Kaum ein Ort auf meiner Sizilienreise war malerischer gelegen als Taormina, hoch über der azurblauen Küste des Ionischen Meeres und mit palmenbesäumtem Blick auf Messina, Giardini Naxos und den Ätna. Putzige bunte Häuschen, darunter dutzende kleine Paläste, sind abenteuerlich an die Felsen gebaut.
Freilich ist der Ort – nicht nur wegen seiner vielen idyllischen, aber steilen Treppchen – nicht sonderlich barrierefrei. Die Steilwand von 200 Metern über dem Golf von Giardini Naxos überwindet man entweder nur in mörderischen, ungesicherten Eselspfaden oder über die engen Serpentinen, die durch den doch eher ruppig-chaotischen Fahrstil örtlicher Auto- und Busfahrer nicht weniger gefährlich wirken.
Klugerweise nutzt man auch besser gleich die sehr gute Nahverkehrsanbindung, entweder über die Buslinie Messina-Taormina oder Catania-Taormina. Der Zugbahnhof dagegen liegt unten an der Küste, gesonderte Fahrradwege gibt es nicht, Parkplätze sind im eng an den Fels gebauten Taormina eher Mangelware. Am besten erreicht man Taormina per Linienbus und geht dann zu Fuß.
Die Altstadt von Taormina selbst ist fast reine Fußgängerzone und strotzt nur so von architektonischen Fotomotiven, Kirchen, Museen, Palästen in den unterschiedlichen Epochenstilen, bietet vielen kleine Läden mit der neuesten Designermode, kulinarischen Spezialitäten oder allerlei Krimskrams, der das Touristenherz erfreut und die Koffer füllt. Besonders die Kunstgalerien haben aber einiges zu bieten. Oft nur recht kitschige Aquarelle oder Ölgemälde, manchmal aber auch moderne Kunst und sogar für historische Kupferstiche ist ein Laden zu finden – denn spätestens seit Goethes Sizilienreise wurde Taormina zum Künstlerhort und zu einem Magneten für akademisches, meist gut bezahlendes Publikum. Leider sind die Preise bis heute nicht ohne. Zwar kann anderorts kaum eine Bar oder ein Hotel mit solch wahrlich paradisischen Aussichten werben und selten ist das Angebot an lokalen Spezialitäten in Speis und Trank so vielfältig, doch auch die Preise haben es manchmal in sich.
Eine der Hauptattraktionen von Taormina ist das Theatro Antico, was auf den ersten Blick wie ein griechisches Theater wirkt; die Ziegelsteinbauweise verrät aber recht schnell, dass man hier ein römisch-antikes Bauwerk vor sich hat.
Tatsächlich wurden hier einst auch keine griechischen Tragödien gespielt, sondern römische Gladiatorenmetzelspiele veranstaltet, wohl sicher aber zutreffend, wie Goethe einst schrieb, vor einer Kulisse, die ihresgleichen sucht:
„Setzt man sich nun dahin, wo ehmals die obersten Zuschauer saßen, so muß man gestehen, daß wohl nie ein Publikum im Theater solche Gegenstände vor sich gehabt. Rechts zur Seite auf höheren Felsen erheben sich Kastelle, weiter unten liegt die Stadt, und obschon diese Baulichkeiten aus neueren Zeiten sind, so standen doch vor alters wohl eben dergleichen auf derselben Stelle. Nun sieht man an dem ganzen langen Gebirgsrücken des Ätna hin, links das Meerufer bis nach Catania, ja Syrakus; dann schließt der ungeheure, dampfende Feuerberg das weite, breite Bild, aber nicht schrecklich, denn die mildernde Atmosphäre zeigt ihn entfernter und sanfter, als er ist.
Wendet man sich von diesem Anblick in die an der Rückseite der Zuschauer angebrachten Gänge, so hat man die sämtlichen Felswände links, zwischen denen und dem Meere sich der Weg nach Messina hinschlingt. Felsgruppen und Felsrücken im Meere selbst, die Küste von Kalabrien in der weitesten Ferne, nur mit Aufmerksamkeit von gelind sich erhebenden Wolken zu unterscheiden.“
– Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, 6. Mai 1787 (Auszug)
Als ich im Theater weilte, war die Sicht allerdings zu trübe, um bis nach Catania oder Messina zu blicken. Giardini Naxos bis Recanati lag klar vor dem Betrachter, doch bereits der Ätna versteckte sich in leichten Wolken. Schön wäre sicher noch gewesen, einen Sonnenuntergang im Theater zu fotografieren, doch der Eintritt kostet jedesmal 8 EUR und das Theater macht schon recht früh am Abend zu, sodass man daraus einen Sonnenuntergang nicht einfach ablichten kann. Wie schon in Syrakus waren auch hier fleißige Bauhandwerker bei der Arbeit, um die Bühne für die kommende Freilichtspielsaison herzurichten. Heutezutage werden auch in der ehemaligen Arena Theaterstücke gespielt.
Doch auch jenseits des Theaters gibt es mancherlei romantische Aussichten, eigentlich kaum einen Flecken in Taormina, der nicht lohnenswerte Einsichten ermöglicht. Obwohl auch schon im April reger Touristenbetrieb herrscht, hat man in Taormina nicht das Gefühl, nur in einer Touristenkulisse umherzuwandern, wohl auch deshalb, weil der Ort zu groß und zu vielgestaltig ist, um eine künstliche Kreation zu sein, wie etwa seinerzeit Costa Teguise auf den Kanaren.
Auch wird Taormina von lebendigen Menschen bewohnt, die authentisch ihre Lebensart vermitteln, es ist also keine reine Touristenkolonie, dennoch polyglossal. Besonders in Erinnerung blieb mir die Begegnung mit einer – trotz der Hitze – edel in Pelz gekleideten älteren Dame, die mich ausgesucht höflich und mit Flair in gleich fünf Sprachen nach dem Weg fragte. Fast kam ich mir da wie in einem Film aus den 50ziger Jahren vor und es tat mir wirklich leid, dass ich ihr nicht weiterhelfen konnte.
Gerne, hätte ich mehr Geld und einen passenden Packesel gehabt, hätte ich mich mit einem ganzen Service des sehr hübschen und farbenfrohen sizilianischen Geschirrs eingedeckt, begnügte mich allerdings mit einer kleinen Vase und zwei Trinkbecherchen. Das war auch gut so, denn später beim Rückflug sollte man ja sehr ruppig mit dem Koffer umgehen. Die drei hübschen Keramiken kamen trotz allem aber heil an und wurden dann gleich an Anverwandte verschenkt. Außerdem entdeckte ich in Taormina ein besonders herziges Geschäft voll mit kleinen Grinsepüppchen, und kindischerweise konnte ich es natürlich nicht lassen, mir daraus eine kleine, hübsche Sizilianerin mitzubringen.
Anderes, wie das teure Porzellan, die doch recht kostspieligen historischen Kupferstiche oder die in Massen anzutreffenden bemalten Terracottaköpfe ließ ich links liegen, lediglich ein hübsches Aquarell aus einem Aquarellgeschäft erwarb ich noch. Dabei ging dann doch ein guter Teil meines Taschengeldes drauf. Taormina wird mir ein wunderschönes, aber doch eben auch etwas kostspieliges Pflaster in Erinnerung bleiben.