Sprichwörtlich redet man gerne von ihr – der guten, alten Zeit. Früher, wo alles besser war; angeblich. Doch warum eigentlich?
Seltsamerweise sprechen nicht nur alte Leute von der vorgeblich „guten, alten Zeit“, sondern auch schon Teenager und manchmal sogar schon Kinder. Allein Menschen, die mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen haben, verschränken bei der leichtfertigen Rede von der „guten, alten Zeit“ stirnrunzelnd die Arme. Sonst jedoch schwärmt man gerne von früher, wo es angeblich besser war, obwohl sich dafür selten konkrete Beweise finden lassen, die einer kritischen Überprüfung standhalten.
Am Glück allein kann es jedenfalls nicht liegen. Wenn man ein Tagebuch führt, stößt man in seinen Einträgen schnell auf ähnliche Alltagssorgen und Mühen, wie sie auch in der Gegenwart herrschen, teilweise auch ausgemachte Krisen, wie sie Teil eines jeden Lebens sind. Und sofern man nicht alternativlos dem Abgrund entgegen eilt, geht es vom Gestern ins Heute doch vergleichsweise eher aufwärts, oder wenigstens auf und ab, denn die vergangenen Krisen der „guten, alten Zeit“ sind in der Gegenwart doch oft schon bewältigt und durch andere ersetzt.
Das Schwinden der Erinnerung, die Tücke des menschlichen Gedächtnisses, die Vergangenes in ein zartes Rosa ausbleichen lässt, erklärt das Phänomen nur teilweise. Trotz eingefärbter Seelenlinse: Die meisten Menschen sind sich ihrer durchlebten Sorgen und Mühen von gestern durchaus bewusst.
Vielleicht ist es aber auch gerade das, was verlebte Momente so erstrebenswert erscheinen lässt: Wir haben, wie sie auch immer wirklich gewesen sein mag, die Vergangenheit in jedem Fall überlebt, was wir von der Gegenwart und ihren Sorgen nicht mit bestimmter Sicherheit sagen können und für die weite Zukunft schon gar nicht. Und dieses Überlebthaben beschert uns ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, welches vergangenen Situationen, als sie noch Gegenwart waren, oft gar nicht mal innewohnte.
Im Rückblick allerdings verblassen viele Sorgen als unnötig, weil sie sich irgendwie erübrigt haben und selbst ausgemachte Krisen, weil wir sie doch noch überstanden haben, worauf wir letztlich, selbst bei schmerzlichen Momenten, mit Erleichterung zurückblicken.
Und dann gab es sicher auch tatsächlich den einen oder anderen wirklich glücklichen Moment, welcher wie der Scheinriese Vergangenheit an sich umso monumentaler und heroischer wirkt, je weiter er in die Ferne rückt.
Und so werden aus längst verblichenen kümmerlichen Nadelbäumchen und weltlichen Geschenklein der Kindheit jene überirdischen Weihnachtsfeiern und aus kleinlichen Ritualen jene heiligen Familienhandlungen unserer Kindertage, an die wir uns sehnsüchtig zurückerinnern, wenn uns die profane Gegenwart aus einer letztlich immer ungewissen Zukunft gleichgültig und teils grau entgegenweht…