Wenige aber sind auserwählt…

Grannenmeer

Menschen sind in mancherlei Hinsicht wie Saatgut: In ihnen ist mehr enthalten, als man von außen sieht, was sie aber zur Entfaltung bringen könnten, das ist oft schon in ihren Ansätzen vorhanden.

Ob aus einem Samen ein Grashalm oder ein riesiger Senfbaum werden kann, das sieht einem Samenkorn das ungeübte Auge nicht an. Und doch ist vieles, was die spätere Pflanze ausmachen könnte, bereits in ihren Ursprüngen veranlagt – aus einem Grassamen wird niemals ein Baum wachsen und ein Baumsetzling wird immer zu Größerem streben als nur Grashöhe. Ob das aber gelingen kann, das hängt nicht von der Veranlagung allein, sondern vor allem auch vom Umfeld ab.

Mit Menschen verhält es sich ganz ähnlich. Ich habe als Lehrer schon oft erlebt, dass sich bereits im Kindesalter zeigt, was aus einem jungen Menschen vielleicht werden wird. Das ist weniger eine Frage der Genetik, sondern des Charakters. Und der Charakter eines Menschen ändert sich im Verlauf eines Lebens eigentlich nicht, man kann ihn oft schon im Kleinkindalter erkennen. Durch das Leben reift der Charakter aber, gewinnt Konturen. Oft sind das aber auch Schrammen. Wir interagieren mit der Umwelt und was wir werden, das bestimmen nicht nur wir selbst, sondern auch das, was um uns ist. Finden wir Unterstützung, Rückhalt, Ruhe, wenn wir sie brauchen – aber auch Widerspruch und Korrektur, wo es uns gut täte?

Die biblische Schöpfungsbotschaft sagt aus, dass jeder Mensch gut ist, jeder zu „Fruchtbarkeit“ berufen. Es gibt also eigentlich kein menschliches Unkraut. Dennoch gelingt nicht jedes Leben. Je länger ich lebe, desto mehr erfahre ich, dass es eben nicht nur die Veranlagung ist, sondern vor allem auch das Umfeld, das bestimmt, ob sich ein Mensch gemäß seiner Anlagen entfalten kann, ob ein Mensch ein fruchtbares Leben führen kann, oder ob er verödet und an seinem Umfeld verzweifelt. Und unter diesem Gesichtspunkt gewinnt Jesu Aussage: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“ eine neue Bedeutung: Nicht jedem Leben ist es vergönnt, Frucht zu bringen. Manches ist auch zum Scheitern verurteilt. Oder um ein anderes Gleichnis zu zitieren:

Siehe, es ging ein Säemann aus, zu säen. 4 Und indem er säte, fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel und fraßen’s auf. 5 Etliches fiel in das Steinige, wo es nicht viel Erde hatte; und ging bald auf, darum daß es nicht tiefe Erde hatte. 6 Als aber die Sonne aufging, verwelkte es, und dieweil es nicht Wurzel hatte, ward es dürre. 7 Etliches fiel unter die Dornen; und die Dornen wuchsen auf und erstickten’s. 8 Etliches fiel auf gutes Land und trug Frucht, etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfältig.“ (Mt 13,4-8, Lutherbibel 1912).

Nun können die Samen ja nichts dafür, wohin sie gesät werden, genauso wenig wie wir etwas dafür können, in welche Zeit und welches Umfeld wir geboren werden. Wenn wir Pech haben, sind wir nur ein Mandelbäumchen in Grönland, mit Glück wachsen, blühen und reifen wir auf einem wohl behüteten Feld. Aber nicht das Glück ist es, was einem Leben Sinn gibt, sondern die Bestimmung, und so setzen wir vielleicht unsere Prioritäten falsch, wenn wir erwarten, dass jedes Leben glücklich und behütet sein muss. Letztlich ist doch genau das die Botschaft Jesu, dass wir Licht in der Welt und Salz für die Erde sein sollen – etwas, was um uns sonst nicht ist und ohne uns fehlen würde, eben weil das Umfeld dunkel oder lau ist. Und dann ist eine einsame blühende Rose in einem verwüsteten Feld zwar nicht fruchtbringend in biologischem Sinne, sondern doch etwas schlicht Wunderbares, weil sie den Sinn in sich selbst enthält, weil sie aus sich selbst leuchtet, Ausstrahlung hat, selbst wenn die arme Pflanze einsam ist und das öde Umfeld ihrer spottet.

Wessen Ziel aber ein perfekter Strebergarten ist, synthetisch perfektes Gesträuch, ein rein innerweltliches Vergnügen, reine Symmetrie und Menschenlogik, der wird das wohl nie nachvollziehen können. Für den ist nur ebender Garten sinnvoll, der zu hundert Prozent einem menschenerdachten Plansoll entspricht und nur diejenige Gesellschaft gut, die ihre Mitglieder im Sekundentakt synchron trimmt, optimiert, lauter glückliche, vollkommene Wesen, alles perfekte Blüten, ästhetisch und wirtschaftlich optimal, aber sinnentstellt und in dieser Welt so auch nicht wirklich umsetzbar. Denn diese Welt ist auf Vielfältigkeit hin geschaffen, und das schließt das Scheitern des Einzelnen mit ein.

Darum sind Trauer, Verlust und Scheitern grundsätzliche Bestandteile jedes erfüllten Lebens, darum sind wir keine perfekten Klone, sondern einzigartig, auch mit all dem, was in unserem Leben nicht gelingt. Und Gott, so die Botschaft des Christentums, zeigt sich eben gerade auch in der Schwäche, in diesem Scheitern präsent.

Über Martin Dühning 1507 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.