Fäden des Schicksals

Kann man heute noch mit Marionetten glaubhaft eine epische Geschichte erzählen, womöglich gar als Kinofilm für Erwachsene? Doch, man kann! Regisseur Anders Rønnow-Klarlund gelang dies 2004 mit „Strings – Fäden des Schicksals“.

Auf den ersten Blick erinnert der Film „Strings – Fäden des Schicksals“, eine skandinavisch-britische Koproduktion aus dem Jahr 2004, an eine Mischung aus Augsburger Puppenkiste und einem Jackson-Fantasyepos. Bildlich in seinen düster-bedeutsamen Farben und vom eher gemächlichen Schnitt her erinnert er durchaus an den Tolkien-Regisseur, auch bei „Strings“ wird die Natur genretypisch zur Kulisse der unheilsschwangeren Handlung. Allerdings spielt dieser Film nicht in der weiten Landschaft Neuseelands, es mutet immer eher wie eine Puppenbühne an, allerdings eine wahrhaft gigantische, die auf epische Weiten ausgedehnt wurde. Es kommen auch keine realen Charaktere vor – der Film ist kineastisches Figurentheater – wohlgemerkt: Figurentheater, kein Trickfilm. Immer und überall sind die Ziehfäden der Figuren sichtbar. Selbst dann, wenn ganze Armeen von Marionetten marschieren, sind die Strippen da, was allein durch die Masse bisweilen überirdisch wirkt.

"Strings - Fäden des Schicksals" ist kineastisches Figurentheater in ungeahnten Dimensionen.
„Strings – Fäden des Schicksals“ ist kineastisches Figurentheater in ungeahnten Dimensionen.

Doch im wahrsten Sinne des Wortes reichen die Fäden der Marionetten auch bis in den wolkenverhangenen Himmel – ein surrealer Eindruck. Und dass sämtliche Akteure der Handlung Holzfiguren sind, mutet nur in den ersten Sekunden des Films kindlich an, bis den Zuschauer sofort die tragisch-düstere Stimmung einer griechischen Tragödie einholt: Denn was man gleich zu Beginn sieht, ist der Selbstmord des Königs Halderon, nachts, in strömenden, sintflutartigen Regen.

Friedlich und pazifistisch geht es auch im folgenden Verlauf der Handlung nicht zu – denn es herrscht Krieg zwischen dem Volk von Hebaron und den geheimnisvollen Zerithen. Gegen diese will Hal, der Sohn des toten Tyrannen, in einen Rachefeldzug ziehen und fällt damit nur Hofintrigen zum Opfer. Immer wieder in die Handlung verwoben sind die permanent sichtbaren Steuerfäden der Marionetten, die, wie dem Zuschauer schnell klar wird, das Leben der Akteure bestimmen. Wird ein Faden gekappt, erleidet die betroffene Figur eine Lähmung, oder, wenn es sich um den Hauptfaden handelt, sein ganzes Leben. Hindernisse, welche die Fäden stoppen, sind für die damit verbundenen Figuren unüberwindlich – und so kann man ein Stadttor einfach schließen, indem man von oben her den Durchgang versperrt – die Marionetten unten können dann nicht weiter. Auch betreiben die Bewohner Hebalons einen recht eigentümlichen Organhandel mit Sklaven, wenn ihnen in einer ihrer vielen Schlachten ein Gliederfaden gekappt wurden – sie montieren sich dann einfach das entsprechende Körperteil von einem Sklaven, dessen entsprechende Fäden dann mit übernommen werden.

Dass Töten erfolgt, indem man Fäden kappt, versteht man recht schnell und doch überrascht der Film immer wieder mit dem Einfallsreichtum der Marionetten, wie sie sich ihre Lebensfäden kappen können. Insofern ist er manchmal durchaus sehr grausam – gegenüber Marionetten zumindest. Bei all dem gelingt es den Machern, Stimmung zu erzeugen. Es wirkt wirklich düster, wenn gemordet wird, aber ebenso überzeugend sinnlich wirken die Liebesszenen, sowohl zwischen Eltern und Kindern, als auch zwischen Liebenden, wenn der eine Holzkörper den anderen Holzkörper berührt. Geradezu mystisch und einfühlungsreich ist die Geburt einer Marionette inszeniert. Und obwohl die Marionetten abgesehen von ihren beweglichen Glasaugen über keinerlei Mimik verfügen, nimmt man ihnen ihr Leid, ihren Schmerz wie auch ihre Freude jederzeit ab.

Dazu trägt nur ein wenig die Begleitmusik bei, die sich filmisch in den Konventionen der neoromantischen Symphonik bewegt – und natürlich spielen dabei auch Instrumente mit Fäden/Saiten eine Rolle – sei es das epische Streichorchester oder die Harfe für die sensibleren Momente. Viel eindringlicher wirkt allerdings die Kameraführung, die passend zwischen Totale (epische Landschaften) und Nahaufnahmen der Marionetten wechselt, verbunden mit der wechselnden Lichtgebung und den atmosphärischen Effekten wie Regensturm, Nebel, Mondnacht, Wüstenhitze oder Schneesturm, die aus der „Bühne“ eine Seelenlandschaft machen. Immer wieder auch durchbricht gerade das viele Wasser den Eindruck, dass es sich etwa nur um eine Puppenbühne handelt – schon am Anfang mit den unglaublichen Wasserfluten vom Himmel, aber auch bis zum Schluss – der Film endet auf dem offenen Meer. Immer ist es echtes Wasser, keine Attrappe. Das überzeugt, wirkt echt.

Somit hat sich der Marionettenfilm seine vielen Auszeichnungen und Preisnominierungen wirklich verdient. Selten war Marionettentheater so pathetisch wie sinnlich. Allerdings verschenkt er von der Handlung her auch einiges an Potential. Denn die Story – trotz der vielen guten Ideen um die „Schicksalfäden“ – bleibt doch letztlich im Rahmen der Konvention und vor allem die letzte Minute hätte man sich sparen können, er wirkt zu schablonenhaft, passt nicht wirklich zur vorigen Handlung und  tendiert vergleichsweise naiv in Richtung Wunscherfüllungsesoterik. Dagegen bleibt völlig offen, wie es nun mit den Überlebenden weitergeht, die noch an ihren Fäden hängen. Doch womöglich ist das ein subjektiver Eindruck – sich den Film anzuschauen lohnt sich auf jeden Fall, zumindest, wenn man sich auf Figurentheater einlässt. Denn wie gesagt: Es handelt sich um echtes Figurentheater, nicht um einen gewöhnlichen Puppentrickfilm.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.