Inzwischen bin ich ja schon wieder in Süddeutschland, wo ein Orkan demnächst den Winter bringt. Noch habe ich die Sonne im Herzen, den Verlust meiner Fotos betrauere ich aber weiterhin.
Die Nacht vor dem Abflug konnte ich nicht wirklich schlafen und meditierte daher ein wenig. Das Frühstück nahm ich in meiner Ferienwohnung ein, um die restlichen Vorräte zu verbrauchen. Dann packte ich alles zusammen und ließ dem Zimmermädchen auch noch ein ordentliches Trinkgeld für seine Dienste da. Die Abmeldung im Hotel verlief recht schnell, auf den Transferbus zum Flughafen musste ich allerdings eine Weile warten. So lange sah ich dem Gärtner noch dabei zu, wie er die Dattelpalmen traktierte.
Am Flughafen in Arecife wurden wir von zwei Tui-Reisebegleiterinnen begrüßt, die uns zu den Schaltern lotsten. Dort mussten wir uns in eine endlos anmutende Schlange stellen. Tröstlich war immerhin, dass auch die anderen Urlauber meist darüber klagten, schlecht geschlafen zu haben. Einige Menschen haben sehr eigenartige Methoden, mit ihrer Übermüdung umzugehen. Manche mosern pausenlos herum, ein Mann mit ostdeutschem Akzent schob seinen Koffer immer wieder 20 Meter vor sich zu den voranstehenden Leuten, um ihn nicht ziehen zu müssen, wie er sagte. Schneller ging es dadurch aber natürlich auch nicht.
Als ich nach mehr als einer halben Stunde endlich an die Reihe kam, durfte ich mir immerhin einen Sitzplatz aussuchen. Der Security-Service in Arecife war stressiger als in Stuttgart, weil man alles selber machen musste und die Leute drängelten. Wir waren auch spät dran. Dafür waren die Wartezeiten sehr kurz und ich saß bald im Flugzeug auf Platz 28-F – wie von mir gewünscht ein Platz im Gang. Neben mir saß wieder ein junges Pärchen, eine blonde junge Frau mit schwarzumrahmter Brille und ein sehr großer junger Mann, beide so um die 20, schätze ich. Wir starteten sehr pünktlich, der Flieger war wiederum eine Boing 37-800, diesmal aber wohl ein jüngeres Modell, das inwendig futuristisch ausgeleuchtet war.
Schon recht schnell erwies sich der Platz im Gang als nicht weniger unbequem als der Fensterplatz beim Hinflug. Zwar hatte man hier mehr Beinfreiheit, aber ständig wurde der Servicewagen an einem vorbeigedrückt und Passagiere auf dem Weg zur Toilette drängten vorbei. Verglichen mit dem Menü im Hotel war das Essen im Flugzeug spartanisch. Die Nudeln erweckten in mir unangenehme Erinnerungen an die Lasagne von 1991 in Bonn, die mir eine üble Lebensmittelvergiftung eingebracht hatten, doch sie waren genießbar.
Der Flug am Nachmittag zog sich hin. Ich betrachtete, wie selbstverständlich neben mir die jungen Leute in ihren Kindle-Geräten schmökerten und begann mich alt zu fühlen. Bis heute kann ich dem Lesen über Elektrogeräte nicht viel abgewinnen. Zwar nutze ich sie auch, doch vermisse ich dabei immer das haptische Gefühl eines echten Buches „aus Fleisch und Blut“ und den Duft nach Druckerschwärze und Papier. Es ist für mich einfach nicht dasselbe. Der Flug kam mir diesmal deutlich länger vor als der Hinflug, obwohl ich mindestens ebenso müde war wie damals und eine Weile vor mich hin dämmerte. Er war es auch, denn diesmal hatten wir keinen Rückenwind und flogen somit über die volle Zeit von fünf Stunden. Besonders über der iberischen Halbinsel schien er sich endlos auszudehnen. Sehr schnell ging es aber, sobald wir über den Alpen waren.
Als ich meinem Sitznachbarn gegenüber dem Ganz entgegen scherzte, dass ich jetzt schnell zuhause wäre, wenn ich jetzt einfach über dem Südschwarzwald abspringen würde, kamen wir ins Gespräch. Er war ein Nordbadner und erstaunlich erfreut, als er hörte, dass ich ein Lehrer sei, da begann er von engagierten jungen Lehrern zu schwärmen und von der neuen Gemeinschaftsschule, die seinem kleinen Enkel so gut gefalle. Weniger gut zu sprechen war er auf die Landesregierung, besonders den Finanzminister der SPD, dessen Streichpolitik wohl auch im Nordschwarzwald Kerben hinterlässt. Da er durchaus zu harten Urteilen fähig war war ich froh, dass er mich auch für einen jungen engagierten Lehrer von höchstens 30 Jahren hielt. Ältere Lehrer kamen bei ihm nicht so gut weg. Ich überlegte, ob der Mann wohl eine Brille brauchte oder ob der Kurzurlaub mich 10 Jahre jünger aussehen ließ…
Um 17:05 Uhr, überpünktlich, kamen wir in Stuttgart an. Beim Aussteigen traf ich durch Zufall auf eine Passagierin, die auch per Zug Richtung Singen unterwegs war und eine Verbindung hatte, die zwar wesentlich komplizierter als meine, aber dafür um zwei Stunden schneller am Ziel war. Sie war, da auch schon sehr müde, damit einverstanden, dass wir den Heimweg gemeinsam antraten und uns gegenseitig wach hielten. Der Nachteil der schnelleren Heimreise war, dass ich vom zwischenzeitlich weihnachtlich geschmückten Stuttgarter Flughafen so keine Fotos mehr anfertigen konnte, aber Fotos hatte ich die vergangenen Tage ja genug gemacht, wenn es auch viele davon den Defekt meiner Speicherkarte nicht überlebt hatten. Auch war ich heilfroh, dass es nun schneller Richtung Heimat ging, denn 24 Stunden ohne Schlaf sind nicht so ganz ohne, wenn man keine 20 mehr ist. Damals habe ich das besser weggesteckt. Andererseits erstaunte mich, mit wie wenig Schlaf man auskommt, wenn man nicht unterrichtet. Das Bändigen von 30 jungen Menschen zieht einem manchmal schon massiv Lebenskraft ab, die ich nun zur Verfügung hatte, und so noch zwischen Zugverbindungen hin- und herspringen konnte. Abgesehen hatte mir auch der kurze „Sommerurlaub“ mit seinem warmen, trockenen Klima gut getan. Meine Vermutung, dass meine Lebenskraft an den Sonnenstand gebunden ist, scheint sich zumindest teilweise zu bestätigen. Ich hatte jetzt wieder deutlich mehr Lebensenergie als vor dem Urlaub im Hochrheinnebeldunkelsumpf.
Vom Flughafen ging es nun erst einmal mit mehreren S-Bahnen nach Böblingen, wo wir sogar sehr zeitig ankamen und dort die Winternacht betrachten durften. Um 18:38 Uhr stiegen wir in den Regionalexpress nach Singen, der mit vielen Menschen angefüllt war, die den Stuttgarter Weihnachtsmarkt besucht hatten oder von sonstigen Sportveranstaltungen kamen. In diesem Zug sah ich mehr Kinder und Jugendliche als in der gesamten Woche davor im Ferienort. Der Zug war voll. Immerhin fanden wir noch zwei Sitzplätze und Platz für unsere Koffer. Meine Begleitung zeigte mir, während der Zug die schwäbischen Orte abklapperte, wie sie untergebracht war: In einem noch viel größeren Hotelkomplex als ich, der eigentlich schon eine richtige kleine Stadt war. Sie beschrieb mir, wie sich dort Gäste mit Vollpension den lieben langen Tag mit Essen oder kostenlosen alkoholischen Getränken abfüllen ließen, was sie nicht verstehen konnte und ich natürlich auch nicht. Ich war mir schon in meinem Hotel leicht dekadent und senil vorgekommen mit dem luxuriösen Mal und den ganzen Senioren um mich herum, hatte letztlich aber profitiert davon, dass ich stets die Wahlfreiheit hatte. Es zwingt einen ja niemand, den ganzen Tag an einem Pool herumzuhängen und sich vollzufressen. Sicher hätte ich einen noch viel aktiveren Urlaub machen können, war aber froh, mal wieder den lieben langen Tag im Sonnenlicht wandern und spazieren zu können und sogar mal ein wenig im Meer herumzuwaten.
Auch fühle ich mich wieder deutlich optimischer als vor dem Urlaub, insofern hat er sich gelohnt. Nur würde ich den nächsten endlich mal wieder etwas länger verbringen. Hin- und Abreisen sind keine Erholung, zwischendrin sollten mindestens 14 Tage liegen, aber je nach Ort auch nicht viel mehr, sonst wird es vielleicht öde allein, zumindest ohne Malzeug, Bücher oder Spiele.
In Singen, wo wir auch pünktlich ankamen, habe ich dann glücklicherweise gleich um 21: 00 Uhr einen Anschluss gefunden, glücklicherweise, denn die Kraft ging mir langsam aus. Der Regionalexpress fuhr ohne Schienenersatzverkehr zügig weiter Richtung Lauchringen Bahnhof. Glücklicherweise hielt sich auch der Temperaturschock in Grenzen, da das nahende Sturmtief erst einmal noch „warme“ Luft in den Süden Deutschlands schob, die in den Folgetagen sogar noch zu einigen sonnigen Abschnitten führte. Von selbst rief mich im Zug mein Vater an und bot sich an, mich abzuholen. Das machte mich zwar recht misstrauisch, denn das ist so gar nicht seine Art, doch nahm ich es an, dankbar, nun nicht auch noch kilometerweit den Koffer durch die Winternacht schieben zu müssen. Zuhause wurde ich ungewöhnlich herzlich Willkommen geheißen. Man hatte mich also vermisst. Auch das war eine nette Erfahrung, wenn es auch nicht ganz ohne Grund geschah…