Du sollst nicht ewig walten!

Über die vernünftigen Grenzen der Schülerzeitungsbetreuung

Bevor man zum Ringgeist mutiert, sollte man ab und zu seinen Zuständigkeitsbereich wechseln (Grafik: Martin Dühning)
Bevor man zum Ringgeist mutiert, sollte man ab und zu seinen Zuständigkeitsbereich wechseln (Grafik: Martin Dühning)

Das mit den Ringen der Macht ist ja so eine Sache: Meist werden die magischen Artefakte aus Tolkiens Fantasywelt als archetypische Manifestation des Bösen missverstanden. Dabei symbolisieren sie vielleicht eine ganz natürliche Begebenheit – dass wir nämlich auf unsere gesellschaftliche Funktion hin degenerieren, wenn wir immer nur die gleichen Kräfte nutzen.

Was immer man auch tut: Man soll nicht ewig gleich schaffen und walten – das gilt gerade auch in Jobs, in denen man eigentlich nur als Betreuer und Supervisor tätig ist, beispielsweise bei der lehrerseitigen Betreuung von Schülerzeitungen.

Eine echte Schülerzeitung ist eine Zeitung (ob digital oder analog), die von Schülern und für Schüler gemacht wird. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der schülerseitigen Interaktion, nicht auf dem Endprodukt. Letztlich gelingt Schülerzeitungsarbeit genau dann, wenn die Schüler in allen Stationen ihres Schaffens (redaktionsinterne Diskussion, Produktion und Publikation) die eigentliche Initiative behalten. Weder eine Schulzeitung, noch ein Jahrbuch ist eine Schülerzeitung in diesem Sinne, denn dort spielen letztlich doch Erwachsene die tragende Rolle als Mitproduzent und als Leserschaft. Der Schwerpunkt liegt dort auf dem Endprodukt. Daher brauchen Schülerzeitungen, und diverse bundesweite Schülerpresseorgane betonen das auch, letztlich gar keine Lehrerbetreuer, auch wenn das manche Schulleitungen, besorgte Lehrer oder auch autoritätsverwöhnte Schüler anders sehen mögen.

Freilich gewährt eine lehrerseitige Betreuung eines, was Schülerredaktionen so sonst nicht haben: Kontinuität über die Jahrgänge hinaus. Denn scheidende Schülergenerationen sehen mit großer Regelmäßigkeit mit ihrem Weggang aus der Redaktion das Ende der Schülerzeitung gekommen, junge Redakteure können mit dieser Kritik (zurecht) nicht viel anfangen. Ein Erwachsener kann da in den Übergangsphasen die nötige Kontinuität schaffen, in größerem Rahmen neue Redakteure anwerben, bis sich die nächste Generation etabliert hat. Ansonsten sollte sich der Betreuer allerdings tunlichst zurückhalten, da die Schülerzeitung ansonsten eher früher als später zur Lehrerzeitung degeneriert.

Wie groß die Gefahr ist, dass der Lehrer die Redaktionsarbeit an sich zieht, die Schülerzeitung zur Lehrerzeitung mutiert, das hängt von seinem Charakter ab. Die Gefährdung steigt mit dem Level seiner Erfahrung und auch mit seinem persönlichen Status an der jeweiligen Schule. Je einflussreicher und sprachmächtiger die Lehrkraft, desto größer wirkt die Verführung, als graue Eminenz selbst der eigentliche Chefredakteur zu werden, und da den meisten Schülerzeitungsbetreuern diese Gefahr durchaus bewusst ist, suchen sie sich daneben noch andere ähnliche Betätigungsfelder (z. B. Jahrbücher, Schulwebseiten, Literaturkreise) oder treten irgendwann zugunsten jüngerer Betreuer zurück, die vielleicht noch näher an den Jugendlichen dran sind – ähnlich wie bei der SMV-Arbeit.

Das war auch der Grund, warum ich nach bald 11 Jahren Phoenix-Betreuung im Jahr 2013 Platz für jemand anderen schaffte. Denn man darf ja auch nicht übersehen, dass die betreuende Lehrkraft schon eine deutliche Rolle dabei spielt, welche Schülerkreise überhaupt in eine Redaktion kommen. Die diskursive Phoenix zu Zeiten von Erika Steuber (1980er Jahre), das professionelle Presseorgan zu Zeiten von Gerhard Behnke (1990er Jahre) und die eher verspielten Phoenixe aus meiner Zeit (2003-2013) unterschieden sich ja schon deutlich in ihrem Duktus.

„Du sollst nicht ewig walten!“, das ist aber vielleicht auch in jedem anderen Metier ein wichtiger Grundsatz, denn wer über viele Jahre lang immer in genau dem selben Schaffenskreis seine Kräfte gebraucht, der degeneriert tatsächlich zu einem Ringgeist, zu einem funktionalen Schatten seiner selbst. Die hohe Kunst, seine Kräfte zu gebrauchen, besteht darin, sie nicht wahllos und monoton einzusetzen, sondern möglichst gezielt und variabel, und – wenn der Zeitpunkt gekommen ist – seinen „Ring der Macht“ weiterzureichen an jene, die noch unverbraucht sind, mit gutem Gewissen und ohne falsche Reue – und ohne dabei selbst Schaden zu nehmen.

Viele Leute glauben ja, es sei sehr schwer, in neue Aufgaben hineinzuwachsen, die eigentliche Schwierigkeit besteht aber doch immer darin, sie im rechten Augenblick an die Nachfolger weiterzugeben und irgendwo anders neu anzufangen, um lebendig zu bleiben.

Über Martin Dühning 1522 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.