Von Akrobaten und Zauberern

„Zauberer und Akrobaten vertragen sich nicht besonders“, erzählte mir mal ein Freund, als ich ihm arglos vorschlug, seine Jonglierkünste mit Zaubertricks zu garnieren – und er erklärte mir auch, warum.

Lichteffekt von Leuchtdiabolos der Zirkus-AG "Zebrasko" bei einer Aufführung in Singen (Foto: Martin Dühning)
Lichteffekt von Leuchtdiabolos der Zirkus-AG „Zebrasko“ bei einer Aufführung in Singen (Foto: Martin Dühning)

Akrobaten und Zauberer: Obwohl unbedarfte Zuschauer beide Bühnenkünstler allzu oft verwechseln, ist ihre Kunst doch sehr unterschiedlich. Akrobatik beruht letztlich auf Geschicklichkeit, artistisch-sportlicher Körperbeherrschung, Bühnenmagie basiert dagegen auf kunstvollen Illusionen. Das, so meint mein Freund, hat Auswirkungen darauf, wie beide Darstellergruppen mit ihren Kunststücken umgehen. Für Akrobaten gehört es einfach dazu, ihre „Tricks“ miteinander frei auszutauschen, Bühnenmagier dagegen hüten ihre Geheimnisse, geben sie eher ungern preis, verkaufen sie im Zweifelsfall höchstens. Und obwohl sie bei Veranstaltungen oft miteinander (oder besser nacheinander) auftreten, beäugten sich beide Gruppen kritisch.

Vielleicht ist diese Darstellung etwas zu binär-dualistisch und das mag wohl auch darin begründet sein, dass mein Freund nicht nur Akrobat, sondern auch Informatiker ist und stark der Share-Economie zuneigt. Allerdings ist die Argumentation bis zu einem gewissen Grade durchaus logisch und schlüssig: Was ist schon dabei für eine Körperkünstler, anderen zu zeigen, wie man die quirligen Balltrick-Lichteffekte mit den Diabolos, Leuchtkegeln oder Fackeln hinbekommt? Die eigentlich Akrobatengemeinschaft kommt doch gerade dadurch zustande, dass man einander hilft, sich gegenseitig beibringt, wie es funktioniert, damit Bälle, Teller und Tassen aller Physik zum Trotz doch in der Luft bleiben.

Magier dagegen sind im direkten Vergleich mit Akrobaten, die meist in Rudeln auftreten, eher Einzeldarsteller – eben ein Meister und dann und wann nur Assistenten. Hier gibt es eine klare Hierarchie zwischen Eingeweihten und Unwissenden. Das muss auch so sein: Wenn ein Magier all seine Geheimnisse preisgeben würde, würde er die Aura des Numinosen, die zu seiner Rolle fest dazugehört, wegwerfen und sich völlig zu einem Trickbetrüger entzaubern. Diese gewisse Geheimniskrämerei führe sogar dazu, dass Bühnenzauberer sich gegenseitig kritisch beäugen, zueinander in Konkurrenz stehen – meint zumindest mein Freund, der Akrobat.

Die reine Technik jedoch, die beide Darstellertypen verwenden, ähnelt sich sehr – denn auch Bühnenzauberer benötigen zur Ausübung ihrer Kunst Körperbeherrschung: Fingerfertigkeit, Balance und Geschicklichkeit – ohne lässt sich der einfachste Kartentrick nicht bewerkstelligen. Umgekehrt wäre ohne jegliche Aha-Effekte auch ein Akrobat für die Zuschauer nicht besonders aufregend. Artistische Leuchtspiele benutzen die gleichen physikalischen und chemischen Rezepte wie die Tricks der Magier, die gleiche Bühnentechnik. Nur die Schwerpunkte und das Selbstverständnis sind jeweils ein anderes. Letztlich sind es soziale Rollen, die zu wahren sind: „spielerisches Teilen in Freiheit“ und „persönliche Mystik“.

Diese beiden dualistisch gedachten Rollenmuster lassen sich aber auch sonstwo in unserer heutigen Gesellschaft finden: Zuallerst in der IT-Branche, woher dieses Denkmuster wohl ursprünglich entstammt, als sich die Share-Economy als Gegenbewegung zum Software-Business entwickelte, welches einst das Denkmodell „Geistiges Eigentum“ zu neuen, neoliberalen Höhen weiterentwickelte. Hier gab es anfangs vor allem die großen, mystischen Softwaremagier wie einen Steve Jobs oder Bill Gates, die vom Verkauf ihrer Kunst lebten, ihre Tricks geheim hielten und etwaige Nachahmer verfolgten. Auf der anderen Seite die Akrobaten von der Free Software Foundation und der Linux-Fraktion, die ihre Programmierkünste dadurch optimieren, dass sie in ihrer Community ihre Techniken quelloffen miteinander austauschen.

Mit der allgemeinen Technisierung ist das Denkmuster aber auch längst im Alltag jenseits der IT angelangt – und sei es bei der einfachen Frage, ob man nun in ein meisterlich-kontrolliertes Taxi steigen soll oder in ein Share-Economy-Gefährt von Uber. Dabei allerdings sind, wie meist im realen Leben, diese vorgedachten Rollenmuster zu unterscheiden von der harten Realität, in der sich „gut“ und „böse“ nicht so einfach trennen lassen. Denn auch, was als „rein freundschaftliches Teilen mit Win-Win-Situation“ daherkommt, ist oft von nackten kommerziellen, neoliberalen Interessen getrieben.

Insofern heißt es für uns Zuschauer kritisch zu bleiben: Die Realität lässt sich nicht gar so einfach in Magier und Akrobaten unterteilen, wie uns binäre Rollenzuweisungen glauben machen wollen. Denn neben den beiden Rollen „Akrobat“ und „Zauberer“ gibt es auf der Bühne noch eine weitere, nämlich den Schauspieler, dessen eigentlich Stärke es ist, scheinbar nach Belieben in jede beliebige Rolle schlüpfen zu können (auch in die eines Akrobaten oder Zaubers), ganz wie es die Situation erfordert. Die wirklich größten Bühnendarsteller dieser Zeit sind doch im Endeffekt eben die Dramaturgen – und die ganze Welt ist ihr Theater.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.