Ich habe zu Danzig schon so manche Recherche getätigt – meist allerdings nur über Archive: So habe ich nach dem Dichter Johannes Plavius geforscht, über den es in Danzig selbst erstaunlich wenig zu wissen gibt, finden sich seine Werke heute doch nur anderswo – oder auch zur eigenen Familiengeschichte, wo es immerhin sicher noch mehr zu finden gibt.
Wenn man nun mal schon vor Ort ist, kann man das aber auch für eine leibhaftige Ansicht nutzen, statt immer nur in Büchern oder Onlinearchiven zu schmökern. Zumindest bei den Familienangelegenheiten besteht da auch noch eine Chance, etwas zu finden. Von Plavius haben sich seit seinem dubiosen Verschwinden nach 1630 ja keine greifbaren Spuren mehr erhalten.
Die Dühnings kommen ganz ursprünglich nicht aus Danzig, sondern aus einem Ort namens Hermelsdorf in Pommern, der heute Nastazin heißt – doch die Dühnings verließen diesen Ort offenbar schon Mitte des 19. Jahrhunderts, die einen Richtung Amerika, die anderen Richtung Danzig. Dort siedelten sie sich in Langfuhr an, wo auch mein Urgroßvater Max Paul Dühning lebte und seine Familie gründete, allerdings mit einer Katholikin, was zum Bruch mit den restlichen protestantischen Dühnings führte. Als Max Paul früh verstarb, kamen einige seiner Kinder ins Waisenhaus, die jüngsten blieben bei ihrer Mutter, Anna Dühning, geborene Gdanitz – und diese zog mit ihren Kindern wieder zu ihrem Vater, Theofil Gdanitz. So wuchs mein Großvater Gerhard Dühning als Halbwaise bei der Familie Gdanitz auf. Meine Urgroßmutter nahm sich einen neuen Gefährten, heiratete diesen aber nie, weshalb ihre gemeinsamen Nachkommen nicht dessen Familiennamen Labudda, sondern den Mädchennamen Gdanitz trugen. Als mein Großvater dann mit meiner Großmutter Nelly Löwen eine Familie gründete, zogen sie nach Oliva bei Danzig, dort in die Greifswalderstraße 53. Dieser Ort war also ein Ziel unserer Reise.
Oliva bot sich außerdem an, um unseren neuen Mietwagen zu testen, den wir am Samstagmittag beim Danziger Büro von Europcar abholten. Glücklicherweise war es ein sehr gut fahrbarer, kompakter und außerdem fast fabrikneuer Renault Clio, sogar einer mit fünf Türen, der sich für die polnischen Straßen später noch als sehr geeignet erwies. Um ihn und den durchaus chaotischen polnischen Verkehr zu testen hatten wir als erstes Fahrziel Oliva ausgemacht. Dieses erreichten wir am frühen Nachmittag nach einigen Querelen mit dem Navi, dass mit den vielen polnischen Baustellen überfordert war, und dem sehr hektischen polnischen Stadtverkehr, der keine Fehler toleriert, was uns zu einigen Umwegen zwang.
In Oliva machten wir als erstes bei dessen Hauptattraktion halt: Der großen Kathedrale von Oliva! Sie ist die Kathedralkirche des Erzbistums Danzig und verfügt über weltberühmte Orgeln. So verwundert es auch nicht, dass wir mitten in ein Orgelkonzert platzten, dass mit allerlei skurrilen Klängen beeindruckte, denn die Danziger Orgel verfügt über sehr spezielle Register.
Die Kathedrale selbst ist ebenso sehenswert und verdient durchaus auch den Namen „Dom von Oliva“, denn sie beeindruckt durch Größe wie durch ihren Detailreichtum.
Auch von außen ist die Kathedrale durchaus sehenswert, allerdings wegen relativ beengender Bebauung schwer seitlich abzulichten. (Und wieder einmal mehr bereute ich auf dieser Reise, kein Weitwinkelobjektiv zu besitzen.)
Von der Kathedrale ging es dann in den idyllischen Schloßpark von Oliva, wo wir vesperten, dann entdeckte ich den alten Friedhof von Oliva und wollte nun doch versuchen, ob es nicht doch irgendwo noch Spuren meiner Vorfahren gäbe. Also teilten wir uns auf und durchkämmten den Friedhof.
Dühnings fanden wir natürlich keine, auch niemand aus der Familie Gdanitz, aber doch immerhin einige Labuddas und Gurskis – Anna Gurski, so war der Mädchenname meiner Ururgroßmutter gewesen.
Nachdem wir uns sehr lange dem gigantischen Friedhof gewidmet hatten – Gräber werden in Polen offensichtlich sehr lange erhalten und ausgiebig gepflegt, weshalb zu fast jedem Friedhof ein Blumengeschäft gehört, wandten wir uns wieder dem Parkanlagen zu und besichtigten dort dann noch das kaschubische Museum, das allerlei Artefakte aus dem früheren Leben der Kaschuben zeigt.
Im Hof trafen wir dann noch eine Münchnerin, die ich die vorigen Tage beim Frühstück kennengelernt hatte. Sie war an diesem Tage auch in Oliva unterwegs und wollte danach noch nach Zoppot, bevor sie sich am folgenden Tag dann mit ihren Söhnen in Allenstein treffen wollte. Wir schwatzten noch ein wenig – was bei dieser Reise aufgrund meiner mangelnden Polnischkenntnisse leider viel zu kurz kam, dann suchten wir wieder unseren Clio auf, denn nun sollte es in die Greifswalderstraße gehen, um zu sehen, was davon noch vorhanden war.
Einer meiner Onkel hatte mit seinem Plotter zuvor eine gigantische Karte von Danzig aus dem Jahr 1935 ausgedruckt, mittels deren Daten und moderner Google-Technik interpolierten wir den Ort, der früher einmal die Greifswalderstraße gewesen war. Ganz sicher war ich mir nicht, weil die polnischen Straßennamen heute andere sind und dabei vielleicht auch die Nummerierung geändert wurde. Also durchstreiften wir zur Sicherheit mehrere Straßen, in der Hoffnung, dass es vielleicht die richtigen sind. Leider erkannte mein Vater später dann kein einziges Haus, vielleicht ist dort inzwischen doch alles neu gebaut, und auch seine ehemaligen polnisches Nachbarn, die Familien Zeuke und Rogowski, haben Oliva längst verlassen. Aber wäre das ein Wunder?
Jedenfalls war es hilfreich, die Straße noch zu dokumentieren, denn der polnische Bauboom machte sichtlich auch vor Oliva nicht halt und in unmittelbarer Nähe wuchsen bereits neue Bauten in die Höhe, während einige der Gebäude in der ehemaligen Stettinerstraße schon bedenklich dahinbröckelten.
Nachdem wir so fast den gesamten Tag mit Ahnenforschung verbracht hatten, schlossen wir ihn mit einem kurzen ersten Ausflug in die Kaschubei, wo wir an einer Straße auch ein kleines Restaurant fanden, bevor es dann wieder zurück Richtung Danzig zu unserem Hotel ging.