Wilberforce Quincey ist seit einer Woche neuer Präsident der Polis von Ventadorn. Anastratin.de hat den neuen Stadtchef interviewt.
Anastratin: Herr Quincey, nach einigen Querelen um die Wahl hat es bei Ihnen nun doch noch mit dem Amt des Oberbürgermeisters geklappt. Sind Sie froh darüber, über einen kaiserlichen Entscheid doch noch ins Amt gekommen zu sein?
Quincey: Zuerst einmal fühle ich mich geehrt, dass sich der Kaiser für mich entschieden hat. Ansonsten war der ganze Vorgang sehr ungewöhnlich. Es ist ja höchst unwahrscheinlich, dass bei der Stimmauszählung die beiden Spitzenkandidaten auf exakt die gleiche Stimmzahl kommen – und dieser Fall ist in der Verfassung von Ventadorn natürlich so auch nicht vorgesehen. Dass sich der Kaiser dann als letzte Instanz eingeschaltet hat, und mir vor meiner Mitbewerberin Ragna Velidan den Vorzug gab, ist natürlich eine große Ehre, aber natürlich wäre mir ein klares Wahlergebnis lieber gewesen. Immerhin, das ist zu bedenken, habe ich so aber auch 20% der Wähler hinter mir und der Stadtrat hat mir auch gleich mit überwältigender Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen. Natürlich muss ich dem nun auch gerecht werden, damit die nächste Wahl etwas klarer ausfällt.
Anastratin: In der Politik sind Sie bislang eher unbekannt. Können Sie unseren Lesern etwas über sich selbst sagen?
Quincey: Mein Name ist Prof. Dr. Wilberforce Quincey, ich bin ein Westländer aus Neu-Westland, habe Ökonomie, Ethik und Jura an der Universität von Sanarth studiert und war dort vor meiner Amtsübernahme als Dekan für Wirtschaftsethik tätig, außerdem Beirat der staatlichen Sozialversicherungen von Ninda. Ich bin parteilos, stehe aber der Tyndalis-Partei nahe. Verheiratet bin ich nicht, engagiere mich privat viel im Tierschutz.
Anastratin: Seit Ihrer Wahl gab es einige große Unfälle bei den städtischen Betrieben, insbesondere der Ausfall der Wasserwerke von Azurea und Fearne wird die Stadt viel Geld kosten. Steht Ihr Mandat unter einem guten Stern?
Quincey: Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass das Wasserwerk von Azurea unter die Zuständigkeit der Vizekönigin von Südninda fällt. Nur für die Wiederaufbereitungsanlage von Fearne zeichnet sich die Stadt Ventadorn verantwortlich. Dank der Umweltpolitik meiner Vorgänger können wir auf diese Wiederaufbereitungsanlage aber verzichten, es fällt einfach nicht genug Abwasser an, um einen Neubau zu rechtfertigen. Daher ist der Verlust natürlich schade, kostet uns aber glücklicherweise nichts. Dass die völlig veraltete Anlage das Zeitliche segnete, war zu erwarten, das einzig Verwunderliche daran ist, dass es nicht schon viel früher passiert ist. Daher müssen wir die restliche Infrastruktur im Auge behalten, viele der anderen Fabrikationsanlagen in Fearne stammen noch aus dem dritten Jahrhundert, sind also um ein paar Jahrhunderte veraltet. Wir werden genug zu tun haben, um das stückweise zu ersetzen. Das muss aber nicht gerade jetzt geschehen, wo wir uns wirtschaftlich in einer Krise befinden.
Anastratin: Gerade endet die Erste Große Fairtrade-Tee-Messe von Ventadorn. Wie gut kam die neue Ausstellung an?
Quincey: Die Resonanz bei den Besuchern der Tee-Messe blieb leider weit hinter den Erwartungen zurück. Wir konnten trotz internationaler Aufstellung keine neuen Handelspartner gewinnen und auch das Feedback bei der örtlichen Bevölkerung fiel eher verhalten aus. Das verwundert bei dem immensen Teekonsum der Nitramier doch sehr. Die Idee war sehr nett, die Präsentation eigentlich sehr stilvoll. Vielleicht war es die falsche Jahreszeit, oder das Sortiment war zu exotisch. Ich werde mit dem Handelsmagistrat da noch Rücksprache halten.
Anastratin: Sehen Sie für die Tee-Messe unter diesen Bedingungen eine Zukunft?
Quincey: Ich persönlich bin ein großer Freund von Messen und Märkten. Wir haben lokal wie international viele gute Produkte am Laufen, Grund genug, sie auch in aller Öffentlichkeit zu präsentieren. Unser neues Messegelände, der Ursulinenmarkt, ist ausgebucht: Demnächst stellen wir dort lokale Produkte aus Süd-Ninda vor, danach ist wieder eine Fairtrade-Ausstellung geplant. Im Herbst soll eine Kunsthandwerk- und Gewerbeausstellung stattfinden. Ich denke, wir müssen da auch langfristig planen und wir dürfen uns nicht von kurzfristigen Enttäuschungen entmutigen lassen.
Anastratin: Ihre Vorgängerin, Una Niva, hat mit dem Neubau der Kommunikations- und Verwaltungsnetze ein Jahrhundertprojekt umgesetzt und die Träume vieler Bürger wahr werden lassen. Auch sonst hat sie sehr viel für Ventadorn getan. Was planen Sie für Ihre Amtszeit?
Quincey: Unser städtisches Budget ist zur Zeit sehr eingeschränkt, aber wie gesagt, wir werden viel zu tun haben, um die veraltete Infrastruktur in Fearne, teilweise auch in der Stadt Ventadorn selbst auf einen akzeptabel modernen Stand zu bringen. Glücklicherweise stehen wir da nicht vor ganz so großen Herausforderungen wie unser Nachbarstaat Südninda, auf den weitaus größere Ausgaben zukommen werden, aber die industriellen Fertigungsanlagen werden wir wohl erneuern müssen. Außerdem würde ich gerne den Bau der Raumstation Port Sophie, der seit vielen Jahrzehnten auf Eis liegt, wieder fortsetzen wollen. Wir können uns momentan leider nicht auf unsere hajoidischen und dunischen Bündnispartner verlassen und ein wenig mehr Schutz im Orbit von Ninda würde nicht nur mich, sondern auch viele Bürger und Unternehmen, sehr beruhigen. Das ist allerdings Föderationssache, wir werden das über unsere Vertreter im föderalen Rat aber ansprechen. Und natürlich habe ich von meiner Vorgängerin Una Niva auch das Begrünungsprojekt und die Stadtviertelerneuerungsprojekte in Ventadorn selbst geerbt. Es wäre mir ein großes Anliegen, das Stadtbild von Ventadorn endlich auf den Status des sechsten Jahrhunderts anzupassen. Wir sind zwar keine Hauptstadt mehr, aber als planetare Metropole sollten wir schon etwas mehr hermachen, als derzeit geplant. Problem wird aber auch hier sein, dass wir mangels Devisen in den nächsten Jahren wohl eher begrenzte Möglichkeiten haben.
Anastratin: Wie wird die Stadt mit der exorbitanten Sondersteuer umgehen, die derzeit durch die Konföderation in Ventadorn und Südninda eingezogen wird, um die Militärausgaben zu begleichen?
Quincey: Bei allem Respekt für die militärischen und ökonomischen Notwendigkeiten hoffe ich doch sehr, dass der föderale Finanzminister ein Einsehen haben wird, dass die derzeitige Steuerquote unsere lokalen Unternehmen in den Ruin treibt. Ich persönlich war nie ein Fan des Bilongi-Plans, was aber noch wichtiger ist: Länger als zwei Jahre halten wir dieses System nicht mehr durch, dann haben wir unsere Wirtschaft und Infrastruktur kaputtgespart. Ich empfehle der Konföderation sehr dringend, alternative Geldquellen zu erschließen oder einige der sehr defizitären Bündnisverpflichtungen zu kündigen. Beispielsweise sehe ich es als Präsident von Ventadorn nicht ein, warum unsere Steuerzahler auch die Defizite einiger fremdländischer Projekte im Foriensis-Sektor begleichen müssen. Der Foriensis-Sektor ist selbst sehr reich, es gibt dort viele reiche Nationen, das kann man auch anders finanzieren.
Anastratin: Herr Quincey, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Nils Kawomba.