 2010, eine ganze Reihe noch unverbrauchter junger Schauspieler zusammenzubringen, welche die ursprünglichen Comic-Charaktere glaubhaft in den Realfilm umsetzen – allen voran Michael Cera, der Scott W. Pilgrim bis in die kleinste Geste hinein herrlich nerdig verkörpert, aber auch Mary E. Windstead als Powergirl Ramona Flowers, Kieran Culkin als Scotts schwuler Kumpel und Mitbewohner Wallace Wells, Alison Pill als wuschelig-pessimistische Schlagzeugerin Kim Pine, Mark Webber als immer leicht neben sich selbst stehender Bandleader Stephen Stills oder Johnny Simmons und Ellen Wong als die beiden unfreiwilligen Mauerblümchen „Young“ Neil und Knives Chau sind quasi Idealbesetzungen, die herrlich „hyperjugendlich“ interagieren, selbst dann, wenn sie zusammen auf dem Sofa abhängen. Bisweilen fühlte ich mich wirklich an diverse Pausenszenen aus meiner letzten 8ten Klasse erinnert. Das gilt natürlich nicht auch für Scotts diabolische Gegenspieler aus der „Liga der teuflischen Ex-Lover“, da diese grotesk übertrieben im Comic-Stil umgesetzt werden. Was letztlich aber ebenso passt, denn es gehört zum Genre.
Die Idee, Comic in Realfilm zu übersetzen, ist nicht neu, davon zeugen viele Marvelverfilmungen. Selten wurde aber so konsequent auch die zugehörigen Stilmittel übertragen wie in „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“. Gerade dadurch, dass Bild- und Layoutkombinationen wie auch karikaturenhafte Übertreibung, ja sogar Wortblasen, mit allen damit verbundenen Stilbrüchen aus dem Originalcomic von Bryan Lee O’Malley in Kamera- und Schnitttechnik in einen Spielfilm umgesetzt wurden, gewinnt der Kinofilm sowohl seine unglaublich reizvollen, quasi unvorhersehbaren Wendungen als auch eine Dynamik, die ihn in keiner Sekunde langweilig werden lässt. Denn jederzeit gibt es etwas für Auge und Ohr zu entdecken. Sei es bei den teils beeindruckenden CGI-Effekten oder in den vielen Anspielungen oder dadurch, dass auf der Leinwand link, rechts, oben und unten fast immer mehrere Dinge gleichzeitig passieren, oft auch verdeckt im Hintergrund. Daher kann man sich den Film auch mehrfach ansehen, ohne dass er langweilig wird. Denn erst dann entdeckt man manche Zusammenhänge.
Die Kernstory ist eigentlich pure Stereotype: Scott W. Pilgrim, ein 22 Jahre alter Kanadier in Toronto, mal wieder arbeitslos und immer noch leidend an seiner zerbrochenen Beziehung mit der inzwischen zur Pop-Ikone aufgestiegenen Envy, hat sich mangels Wohnung bei seinem schwulen Kumpel Wallace eingenistet und verbringt seine Zeit mit Proben in der Band Sex Bob-omb, die davon träumt, groß raus zu kommen. Um seine alte Freundin zu vergessen, hat Scott mit der 17jährigen Knives Chau, chinesischstämmige Musterschülerin auf einer katholischen Eliteschule, eine Beziehung angefangen, die er allerdings nicht ganz ernst nimmt. Auf einer Party begegnet er der blauschöpfigen Ramona Powers, in die er sich sofort unsterblich verliebt und alles stehen und liegen lässt. Wenig später muss er sich in typischen „Comic-Fights“ allerdings gegen ihre sieben übersinnlichen Ex-Lover zur Wehr setzen, was seinen ohnehin nerdigen Alltag gehörig durcheinander bringt.
Als Zeichentrickfilm wäre diese Story sicherlich todlangweilig, als Realfilm persifliert sie aber in ungekannter Dichte die Jugendkultur: Sämtliche Sujets werden ohne Rücksicht auf mediale Grenzen durcheinandergemixt. Realität und Fiktion verschwimmen. Spätpubertäre Sinnkrisen, Anspielungen auf bekannte Filme, die Musikindustrie, die Computerspielkultur von Arkade bis hin zu Legend of Zelda und Sitcom-Einlagen werden munter durcheinander gemischt mit allerlei Stereotypen des urbanen Jugendlebens. Dadurch bleibt für den Zuschauer trotz einfachem Storymuster jederzeit alles möglich. Das wird spätestens deutlich, als mit Mathew Patel (gespielt von Satya Bhabha) der erste teuflische Ex-Lover wortwörtlich ins Bild schwebt und damit ebenso wortwörtlich ein Konzert „sprengt“. In Rückgriff auf das Computergenre wird die Story gegen Ende auch alinear, sodass Scott gewinnen kann, obwohl er verloren hat und abschließend gegen sich selbst antritt. Der deutschen DVD-Version ist neben zusätzlichen Szenen und diversen Fotos vom Dreh auch ein alternativer Schluss beigegeben, sodass sich der Zuschauer auch einen anderen Schluss aussuchen kann.
Was mich besonders gefreut hat ist, dass der Film trotz seiner Arkadelastigkeit ohne brutale Gewalt auskommt, wie sie in anderen Projekten leider meist eingebaut wird, um Zuschauerschaft zu gewinnen. Das tut dem Filmvergnügen keinen Abbruch, im Gegenteil.
Passend zur Band-Thematik ist natürlich auch der Soundtrack wichtig, der im entsprechenden Punk-Stil gehalten ist. Die Musik von Sex Bomb-omb wurde von Beck komponiert, daneben finden sich mit Nigel Godrich, Metric, Broken Social Szene und Kid Koala aber noch andere bekannte Gruppen.
Der Film erhielt 2010 mehrere Preise. Kommerziell war ihm aber wohl leider kein großer Erfolg vergönnt, er kostete 60 Millionen US-Dollar, spielte aber nur etwa 47,6 Millionen wieder ein, diverse parallele Merchandising-Artikel wie Konsolespiele oder Soundtrack-CDs nicht miteinberechnet. Daher wird es wohl leider auch keine Fortsetzung geben. Es ist allerdings auch fraglich, ob sich das Konzept nochmal wiederholen ließe, da die Idee als Aufguss viel von ihrer Originalität einbüßen würde. Was den Film sonst noch auszeichnet ist, dass er als Workshop auch ein Projekttagebuch aufweist, dass sich auch im Internet findet, ebenso wie eine passend zum Film gestaltete offizielle Webseite.