L’Illusionniste – Hommage an Jacques Tati

Es gibt Filme, bei denen kann man sagen: Nach 3 Jahren sind sie schon völlig out, veraltet, kaputt. Das gilt vor allem für Filme, die nur auf Trends oder Technikeffekte setzen. Andersherum gibt es aber auch Filme, da muss man sagen, sie sind mit Würde gealtert, wenn nicht gar zur Legende gereift. Zu diesen zählen die Werke des französischen Regisseurs Jacques Tati.

Insbesondere seine Figur des Monsieur Hulot, dieser vorsichtig freundliche, leicht tollpatschige, aber vielleicht gerade deshalb so liebenswürdige Gentleman, der den Tücken der modernen, seelenlosen Gesellschaft zum Opfer fällt, hat den französischen Regisseur Jacques Tati (1907-1982) legendär gemacht. Dabei mochte Tati die Reduzierung auf seine Filmfigur Hulot eigentlich gar nicht, sie für sich wird seinem Anliegen auch nicht gerecht. Er selbst hat sich mal als „ein Don Quichotte, der mit Humor gegen die Windmühlen“ der Moderne anrennt, bezeichnet, dabei war er als Regisseur selbst wie kaum ein anderer modern in Bild- und auch Toneinsatz.

Cover zur DVD-Ausgabe von "Der Illusionist", die in Deutschland bei ARTHaus erschienen ist.
Cover zur DVD-Ausgabe von „Der Illusionist“, die in Deutschland bei ARTHAUS erschienen ist.

Was seine Filme heute so sehenswert macht, ist auch, wie entlarvend das in den 50zigern und 60zigern Moderne inzwischen kaputtgealtert ist. Farblos-kantige Brachialbauten wie in „Mon Oncle“ (1958) oder „Playtime“ (1967) errichtet heute sicher keiner mehr (außer vielleicht in besonders rückständigen Hinterwaldsgemeinden wie Waldshut-Tiengen). Was Tati in seinen Filmen der Technik damals als angeblich veraltet entgegensetzt: menschliche Seele, Flair und Stil, hat sich inzwischen längst als klassisch-zeitlos erwiesen. Insofern ist Tati für heutige Zuschauer verständlicher als für seine Zeitgenossen, denn die Zeit gab ihm recht.

Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis einmal jemand Tati selbst ein filmisches Denkmal setzt und ein solches ist sicherlich „L’Illusionniste“ (2010) von Sylvain Chomet. Das Drehbuch selbst stammt noch von Jacques Tati, der es zeitlebens aber nie als Realfilm umsetzen konnte. Im Jahre 2010 wurde es nun vom französischen Multitalent Chomet als Zeichentrickfilm realisiert und dieser ist eine mehr als würdige Hommage an den französischen Altmeister. Musik und Bildführung verneigen sich vor dem Original, auch der sanfte, eher unaufdringliche Humor ist von Tatis Meisterwerken abgeschaut.

Inhaltlich handelt der Film von einem gealterten Bühnenmagier, der nach einigen Rückschlägen in der tiefsten schottischen Provinz Applaus findet – und einen jugendlichen weiblichen Fan, der ihn daraufhin begleitet. Naiv, wie das Mädchen ist, glaubt diese, der alte Mann sei ein echter Zauberer, und schnell gerät dieser in finanzielle Schwierigkeiten, weil er trotz aller Bemühungen nicht genug Geld für die beiden auftreiben kann. Um die beiden Hauptpersonen herum scharen sich eine Reihe ins Detail gezeichneter weiterer Lebensschicksale, die ebenfalls meist komitragisch sind.

Wie es Epigonen zu eigen ist, erreicht der Animationsfilm in seiner Gesamtumsetzung fast Vollkommenheit, setzt eine ganzheitliche Schönheit um, die Tatis Realfilme so nie erzeugen konnten, doch fehlt dem Zeichentrick andererseits das Revolutionäre, das Innovative, was Tatis Filme 50 Jahre früher auf die Leinwand brachten. Denn wenn Tati selbst auch oft augenzwinkernd die „guten alten Zeiten“ beschwor, erwies er sich über die Jahre deutlich innovativer als die Technik- und Architekturmoden seiner Zeit. Genau das kommt im Zeichentrickfilm nicht zum Zuge, der eher das Emotionale auf die Spitze treibt und stark romantisiert: Im Trickfilm kommt keine Moderne vor, das schottische Sujet wirkt klischeehaft rückständig. Der Magier scheitert nicht wie einst Hulot an der Technik, sondern schlicht an seinem Alter. Bei aller Fortschrittskritik – ein Romantiker war Jacques Tati sicher nicht, dafür höchst selbstironisch. Zumindest dies kommt auch im Animationsfilm gut rüber, ebenso die Komitragik.

Ein weiteres Element, was gelungen übernommen wurde, ist der Verzicht auf Sprache als Mittel der Kommunikation. Schon in den Originalfilmen, spätestens ab „Die Ferien des Monsieur Hulot“ werden gesprochene Texte eher als Zeichen babylonischer Verwirrung benutzt als zur Informationsübermittlung. Die Hauptcharaktere, besonders Hulot, gestikulieren eher oder schweigen ganz. Auch der Magier in  „L’Illusionniste“ sprich so gut wie nicht und das Schottenmädchen auch im französischen Original Gälisch, was nicht nur der Magier im Film kaum versteht. Insofern bemerkt der Zuschauer auch nicht, dass der Film im Deutschen gar nicht erst synchronisiert wurde.

Trotzdem sind Tatis Filme keine Stummfilme, denn sie setzen die Geräuschkulisse sehr bewusst ein, um Zustände und Prozesse zu verdeutlichen. Der Zeichentrickfilm übernimmt dies, statt Naturgeräuschen ist es hier aber vor allem die Filmmusik, welche Stimmungen übernimmt. Komponiert wurde sie ebenfalls von Sylvain Chomet, der neben Produktion, Regie, Charakterdesign auch den Schnitt übernahm sich einmal mehr als Multitalent zeigte. Die Filmmusik zitiert beim Hauptthema bewusst Tati, besonders auch im leichten Jazzstil, bleibt aber doch eher konventionell, indem es in filmtypischer Weise die Musik sehr an die britische Landschaft anpasst. In seinem früheren Werk „Das große Rennen von Belleville“ (Les Triplettes de Belleville, 2003) hatte sich Chomet, was Originalität und Expression angeht, deutlich näher an Tati gehalten – auch was Ton und Musik angeht (und schon in diesem Film finden sich Anspielungen auf Tati). Im Vergleich mit dem Vorgänger bleibt „L’Illusionniste“ filmisch aber recht zahm.

Doch vielleicht würde der Kinogänger des 21. Jahrhundert in geballter Zusammenstellung von Tatis besonderem Drehstil überfordert. Sowohl die teils antizyklische Geräuschkulisse als die extreme Dehnung von Erzählzeit würden den an zuckende Actionschnitte gewohnten Zuschauer überfordern. Selbst „L’Illusionniste“ wirkt schon recht behutsam und langsam, obwohl er im Vergleich zu Tatis Schnitttechnik deutlich stärker rafft und in der Zuschauerkonvention der letzten 15 Jahre verbleibt.

Was bleibt ist eine gelungene, behutsame Annäherung an Altmeister Jacques Tati, die – immer wieder bewusst seine Filme zitierend – Tati in Perfektion würdigt, ohne allerdings seinem vorhandenen Schaffen Neues hinzuzufügen.

Die ganz am Schluss eingeblendete Widmung an Sophie Tattischeff, Tatis Tochter, zeigt, dass der Illusionist vielleicht auch für den Altmeister selbst steht, immerhin ist die Figur im Trickfilm auch optisch und gestisch dem späten Tati nachempfunden. Wenn man soweit geht, in seiner tochterhaften Begleitung Tatis Tochter zu sehen, muss man die Abschiedsnotiz des Magiers im Film aber hinterfragen: „Es gibt keine Zauberer!“ – vielleicht gibt es sie aber doch. Und Jacques Tati war sicher einer!

Wer übrigens Tatis Schöpfung Monsieur Hulot wieder lebendig sehen möchte, der sei auf das im August 2013 erschienene Bilderbuch „Hallo, Monsieur Hulot“ des belgischen Zeichners David Merveille verwiesen. Es enthält 22 neu erfundene Bildergeschichten über Hulot, sehr detailreich und liebevoll dem Altmeister nachempfunden und mit vielen, vielen Anspielungen auf Tatis Werke.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.