Die Nordtour

Am Freitag stand die Nordtour der Insel auf dem Programm. Das Frühstück hatte ich mangels Zeit in meiner eigenen kleinen Küche eingenommen. Ich hatte ja noch jede Menge „Magdalenas reinas“-Teeküchlein und Joghurt, sonst hätte ich auch den Bus verpasst.

Der Bus für die Nordtour holte mich beim Playa Roca ab, was von meiner Hotelanlage aus gesehen jenseits einer riesigen Bauruine lag. Er kam mit sieben Minuten Verspätung um etwa 9:38 Uhr an. Die Reiseleiterin, eine selbstbewusste Frau in den 50ern, sehr schlank und energetisch, mit rauer Stimme, machte einen sehr routinierten Eindruck. Man sah ihr an, dass sie die Tour in und auswendig konnte. Sie redete sehr schnell, fast ohne zu atmen und schaltete dabei zwischendurch immer wieder auf Spanisch um um dem Fahrer, der aus Fuerte Ventura importiert war, er hieß Iwan, Verkehrsanweisungen zu geben. Beim Bus handelte es sich um ein himmelblaues Tui-Gefährt mit der Nummer 64.

Das recht dichte Programm war in 30-Minuten-Events getaktet. Am Luxus-Lavablasenwohnsicht des César Manrique brausten wir vorbei, sodass ich die Fundación nicht zu sehen bekam, der erste Halt war die Altstadt von Teguise, wo wir etwa 20 Minuten Aufenthalt hatten. Die ehemalige Hauptstadt Teguise ist ein eher beschauliches Städtchen, das zeigt, dass Lanzarote wohl nie zu den Zentren der Weltgeschichte gehörte. Neben der bunt zusammengewürfelten Tui-Reisegruppe waren noch zwei einheimische Schulklassen anwesend, welche die nicht wirklich sensationelle Kirche betrachteten. Berühmt, so die Reiseleiterin, sei die Uhr für ihre Silvesteranzeige, wo sie den Countdown für das neue Jahr vorgab, bevor sie danach wieder für ein Jahr in Dauerschlaf geht. Auch die restlichen bauten waren eher unauffällig. Das Timple-Museum konnten wir in der kurzen Zeit natürlich nicht besuchen.

Laut Aussagen der Reiseleiterin war die Rundtour ohnehin nur da, um als Kurzeinführung in die Inselkultur besondere Sehenswürdigkeiten kurz anzureißen, sie empfahl Interessierten, später zu den Sehenswürdigkeiten ihrer Wahl privat wiederzukommen und sie dann ganz in Ruhe zu betrachten. Mir war das im Prinzip ganz recht so, denn so konnte ich mich immer wieder im Bus ausruhen. Ich war ja ziemlich übermüdet nach einem weiteren Kampf gegen das Hotelbett.

Der nächste Haltepunkt war eine Aussichtsplattform in der Nähe des Inselhöhepunktes, wovon man eine schöne Rundumsicht auf die Insel hatte und auch zum Norden hin. Danach ging es durch diverse Serpentinen durch Haria hindurch und das „Tal der 1000 Palmen“. Dort soll neuerdings in seinem letzten Wohnhaus ein weiteres kleines Museum zu César Manrique eröffnet worden sein. Es ist allerdings für maximal 20 Besucher ausgelegt und wird von den Tourenanbietern daher nicht angefahren. In Haria liegt César Manrique auch begraben. Wir hielten in Haria allerdings nicht und brausten weiter in Richtung Nordspitze, so schnell es die engen kurvigen Straßen zuließen.

Mirador del Rio

Eingangskunstwerk des Mirador del Rio, dahinter der Tourenbus
Eingangskunstwerk des Mirador del Rio, dahinter der Tourenbus

An der Nordspitze befindet sich der berühmte „Mirador del Rio“, entworfen von César Manrique als in den Lavafelsen gehauene Zuflucht, die teils wie eine Hobbithöhle, teils mit ihren runden Fenstern wie eine Raumschiffstation aus einem Science-Fiction-Film der 60er-Jahre wirkt. Mir gefiel die Architektur sehr, weil es so schön rund ist und keine rechten Winkel gibt. Die Aussicht auf die kleinen Nachbarinseln, allen voran La Graciosa war sehr imposant, der 500-Meter Abgrund hielt mich allerdings auf Abstand (ich bin nicht schwindelfrei).

Futuristisches Panoramafenster im Mirador del Rio
Futuristisches Panoramafenster im Mirador del Rio

Trotzdem machte ich einige Panorama-Aufnahmen mit meiner Spiegelreflexkamera, bis deren SD-Karte ohne jede Vorwarnung urplötzlich den Geist aufgab. Damit verlor ich auf einen Schlag sämtliche Fotos der vergangenen sechs Tage, abgesehen von den Bildern, die ich mit meinem Smartphone für Facebook gemacht hatte. Ich hoffe immer noch, dass ich die Bilder auf der SD-Karte noch irgendwie retten kann. Vor Ort behalf ich mir aber erst mal damit, mit meinem Smartphone weiterzufotografieren.

Aloe-Vera-Plantage

Nach dem Mirador del Rio stellte mein Körper endlich auf Nachmittagsbetrieb um sodass mir die vielen weiteren Kurven nichts mehr ausmachten. Der nächste Programmpunkt war eine Aloe-Vera-Plantage. Dort pries uns eine Angestellte die vielfältigen heilsamen Wirkungen von Aloe Vera an. Es war schon beeindruckend, soviel Aloe Vera auf einem Haufen zu sehen in einer Landschaft, die an Fotos vom Mars erinnert. Die Angestellte scherzte, dass Aloe ein wirklicher Jungbrunnen und sie in Wirklichkeit schon 96 sei. Ich schätze, die Dame war, nach der Zerfallsrate ihrer Haut zu schätzen, so zwischen 26 und 28 Jahre alt, sicher aber nicht älter als 32. Im Anschluss an die Besichtigung der Felder stellte man den Touristen noch diverse Aloe-Artikelchen vor, was mich, auch weil die meisten Tourgäste Senioren waren, ein wenig an Kaffeefahrten erinnerte.

Aloe-Plantage in Marslandschaft
Aloe-Plantage in Marslandschaft

Nach den üblichen 20-30 Minuten Aufenthalt ging es dann weiter. Einigen „jüngeren“ Gästen in den 40zigern, zum Beispiel einer Gruppe Damen aus Sachsen war der Zeittakt zu schnell. Sie beschwerten sich mit leichter Abfälligkeit in einer landestypischen Mischung aus offenem und indirektem Sarkasmus, der mir schon häufiger bei Menschen aus dieser Region aufgefallen ist. Ein wenig typisch war auch das breite weibliche Lachen über die eigenen Witzchen und das scherzelnde Sich-Breit-Machen. Beides ist ein wenig gewöhnungsbedürftig für einen Süddeutschen. Mit dem spröden Rationalismus von Norddeutschen komme ich irgendwie besser klar.

Landschaft im Norden Lanzarotes
Landschaft im Norden Lanzarotes

Das vergleichsweise junge Pärchen vor mir muss wohl aus der Schweiz gekommen sein. Ihren Dialekt, der einige für das alemannische eher untypische Elemente enthielt, konnte ich aber nicht weiter zuordnen. Vielleicht entstammten sie einer Region Richtung Frankreich oder dem Wallis.

Ein ständiger Kritikpunkt der ostdeutschen Touristen war neben dem strengen Zeittakt, auf den die Reiseführerin bestand, auch ihre deutliche Vorliebe für die Flora Lanzarotes, die sich an diversen einheimischen Pflanzen zeigte, die sie im Verlauf der Tour vorstellte. Ich fand das eigentlich recht interessant, konnte mir allerdings die vielen Namen der Flechten und Wolfsmilchgeflechte bei der hohen Sprechgeschwindigkeit nicht merken. Was mir aber durchaus klar wurde ist, dass dem enormen Einfallsreichtum der Inselbewohner bei der Nutzung von Pflanzen bittere Armut zugrunde gelegen haben muss. Die Insel bot ihnen wirklich nicht viel zum Überleben.

Speziell die Herstellung eines Purpurfarbstoffes aus bestimmten Flechten hätte mich mehr interessiert. Die berauschende Wirkung von Wolfsmilchgewächsen auf Ziegen und Tintenfische gibt zumindest eine nette Anekdote ab.

Jameos del Agua

Eingangsskulptur beim Jameos del Agua
Eingangsskulptur beim Jameos del Agua

Der letzte Höhepunkt der Ausflugsfahrt war die Besichtung der berühmten Höhle Jameos del Agua in dem von César Manrique gestalteten Teil. Insgesamt verläuft die Höhle über eine Strecke von 7 km, zu besichtigen sind die letzten 300 Meter bei der Mündung zum Meer. Höhlen mag ich eigentlich nicht so, diese war aber hübsch gestaltet. Man sieht ihr heute noch an, dass sie im typischen Flair der 70ziger Jahre entworfen wurde, wie so vieles auf der Insel. Damals muss diese Architektur unglaublich innovativ gewirkt haben, weshalb viele besser betuchte Westdeutsche dies in ihren Wohnungen und Gärten zuhause nachahmten mit ihren Kakteen und Wackersteingärten. Wenn man später geboren ist und in erster Linie die vielen (meist weniger gelungenen) Nachahmungen kennt, wirkt César Manriques Architektur ein wenig altbacken und angestaubt, durchaus imposant, aber altbacken.

Höhlengartenlandschaft
Höhlengartenlandschaft

Ironischerweise kam beim Ausflug gerade die Generation, für die der Künstler die Höhle ursprünglich als Disko in den späten 60ern gestaltete, mit den verwinkelten und nicht unbedingt barrierefreien Lavatreppchen und den sehr hübschen, aber niedrigen Sitzgelegenheiten am wenigsten zurecht. Nicht wenige Rentner stöhnten und jammerten über die vielen, vielen Stufen. Jüngere Besucher und Junggebliebene genossen dagegen die Architektur oder versuchten, die Sensation der kleinen weißen Tiefseekrebse zu fotografieren, was nicht ganz einfach ist, denn die Höhle ist sehr dunkel und die Krebschen sind sehr klein. Mit meinem Smartphone machte ich viele Fotos, aber für harte Kontraste und dunkle Höhlensysteme taugt dessen Kamera weniger, weshalb man auf den Fotos die „Leuchtkrebse“ nur erahnen kann.

Weiße Höhlenkrebschen im Grottendunkel
Weiße Höhlenkrebschen im Grottendunkel

Schade, dass mich meine Spiegelreflexkamera gerade jetzt im Stich ließ. Wenn man nämlich noch einigermaßen gut zu Fuß ist, ist die gestaltete Landschaft nämlich trotz des 70er-Jahre-Stils wunderschön. Es ist kühl und in der Grotte wird man mit einer Musik berieselt, die an das Computerspiel Minecraft erinnert. Die Wohnlandschaft ist auch ähnlich blockartig gegliedert, aber natürlich ohne harte Kanten und glücklicherweise gibt es dort auch keine Creeper oder Zombies, nur die stillen, winzigen Höhlenkrebschen im Wasser.

Künstlicher Pool beim Jameos del Agua
Künstlicher Pool beim Jameos del Agua

Wie schon so oft auf dieser Insel kam in mir auch bei der Erwanderung von Manriques Höhlengarten einmal mehr das Gefühl auf, in einer gigantischen Blumentopffensterbrettlandschaft zu wandeln. Das liegt einerseits an der Trockenbauweise, die an Opuntierenkulturen in Baumärkten erinnert, zum Anderen an den Pflanzen selbst, die eben meist typische Fensterbrettbewohner sind bei uns, hier aber als Riesen in der Landschaft stehen.

Rückfahrt

Nach der Höhle, wo wir einen außergewöhnlich langen Stopp von einer Stunde eingelegt hatten, machten wir keinen weiteren Halt mehr. Bevor es wieder in den Bus ging, war es mir noch gelungen, beim Ausgang eine Olivinkette als Souvenir für meine Mutter zu ergattern.

Auf der Rückfahrt kamen wir vorbei an Weinpflanzungen, einer majestätischen und unglaublich schönen „männlichen“ Windmühle, die ich wie den benachbarten Kakteengarten auch noch gerne fotografiert hätte, aber wir brausten weiter und meine Kamera ging ja auch nicht.

Von der Reiseleiterin erfuhren wir noch viel über die Zucht von Farbläusen auf Opuntien. Sie nahe und in Natura zu betrachten wäre sicher noch interessant gewesen. Da ich schon oft vom „Färben mit Läuseblut“ gehört hatte, fand ich die Story vom Läuseblut in Lebensmitteln auch gar nicht weiter eklig, allein, selber ausquetschen würde ich diese Schildläuse trotzdem nicht. Ich weiß nicht, ob chemischer Farbstoff, der rein synthetisch ist, humaner ist als natürlicher als Lebewesen. Wir töten ja ohnehin ständig, um zu überleben, so traurig das ist. Vielleicht sollte man einfach eine allgemeine Achtung vor dem Leben und auch den Dingen an sich haben und sie nicht einfach unnötig verschwenden.

Sie werden von Touristen gerne errichtet, sind bei den Einheimischen und Parkschützern nicht sehr beliebt: Künstliche Steinebauten. Dennoch geben sie ein nettes Fotomotiv ab.
Sie werden von Touristen gerne errichtet, sind bei den Einheimischen und Parkschützern nicht sehr beliebt: Künstliche Steinebauten. Dennoch geben sie ein nettes Fotomotiv ab.

Wenig Achtung vor der Landschaft Lanzarotes haben nach Ansicht der Reiseführerin Touristen, die überall die Landschaft mit Steinhaufen vermüllen, „Touristenschrott“, besonders wenn es im Nationalpark Timanfaya geschieht. Dann, sagt sie, entferne sie und auch andere die haufenweisen Ansammlungen. Ich teile ihre Meinung, dass es wohl eher Unsinn ist durch das recht willkürliche Aufeinanderstapeln von Steinbrocken ein Bioreservat ins „Gleichgewicht“ bringen zu wollen. Gleichwohl, wenn ich auch selbst keine Steine staple, geben sie doch dann und wann ein hübsches Fotomotiv ab, zum Beispiel an der Strandpromenade, genauso wie die Kätzchen dort.

Die auf Lanzarote vor Jahrzehnten eingebürgerten Deutschen sind schon ein recht spezielles Volk, wie wohl alle Kanarendeutschen. Meist etwas älter, akademisch gebildet und – speziell auf Lanzarote – mit einem speziellen intellektuellen Stilanspruch. Den braucht man wohl auch, um die Landschaft ganzjährig lieben zu können. Mein Ex-Sportlehrer und Ex-Kollege T., der nun auf der Nachbarinsel Fuerte Ventura lebt, hat schon recht: Viel Grün fürs Auge gibt es hier nicht. Im Winter finde ich die Insel aber schön, vor allem als Gegenmittel gegen Hochrhein-Nebel… 😉

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.