ComiX = Phoenix + (Comics)²

"Gymnassic-Park" war das wohl berühmteste der Phoenix-ComiX
"Gymnassic-Park" war das wohl berühmteste der Phoenix-ComiX

Comics gab es in der Schülerzeitung Phoenix schon ab Ausgabe Nr. 1, und zwei Jahrzehnte lang blieben die Redaktionen den kleinen Bildgeschichten treu. Mindestens fünf Ausgaben lang erstaunte die Phoenix ihre Leserschaft mit ComiX wie „Gymnassic Park“, die den (bisherigen) Höhepunkt darstellten. Wir konnten für die Jubiläumsausgabe Nr. 50 (2008) die beiden Autoren, N.S. und D.S., nach zehn Jahren für ein Interview gewinnen.

Ausschnitt aus den legendären ComiX der 1990er - mit Herrn Kremer als Batman
Ausschnitt aus den legendären ComiX der 1990er – mit Herrn Kremer als Batman

Phoenix: Geschichtslehrer Kremer als Batman, der ehemalige Schulleiter Faller als Raumschiffkommandeur, diverse Lehrer im Dinosaurierzoo – und manchmal alles munter miteinander verknüpft – wie kamt ihr eigentlich auf die Ideen zu euren Comix?

D.S. (kratzt sich lange am Kopf): Ja, wie eigentlich? Solche Ideen kamen uns eigentlich in den unmöglichsten Momenten. Die besten davon natürlich im Unterricht selbst, der ja auch für unsere Zitatsammlung die wichtigste Quelle war. Die Leitmotive für die Storys speisten sich zwar immer aus den Redaktionssitzungen selbst, wo immer sehr schnell die Kreativität sprudelte. Auch war die ComiX-Mannschaft in der selben Klassenstufe, was die Kommunikation darüber deutlich erleichterte.

N.S.: Die wichtigsten inhaltlichen Einfälle hatte D.S., der ja auch die Skripte geschrieben und mir später unter der Schulbank durchgereicht hat – wenn mir daran etwas nicht gepasst hat, habe ich es beim Zeichnen autoritär geändert, oder, wenn ich nett war, ihn gebeten, eine Alternative zu schreiben, was er, wenn er nett war, auch gemacht hat. Einige visuelle Einfälle sind in den ersten Comics noch beim Zeichnen selbst entstanden, später, als wir durch die Erfahrung dazugelernt hatten, wurden jedoch auch diese geskriptet. Die Storys waren natürlich Parodien auf Filme und TV-Serien, mit denen wir groß geworden sind, und unser Versuch ihnen Respekt zu zollen.

D.S.: Unser allererster ComiX war übrigens nicht „Badman“ mit Herrn Kremer, sondern „Indiana Günthi“ mit Herrn Faller. Dessen Durchsagen waren stets ein Fest. Da johlten wir schon innerlich, weil wir ja in der Redaktion ständig darüber nachdachten, wie wir unsere Lehrer durch den Kakao ziehen könnten. „Achtung, eine Durchsage!“ Sich den Schulleiter als Jäger des verlorenen Schatzes im alten, dunklen, spinnwebendurchzogenen Pavillon vorzustellen – der wegen Asbestverseuchung ja geschlossen und daher immer auch etwas unheimlich war – das war nicht schwer.
Wir wollten das alles aber nicht auf Pennälerniveau machen, sondern dabei respektvoll bleiben. Das beweist, dass trotz mancher Frustration das Verhältnis zu unseren Lehrern gut war. Unsere Rebellion gegen sie war daher unpolitisch, populär und (leider) recht zahm. Deshalb sind unsere Lehrer-Figuren auch immer in seriösen Rollen zu sehen.

N.S.: Das stimmt. Wir haben selbst die Bösewichte, wie den Mysterymaker (Herr Hlawatsch) oder Detective George Lutz (Herr Lutz) immer respektvoll behandelt und ihnen am Schluss Absolution für Ihre Untaten in der Geschichte erteilt. So, wie es umgekehrt im Unterricht auch meistens war.

Herr Faller als oberster Ordnungshüter in "Tiengham City" in den ComiX
Herr Faller als oberster Ordnungshüter in „Tiengham City“ in den ComiX

Phoenix: Also zuviel fern gesehen statt Hausaufgaben gemacht?

D.S.: Ich denke wirklich, dass wir die erste visuelle Generation waren. Im analogen Zeitalter vor dem Satellitenempfang der Privatsender waren Kinofilme und deren Ausstrahlung im öffentlichen Fernsehen noch echte Gruppenerlebnisse. MTV hat dann unsere Sehgewohnheiten und unser Ästhetikverständnis verändert. Wir sind an der Schwelle zum digitalen Zeitalter groß geworden. Visuelle Inspirationsquellen waren also all die dominanten „Bilder“ unserer Zeit: Indiana Jones, Star Trek, Akte X, Jurassic Park. Aber auch klassische Computerspiele wie Sam & Max oder Monkey Island. Obwohl die letzten beiden Storys nie über Skizzen hinausgekommen sind. Schade eigentlich. Und ziemlich nerdy. Ohne unseren begnadeten Zeichner N.S. wären aber auch die anderen Ideen nie was geworden. Wir haben deshalb natürlich auch wie wild Abenteuerfortsetzungsromane geschrieben. „Die Apokalypse-Chroniken“ war eine sehr spannende Zusammenarbeit zwischen N.S. und mir, „National Institute of Space Research“ (als Edward C. Robards) eine Kooperation (und immer auch ein kleiner Wettbewerb) mit Buck S. Wolf. „Star Trek – Another Generation“ (als David Stapleton) ging aus einer wilden Redaktionssitzung – und einigen Vorlagen von Isaac Tréville – hervor. Das habe ich dann nachts in einer Woche runtergeschrieben. Das ging ganz von allein.

N.S.: Tatsächlich sind viele der Zeichnungen beim Fernsehen entstanden. Eine Zeit lang hatte ich mir im Arbeitszimmer meiner Mutter ein festes Lager eingerichtet, in dem ich nachmittags die Arbeit vorantrieb und nebenbei die neueste Folge on Star Trek TNG oder den Simpsons sah. Für mich stellte sich übrigens tatsächlich oft die Frage, ob ich mich lieber an die Hausaufgaben mache oder an die nächste Comic-Seite. Ohne damit ein schlechtes Beispiel setzen zu wollen, aber das Zeichnen hat einfach mehr Spaß gemacht…

D.S.: Ja, das ging mir oft auch so. Hausaufgaben fand ich immer irre langweilig. Es war einfach viel zuviel Kreativität vorhanden. Die musste raus. Also in die Phoenix damit! Außerdem war es immer unglaublich cool, unsere Manuskripte im Phoenix-Endlayout zu sehen. Mann, haben wir uns ernst genommen damals.

Faller im Weltraum: Ausschnitt aus "Gymnassic Park"
Faller im Weltraum: Ausschnitt aus „Gymnassic Park“

Phoenix: Die Zeichnungen sehen sehr aufwendig aus, wie macht man sowas?

N.S.: Daran würde ich mich heute, ganz ehrlich, auch gerne noch erinnern. (grinst) Vermutlich braucht es eine gewisse Besessenheit, wenn man sich jeden Tagen für mehrere Stunden in einen kleinen Raum verkriecht, Freunde und Schule vernachlässigt und einen Strich neben den anderen setzt, bis endlich alles passt. Die Produktion lief meistens so, dass ich das Skript vorab auf Skizzenblättern in Seiten und Panele aufteilte, damit ich wusste, welcher Teil mehr Platz brauchen würde als andere. Die Skizzen dienten dann als Vorlage für die Din A4 großen Seiten, auf die zuerst die schwarzen Rähmen kamen und dann mit Bleistift die Zeichnungen. Mit schwarzen Füllern, Pinseln und Tinte wurden die Figuren reingezeichnet und am Ende mit Hilfe meines Vaters und einem der coolsten Fotokopierer der Welt auf A5 verkleinert, damit sie in die Phoenix passten.

Phoenix: Eure Comics sind fast perfekt auf den Druck vorbereitet, wie man es sonst nur von professionellen Bildbänden kennt. Woher habt ihr das Fachwissen genommen, z. B. für die Schraffuren?

N.S.: Der Trick besteht darin, alles in A4 vorzubereiten. Beim Verkleinern auf A5 denkt dann jeder, man hätte von Anfang an so filigran gezeichnet. Die Schraffuren sind tatsächlich aus Verlegenheit entstanden, weil mir große weiße Flächen in den Panelen suspekt waren. Zuerst habe ich nur einfache Schatten und Strukturen hinzugefügt, und irgendwann war eben die ganze Seite voll damit. Ich habe dann immer behauptet, das sei so gewollt, aber eigentlich lag es nur daran, dass ich es nicht anders konnte. Zum Teil bediente ich mich für die Muster auch an Rubbelfolien für Architekturzeichnungen und die Sprechblasen stammten in den späteren Geschichten alle aus dem Computer, ausgedruckt mit einem Tintenstrahler und eingeklebt mit Liebe, Spucke und von Hand.
Man kann aber auch sehen, dass ich von unserem ersten ComiX Indiana Günthi bis hin zu Gymnassic Park viel dazu gelernt habe. Der Stil und die Pinselführung haben sich sehr verändert.

D.S.: Du bist einfach ein autodidaktisches Genie.

Phoenix: Wie lange habt ihr für eine Episode eurer ComiX gebraucht?

D.S.: Das war immer ein interaktiver Prozess, der über die Jahre immer länger und aufwendiger wurde. Das Schreiben einer Episode ging eigentlich relativ schnell. Ein paar Tage, selten vielleicht ein bis zwei Wochen. Oft hatten wir vor dem Schreiben schon eine gemeinsame Idee und manche Lacher standen schon von Anfang an fest. Nach dem Manuskript zeichnete N.S. dann einfach drauflos. Ich habe da nur die Sprechblasen geschrieben. Der gesamte Bildwitz stammt also von ihm.

N.S.: Am Anfang ließ sich noch jede Seite innerhalb eines halben Tages zeichnen, doch der eigene Anspruch und der damit verbundene Aufwand wurden immer größer, und so benötigte eine Seite in Gymnassic Park am Ende fast 2 Tage. Obwohl ich versucht habe, mir immer wiederkehrende Motive durch kopierte Vorlagen zu vereinfachen, half das nur bedingt. Vor der letzten Folge von Gymnassic Park habe ich sogar ganz kapituliert, da mir die Arbeit und Schule weit über den Kopf hinauszuwachsen drohten. Ich habe mir zwar vorgenommen, sie irgendwann einmal fertig zu stellen, aber wann … ja wann…

D.S.: Je anspruchsvoller wir für die Storys wurden, desto interaktiver wurde auch der ganze schöpferische Prozess. Für Gymnassic Park haben wir gemeinsam sogar Karten für die Insel gezeichnet sowie Skizzen für die einzelnen Hotels im Park, die Fahrzeuge und Hubschrauber. N.S. hat das alles aufgenommen und daraus das Große Meisterwerk gemalt. Natürlich hatten wir vorher schon beide Michael Crichtons Vorlage verschlungen und den Kinofilm gesehen. Das war sogar noch bevor es die Fortsetzungen zu Buch und Film gab. Die Spezialeffekte waren damals sensationell neu und haben uns fast gezwungen, daraus was für die Phoenix zu machen.

N.S.: Ich wollte einfach Dinosaurier zeichnen.

Beispielsseite aus den Gymnassic-Park ComiX
Beispielsseite aus den Gymnassic-Park ComiX

Phoenix: „D.S.“ und „N.S.“ sind nicht eure wirklichen Namen. Warum habt ihr unter Pseudonym veröffentlicht?

D.S. (lacht): Pseudonyme sind cool. Wir hatten jeder etliche davon. So fühlten wir uns freier und frecher, glaube ich.

N.S. (bleibt sehr ernst): Das ist natürlich Quatsch. In Wahrheit ging es darum, eine Vielzahl von geheimen Informanten zu schützen, die für uns Interna aus dem Lehrerkollegium zusammentrugen, die wir dann in den ComiX veröffentlichten. Klar-Namen hätten unsere ganze Arbeit und Recherche gefährdet! Man muss sich das mal vorstellen, das ganze Weltgefüge stand auf der Kippe. Castro! Die Schweinebauch-Mafia! Saddam Hussein!

D.S.: (wirft N.S. einen bösen Blick zu)

N.S.:Okay, okay, es geht schon wieder. (kichert leise und etwas manisch vor sich hin)

Phoenix: Habt ihr auch noch nach eurer Phoenix-Zeit/Schulzeit Comics veröffentlicht?

D.S.: Ich habe weiter viel geschrieben, auch Kreatives. Aber keine Comics mehr. Außerdem wird man älter und langweiliger, alles, was ich heute schreibe ist „seriös“ und „wissenschaftlich“. Unterhaltsam ist das wahrscheinlich nur für eine kleine Gemeinde von Eingeweihten und Experten. Die Lust an geschriebenen Bildern und neuen Welten ist geblieben, auch konsumiere ich wieder viel zuviele TV-Formate. Ich bin wohl wirklich ein Serienjunkie. Kreatives und Eigenes hat N.S. mehr gemacht.

N.S.: … das ist jetzt relativ, und eigentlich habe ich dafür auch fast 10 Jahre gebraucht. Eine Zeit lang habe ich, inspiriert vom Humor Joscha Sauers « Nichtlustig.de », tägliche Cartoons auf meiner Webseite veröffentlicht, bis mir schon bald darauf meine überbordende Arbeit die Zeit wieder nahm. Schade eigentlich. Statt mit Zeichnungen habe ich mich viel mit fotorealistischen Bildmontagen beschäftigt, und seit knapp 2 Jahren blogge ich. Auch da kommt hin und wieder etwas Gezeichnetes zum Vorschein, aber auch viele alberne Texte und ziemlich kranke Fotografien. Zur Zeit bin ich ja auf Weltreise
in Australien und verarbeite dort meine Reiseerlebnisse. Das geht vom Aufwand her inzwischen schon in eine ähnliche Richtung, wie damals bei den ComiX.

D.S.: Da fällt mir ein: Wir haben beide mal an einem Computerspielprojekt eines Stufenkameraden gearbeitet, wofür ich ein langes Manuskript begonnen und Du ein paar Vorlagen für Hintergrundgrafiken gezeichnet hast. Das ist aber dann eingeschlafen. Aber vielleicht sollten wir wirklich mal wieder was zusammen machen.

N.S.: Dazu müssten wir uns aber auch mal wieder öfter sehen 😉

D.S.: Sagt der Mann auf Weltreise.

Phoenix: Aktuell sind bei unseren Lesern Mangas (japanische Comics) hoch im Kurs. Was haltet ihr von dieser Stilrichtung?

D.S.: Wir finden Mangas beide hochspannend. Ich bin nicht nur mit „Asterix“ sondern auch mit „Akira“ großgeworden, dem ersten Manga (damals noch in der 20-bändigen kolorierten amerikanischen Fassung), der bei uns von Carlsen popularisiert wurde. Die wichtigste Innovation des japanischen Comics war wohl die Darstellung von Geschwindigkeit, Tempo, Speed. Der Manga hat die klassische, behutsame Welt von Kästchencomics gesprengt, indem er Seiten als grafische Einheit verstand, als schockgefrorenes Standbild eines Actionfilms. Wir verdanken ihm im modernen Comic alles.

N.S.: Akira ist natürlich ein gutes Stichwort – aber unter Manga versteht man auch die Computerspiele und die vielen billigen Fernseh-Animationen. Und da fehlen mir leider oft die Bewegungs-Phasen und der Blick für Details. Die meisten Comics und Cartoons, die mich heute interessieren, kommen aus dem deutschsprachigen Raum. Ganz hoch im Kurs stehen Ralf König, Flix und die Cartoons von Joscha Sauer.
Interessanterweise sind die Zeichnungen für mich inzwischen eher nebensächlich geworden. Die Geschichten oder der Humor müssen mich packen.

Phoenix: Habt Ihr noch einen Tipp für heutige Phoenix-Comic-Künstler?

N.S. (grinst): Wieso sich die Gelegenheit auf altkluges Geschwätz entgehen lassen, wenn man schon mal darum gebeten wird? 🙂 Zeichnen kann ein wichtiges Handwerkszeug sein, aber auch das ist nutzlos, wenn die Ideen nicht zünden. Wer selbst keine gute Einfälle für Geschichten hat, aber trotzdem Lust hat zu zeichnen, kann es – wie wir – auch im Team versuchen. Ohne die Skripte von D.S. hätte es damals keine Geschichten gegeben.

D.S.: Oh. Danke. Ich würde jungen Autoren immer raten, selbstbewusst zu sein und keine Scheu zu haben. Natürlich haben wir uns schamlos bei den Bildern und Formaten unserer Zeit bedient – und natürlich auch bei den Marotten unserer Lehrer. Dennoch können solche Geschichten den Lesern und dem Autor Spaß machen. Mir machte diese „abgeleitete Kreativität“ das Schreiben immer sehr leicht. So konnte der Schreibfluss schneller an Fahrt gewinnen und die Geschichten und Charaktere haben sich wie von selbst beim Schreiben entwickelt. Das Handwerkszeug kann man so ziemlich gut trainieren. Dem Bilderstrom unserer CNN- und MTVZeit zwischen Spielberg und Lucas konnten wir sowieso nicht entrinnen. Heute ist diese Inspiration noch allgegenwärtiger, mit den unterschiedlichsten Formaten zwischen Pokemon, Ghost in the Shell, Heroes und Lost. Die Bilderwut im Fernsehen und mehr noch im Kino ist unglaublich. Man darf einfach keine Angst haben zu unterhalten.

Phoenix: Herzlichen Dank für dieses Interview und weiterhin alles Gute!

Das Interview wurde 2008 geführt von Martin Dühning, zuerst veröffentlicht in Schülerzeitung Phoenix Nr. 50 (2008), S. 60-62.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.