Der böse Brief oder: „den Panther nehm‘ ich auch …“

Satire für fort Geschrittene

Nachdem im Raum 304 (heute Raum 204) im April 2003 urplötzlich ein rosa Ungetüm aufgetaucht war, wurde wenig später in der Schülerzeitung Memphis Nr. 4 folgender Leserbrief veröffentlicht:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie hiermit auf die subversiven Machenschaften meines Kollegen M. A. D. aufmerksam machen, durch den ich meine langjährige Erziehungsarbeit nicht nur gefährdet sehe, sondern in ihrer ganzen Beschaffenheit existentiell bedroht vorfinde!

Unübersehbar ist, dass Herr D., schon seit er im September 2002 hiesige Gefilde zu infiltrieren begann, beständig seinen Einflussbereich auszudehnen bestrebt ist – und das in umfassenden, ja universalistischen, um nicht zu sagen: katholischen Ausmaßen! Es wird dem aufmerksamen Betrachter nicht entgangen sein, dass Herr D. schon seit seiner Ankunft gleich zwei Sitzplätze in unserem bescheidenen Lehreraufenthaltsraum dauerhaft besetzt hält (den einen für sich selbst, den anderen für seinen Lehrerrucksack), dass er über ein freventlich großes, vier Kubikmeter(!) umfassendes Höhenfachabteil verfügt, zu welchem er überdies in den Pausen immer wieder auf einer Leiter demonstrativ emporsteigt, um uns Kollegen seine angebliche Überlegenheit symbolisch zu verdeutlichen. In jenem Höhenfachabteil hortet Herr D. nicht nur vielfältige Unterrichtsmaterialen, sondern mannigfache technische Gerätschaften, deren Einsatzzwecke wir nur dunkel erahnen können, und selbst so absonderliche und mit seinem Fächerkanon Deutsch, Religion und Geschichte in keinem ersichtlichen Zusammenhang stehende Gegenstände wie Bettlaken, Besen, diverse Musikinstrumente, Seile, Sonnenbrillen, ja sogar Waffen (Schlagstöcke, Hämmer, Armbrüste und Revolver), mit welchen er unabhängig von der jeweiligen Altersstufe seine Schützlinge autoritativ einzuschüchtern pflegt.

Mit den ihm in gutem Glauben anvertrauten Jugendlichen thematisiert Herr D. erwiesenermaßen rebellische und häretische, teilweise sogar okkultistische Praktiken und verdirbt sie somit dauerhaft für die weitere unterrichtliche Verwendung. Dabei greift Herr D. immer wieder in unzulässiger Weise über seine eigenen Fächerbereiche hinaus und verletzt die Kompetenzen von Musiklehrern, Theaterpädagogen, Informatikern sowie besonders von uns Kunsterziehern. Überdies gelang es Herrn D. in einem bislang beispiellosen Akt dreifacher Machtergreifung während des laufenden Schuljahres, die Herrschaft über mehrere zusätzliche Klassen zu usurpieren – und dies sogar mit Duldung unserer wertesten Schulleitung!

Abschließend möchte ich für die fundamentale Bedrohung, welche für uns aus diesem Manne erwächst, ein Exempel anführen, in welchem sich alle diese bedenklichen Merkmale in besonderer Weise verdichten: das Skandalon von Raum 304. Betrat man früher diesen Ort, so wurde man durch den erfrischenden Anblick jungfräulicher Wände entlohnt. Betritt man dieses Zimmer heute, so trüben sich Auge und Herz: Allerlei flüchtige Poster und Plakate verschandeln die Seitenflächen. Doch rückwärtig fällt ein an die Wand gepinseltes Monstrum in den Blick, eine Ausgeburt kontraästhetischer Boshaftigkeit, welche sich in ihrer flächenmäßigen Ausdehnung horizontal über die gesamte Wandung erstreckt und den schockierten Betrachter optisch niederschlägt:

Das Skandalon von Raum 304 (heute 204) - ein rosa Panthertier
Das Skandalon von Raum 304 (heute 204) – ein rosa Panthertier

Von ihrer künstlerischen Ausführung laienhaft, so als wäre sie von Pubertierenden selbst verfertigt worden, lässt die Arbeit in ihrer geschmacklos-lüsternen Farbgebung (bordellrosa) Übelstes befürchten: Welche tiefenpsychologischen Auswirkungen dieses Machwerk auf die unschuldigen Herzlein der sensiblen Achtklässlerinnen haben dürfte, die dieses Schauobjekt nun beständig erleiden müssen – ich möchte das hier aus Anstand und Pietät verschweigen!

Daher kann ich nur inständigst darum ersuchen, endlich Maßnahmen gegen das Treiben dieses modernen Peter Squentz zu ergreifen. Da Herr D. in seinem Höhenfachabteil Versorgungsgüter für die nächsten zwei Jahrzehnte eingelagert hat, dürfte ihm durch ein Materialembargo nicht mehr beizukommen sein. Durch eine Entfernung der Leiter im Lehrerzimmer könnte man ihn allerdings kurzfristig stoppen. Mittelfristig möchte ich der Schulleitung nahe legen, eine Zwangsversetzung an eine Schule mit erwiesenermaßen hohem Religionslehrerverschleiß zu erwirken, beispielsweise unser Schwestergymnasium in Tiengen, um unsere schöne Welt langfristig gesehen von diesem Übel zu befreien!

Mit freundlichen Grüßen,
ein kritisch-besorgter Erzieher

Anmerkung der Redaktion: Dieser Offene Brief konnte von unseren Spionen vor seiner offiziellen Verbrennung durch die GLK noch schnell heimlich kopiert werden. Für seinen Urheber zog das Schreiben angeblich übelste Folgen nach sich: Nachdem eine spontan angesetzte standrechtliche Erschießung durch den örtlichen Personalrat in letzter Sekunde von der Schulleitung verhindert wurde (Begründung: Formfehler), musste der Betroffene doch reumütig Abbitte leisten und sich zur Buße einen Monat lang jeden Morgen zum Angelusgebet dreimal vor dem besagten rosaroten Abbild verneigen. Die dabei möglicherweise gesprochenen Bittgebete scheinen aber erhört worden zu sein, sein Kollege wird zum neuen Schuljahr tatsächlich ans KGT versetzt.

Aus der Schülerzeitung Memphis Nr. 4 (Juni 2003), S. 56-58

 

Über Martin Dühning 1507 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.