Über die innere Mentalität des Krieges

Kriege fallen nicht vom Himmel, sie geschehen auch nicht zufällig, sondern mutwillig durch die Bereitschaft, sie zu führen. Und diese wächst unmerklich innerlich heran, in den Verantwortlichen. Und in der Gesellschaft.

Es gab eine inzwischen längst vergangene Zeit in der deutschen Gesellschaft, da wurde Klausewitz schon aus Prinzip nicht zitiert, da war es völlig verpönt, sich militärisch zu kleiden und damit militaristische Inhalte zu verbreiten. Da war selbst ein militärischer Verband wie die Bundeswehr hauptsächlich dazu da, im Notfall zu schützen. Wer Soldat war, das verlangte man von ihm, der musste sich tagtäglich selbst Asche aufs Haupt streuen und beteuern, dass er kein Kriegstreiber war, nur ein Staatsbürger in Uniform. Das galt auch für Politiker. Allein die theoretische Idee von Auslandseinsätzen galt als Tabu, das zu brechen in der deutschen Geschichte aufgrund der deutschen Vergangenheit sich nie mehr ereignen dürfte.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Daran ist keineswegs der „deutsche Siegeswille“ schuld, sondern vielmehr der Zeitgeschmack, der weltweit auf uns medial hernieder prasselt. Es folgt nun keine Medienschelte, denn die Medien produzieren nur das, was auch konsumiert werden will, das aber geschah seit drei Dekaden unmerklich zunehmend militaristisch, in vielen kleinen Schrittchen.

Ich selbst war in meiner Kindheit Zeuge. Die verlief in den 80zigern noch weitgehend pazifistisch mit friedliebenden tschechischen Märchen, Luzie, dem Schrecken der Straße, Biene Maja und Ferdinand der Ameise. Man lebte in Uhlenbusch, Anderland oder Entenhausen. Die Welt wurde bevölkert von Heidi, Perin, Niklas, dem Jungen aus Flandern und das militaristischste darin war ein Captain Kirk und Mr Spock, deren Uniformen in ihrer Farbenfreude aber eher Schlafanzügen glichen und ihr frumpeliges Verhalten eher Cowboys als Soldaten. Schlachtszenen gab es so gut wie nie. Es fing ganz harmlos anderorts mit Privatdetektiven und Wrestlern an, die im deutschen Fernsehen auf damals billigen Privatsendern versatzweise militärische Acessoires zu tragen begannen, die quasi „in privater Regie“ die Keime von Gewalt, getarnt als Selbstjustiz oder Privatermittlungen gegen Kriminelle in die Kinderzimmer trugen. Vom Historienfilm abgesehen war direktes Militär aber damals nicht hoffähig und militärisches Denken schon gar nicht.

Nie wieder Krieg, hieß es bei den Erwachsenen damals wie aus einem Munde. Ja, das war keine hohle Floskel damals. Man ging sogar soweit, dass man Anfang der 90er fast den kompletten Karneval ausfallen ließ als Protest gegen einen damaligen Irakkrieg, der heute so weit weg scheint und so klein und bedeutungslos im Vergleich mit dem, was seither an Grauen über die Welt kam.

Zeitgleich geschah im Kleinen aber die Wende bei der kommenden Generation. Anfang der 90er war im europäischen Fernsehen Militarismus nämlich noch keineswegs hoffähig, in Computerspielen allerdings schon. Weniger die direkte Gewalt und Pixelblut waren an ihnen gefährlich als die strikte, unbarmherzige Logik, die Gewalt zu Strategie verklärt und gerade die klinisch reinen und scheinbar harmlosen Taktikspiele waren es, die das Denken in Richtung der unbarmherzigen Logik des Krieges schulten. Nicht ganz zufällig versuchte man die Kriege der späten 90er und nach der Jahrtausendwende als hochmoderne, „technisch saubere“ Präzisionskriege zu verkaufen. Doch ein echter Krieg selbst ist irrational, brutal, blutgetränkt – auch wenn er per Joystick mit Drohnen geführt wird – kann daher nicht allein mit Logik beworben werden, denn sonst endet seine Existenzberechtigung, sobald der Schein des klinisch Reinen dem mordenden Kriegsalltag zu Opfer fällt, die reine Maske der Technizität vom täglichen Massaker abfällt.

Daher braucht es noch mehr zum Krieg: Es braucht willensstarke Individuen, die ihm mit Herz und Begeisterung (ohne zuviel darüber nachzudenken) vorbildhaft Sinn einhauchen, obwohl das ganze Unternehmen niemals gut enden kann. Enden aber muss es im Krieg auf eine festgelegte Art und Weise, welche die moralische Handlungsfreiheit ersetzt und die in der Kriegsfiktion „Schicksal“ genannt wird. Kurz: Es braucht HELDEN!

Und die Helden kamen geradezu angeschwemmt gegen Ende der 90ziger Jahre. Nun hat auch das zwanzigste Jahrhundert literarisch viele interessante tragische Heldenfiguren hervorgebracht, doch ab der Mitte des Jahrhunderts war der moderne Held prismatisch gebrochen, ein Antiheld und das Schicksal wurde als das entlarvt, was es in Wirklichkeit ist: eine Notlüge. Das kann man in einem Krieg jedoch nicht gebrauchen, denn so etwas lässt sich nicht für Werbezwecke verwenden.

In den letzten fünfzehn Jahren drehte man daher die literarische Uhr wieder zurück in den Massenmedien und heraus kam eine Breite Front von vergleichsweise primitiven, schwarzweißen Heldenmythen, so als hätte es die beiden Weltkriege nie gegeben. Antike Heroen grub man wieder aus oder Altgermanisches, was sich nun politisch korrekt „nordisch“ nennt. Besonders hart traf es die vermarktungstaugliche bessere Fantasyliteratur. So wurden aus Kinderbüchern Kriegsmythen für Erwachsene gedreht und – tragischerweise – ein Antikriegsroman wie „Herr der Ringe“ mit seiner eigentlich eher pazifistisch-heldenkritischen Botschaft in sein genaues Gegenteil verkehrt. Statt einem zivilen Frodo oder Bilbo waren es nun Heldenelben, Kriegermenschen und Klingonenzwerge, die den Fokus an sich rissen. Tolkiens Tom Bombadil und Roverandom dagegen gingen verloren – denn ein Film taugt heute nicht zum Blockbuster, wenn nicht mindestens alle drei Minuten irgendetwas großflächig explodiert oder zerbirst. Wir lechzen in der Fiktion geradezu nach Katastrophen und Untergängen, nach der großen reinigenden Katharsis der Zerstörung. Wir scheinen das irgendwie zu brauchen.

Die Zivilgesellschaft dagegen ist uns fragwürdig geworden, scheint uns wegen zu vieler Kompromisse innerlich träge, hirnlos konsumierend, seelenlos, weil uns die persönlichen Siege im Alltag fehlen und wir jeden höheren Sinn, der sich nicht systemisch erklären lässt, in Realität ausschließen – wir leben populärkulturell ja noch tief im 20. Jahrhundert: eine Zombieapokalypse scheint unausweichlich. Das zumindest ist die mediale Botschaft.

So geschah es, dass man heute den Krieg nicht mehr nur als notwendiges Übel, sondern als tagtägliches Geschehnis akzeptiert, das einem zum Frühstück, zum Mittag und zum Abendessen großflächig serviert wird und gegen das man ja auch nichts tun kann. Kaum jemand kümmert es, wenn schon in der Realität wieder eine Nation destabilisiert wird, wenn unter den anonymen Großzahlen viele Schicksale zugrunde gehen, wenn ganze Landstriche unter Kriegsrecht fallen, Hunderttausende fliehen müssen und  dass überhaupt die Einschläge immer näher kommen. Aber das muss ja anscheinend so sein, das sagt uns schon die Logik. Und hoffentlich sind dann hoffentlich auch ein paar Helden für uns da, die mutig mit Joystick für uns kämpfen und untergehen werden, während wir im Fernsehsessel oder im Public Viewing bequem dabei zusehen. So wünschen wir uns das jedenfalls.

Denn Krieg als Gesamtphänomen geschieht nicht erst in freier Wildbahn, er wird in den Herzen der Menschen geboren. Und dort ist er vielerorts längst angekommen und Alltag geworden; normal. Leider.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.