Im Rückblick, muss ich sagen, erscheint mir das Leben in Oberlauchringen wie eine Vorhölle, in der man für Sünden schmort, die man selber nicht begangen hat. Eine grundlose Dauerblockade – das mangelhafte Internet in Oberlauchringen ist dafür ein treffliches Symbol.
Hier gibt es nichts außer Fluglärm, Maissilage und Mastanlagen. Ein paar Einkaufszentren für die Schweizer Kundschaft noch. Wer stilvolle Gemeinschaft oder intellektuelle Gesprächsamkeit sucht, der war in Lauchringen eigentlich schon immer fehl am Platze. Erst war es ein Bauerndorf, nun ist es ein Schweizer Schlafvorort von neureichen Pendlern geworden, die in ihren Gärten und Köpfen modische Varianten des Gartenzwergs ziehen. Das geistliche Zentrum der Gemeinschaft, quasi sein spiritueller Höhepunkt, sind die örtlichen Narrenvereine, daneben gibt es noch ein paar Kindercatering – und Sportmöglichkeiten und demnächst ein paar teure betreute Seniorenwohnungen. Das war’s – und das wird es wohl auch bleiben, da alles Kluge, was nachwächst, sofort bei nächster Gelegenheit fortzieht. Kann man es den Jungen verübeln?
Nun wäre das ja im Zeitalter globaler Vernetzung eigentlich nicht so schlimm – immerhin kann man sich ja eigentlich virtuell mit der großen weiten Welt und ihren klugen Geistern anderorts vernetzen.
Eigentlich. Denn faktisch setzte die analoge Realität in Lauchringen bislang ein gnadenloses Ende, mit dem, was Heise Online spöttisch „Dorf-DSL“ nannte. Nach 15 Jahren falscher DSL-Versprechungen und für mich persönlich viel zu spät ist nun Abhilfe in Sicht – vor zwei Wochen wurde endlich Glasfaser vor das Haus verlegt, doch bis das Wirkung zeigt, wird es noch dauern. Ein paar Monate wahrscheinlich.
So lange heißt es weiter: Abwarten und den Download-Tröpfchen zusehen. Das ist inzwischen wirklich ein Jammer und bei meinen Kollegen bin ich deshalb schon lange ein Objekt von Spott und Mitleid geworden: „Du hast noch nicht mal DSL, wo lebst denn Du, Martin?!“ „So können Sie aber nicht arbeiten, wir setzen voraus, dass Sie sich das Material XY herunterladen.“
„Sie werden bis zu 16.000 kBit haben“, hieß es vor 15 Jahren schon, „spätestens, wenn der Ausbau kommt!“ – Bloß, Jahr um Jahr verging, und der versprochene Ausbau kam nicht. Warum auch, wenn man beim Kunden ohnehin den vollen Preis abkassieren kann und nur tröpfchenweise liefern muss. Das ist, wie wenn man eine Milchflasche „mit bis zu 1 Liter Milch“ im Supermarkt kauft. In Oberlauchringen war für den vollen Preis halt immer nur ein Schnappsglas voll drin. Und wenn die faktischen 446 kBit maximaler Download noch immerhin spürbar tröpfeln, was soll man mit 64, später 90 kBit Uploadgeschwindigkeit anfangen? Immerhin: Ich war einst der Webmaster des Klettgau-Gymnasiums, Leiter der Presse-AG! Die Plattformen sollten tagesaktuell gehalten werden, Updates zeitnah eingespielt! Mit Mühe und viel Geduld schaffte ich das grade noch. Aber all die ambitionierten Videoprojekte waren schon dadurch zum Scheitern verurteilt, dass es keine vernünftige Möglichkeit gab, sie auf die schulischen oder meine Server hochzuladen. Der Textproduktion hier und anderswo mag es gut getan haben, denn mediale Abstinenz zwingt zur inneren Einkehr (höhö!), aber meine mondäne Videoausrüstung rostete ungenutzt vor sich hin, und all die gedrehten Videos verrotteten ungenutzt auf Mini-DV-Bändern und Festplatten. Außer einigen mühevoll in TAGEN (!) hochgeladenen Beispielvideos schaffte es nichts ins Netz.
Die digitale Wüste Oberlauchringen – Faktisch war sie der Auslöser dafür, dass ich meinen Posten als Netzwerkadmin hinwarf und auf eine weitere schulische Karriere in Richtung Studiendirektor verzichtete. Andere haben davon profitiert, und keiner von ihnen lebt in Lauchringen. Denn wenn man kränkelnde Eltern hat, ab und zu auch zuhause sein will, dann kann man es sich nicht leisten, ständig in der Schule zu übernachten, um die nötigen Softwareupdates herunterzuladen oder Presseerzeugnisse hochzuladen. Mein Ausscheiden aus den EDV-Verantwortlichkeiten hat das Problem 2012 allerdings nur in die Zukunft verschoben und privatisiert. Denn inzwischen geht es auch ohne offiziellen Posten nicht mehr mit der mickrigen Verbindung: Kein Zugang zu den modernen medialen Lernpools, digitalen multimedialen Bildungsplänen, ganz zu schweigen von zeitgemäßer privater Korrespondenz. Youtube oder Skype? Geht hier nicht. Wehe, wenn dein Fernseher oder deine Konsole sich versehentlich einen Netzzugang ergattern – du wirst ihn ein paar Tage nicht mehr nutzen können, bis sie sich sämtliche Updates gezogen haben, und solange kannst du dann auch keine Emails empfangen, weil das schwächliche Netz überlastet ist. Das neueste Spieleupdate über Steam? – setzt eine Woche Warten voraus, oder man erkauft sich für 15 EUR einen mobilen Boost, der dann immerhin mit durchschnittlich 5 MBit herunterlädt – allerdings nur 5 GB weit, dann sind die nächsten 15 EUR fällig, sofern man sich nicht auf mehrere Jahre an einen Mobilfunkanbieter binden will. 5GB klingt nach viel, aber da die meiste Software nur noch per Download zu erhalten ist und jedes einzelne Softwareupdate, derer es im Monat zwei Dutzend gibt, zwischen 500 – 4000 Megabyte nach sich zieht, frisst sich ein gewaltiges Loch in den Geldbeutel, das in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht. Generell reichen die 5GB gerade mal sechs Tage, auch ohne Streaming.
Nun also die Aussicht, 2017 endlich vernünftiges Internet zu bekommen. Weiland für mich viel zu spät. All die vergeudete Lebenszeit, das vergeudete Geld und all die vertanen beruflichen und gesellschaftlichen Chancen lassen einen bitteren Nachgeschmack zurück, der immer häufiger im Gedanken gipfelt: „Wärst Du nur damals auch fortgezogen aus Lauchringen, damals, als Du noch jung warst, Martin!“