Anker der Hoffnung

Textdeutung zur Lesung im Schuljahresanfangsgottesdienst 2018

Am 21. September 2018 fand für das Hochrhein-Gymnasium der ökumenische Anfangsgottesdienst statt. Thema war „Segel setzen!“, als Lesung dienten Jesu Gleichnisreden am See und die Sturmstillung.

Passend zum Thema „Segel setzen!“ wurden im Schulgottesdienst von Schülern einige besondere Gebrauchsgegenstände gezeigt: Rettungweste, Fernglas, Kompass und Segel, aber auch ein Anker. Den Anker benutzt man beim Segeln, er ist aber auch ein altes christliches Symbol: Glaube – Liebe – Hoffnung – der Anker steht für die Hoffnung. Das ist etwas seltsam, weil er ja so etwas wie eine Bremse ist bei einem Schiff. Warum steht er dann für Hoffnung? Gerade darum geht es in der Perikope von der Stillung des Sturm auf dem See, im Markusevangelium zu finden in Mk 4,26-29.

Wenn man sich auf eine Reise macht, dann wünscht man sich, egal ob es eine Segeltour, eine Dienstreise oder der Schulweg ist, vor allem eines – nämlich schönes Wetter. So gesehen fährt die Lesung, die wir gerade gehört haben, scheinbar das Kontrastprogramm: Da erleben die Jünger auf ihrer Fahrt nämlich eine totale Katastrophe! Dabei geht es im Abschnitt aus dem Markusevangelium nicht mal um eine große Reise. Eigentlich war der Tag für die Jünger schon fast rum, er war wahrscheinlich anstrengend, aber inspirierend gewesen, den ganzen Tag verbrachten sie mit Jesus, ihrem Meister, am See, viele Leute waren da und Jesus hat in vielen Gleichnissen gepredigt vom Reich Gottes, also dass Gott für uns nahe ist. Jesus sprach in Gleichnissen, wie dem vom Bauern, der Saatgut aussät. Die große Menge hat diese Gleichnisse damals nicht verstanden. Aber seinen Jüngern erklärte Jesus genau, wie sie gemeint waren, wenn sie allein waren: Jesu Gleichnisse darf man nämlich nicht ganz wörtlich nehmen, wenn man sie verstehen will, sie haben eine tiefere Bedeutung, sie sprechen von Gott und davon, was der Glaube an ihn bewirkt. Die Jünger hörten ihrem Rabbi den ganzen Tag aufmerksam zu. Abends waren sie alle, auch Jesus, müde und wollten wahrscheinlich nur noch nachhause, und deshalb kommt von Jesus selbst der Vorschlag: „Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren“. Das war ein bequemerer Heimweg als Laufen, und da Jesus sowieso von einem Boot aus gepredigt hatte, lag es für alle recht nahe.

Aber ab jetzt geht alles schief: Das Wetter schlägt plötzlich um, aus der Abkürzung über den See wird eine Todesfalle: Sogar ein Wirbelsturm kommt, die Wellen schlagen hoch, das Boot läuft voll Wasser und alle drohen zu ertrinken. Und selbst, dass sie dann doch noch gerettet werden von Jesus, hat irgendwie einen bitteren Beigeschmack, denn sie werden von ihrem Meister danach auch noch übelst kritisiert: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ – das klingt wie eine Schelte.

Was haben die Jünger denn falsch gemacht? Was macht Jesus wütend? Sicher, die Jünger verhalten sich in der Bibel nicht immer ganz helle, sie waren einfache Leute, keine Professoren. Sie wissen nichts von Wetterkunde, von physikalischen Gesetzen, wahrscheinlich können viele von ihnen noch nicht einmal lesen und schreiben. Jeder von uns hier hat wahrscheinlich mehr Wissen von der Welt und wie sie funktioniert als die Jünger damals. Wir haben Wetterberichte, Experten und Fachbücher, wir haben GPS und Navi per Handy, können so ziemlich alles jederzeit im Internet nachschlagen und vor allem wissen wir heute, wie die Geschichte mit Jesus damals schließlich ausging, nämlich dass Gott Jesus später sogar von den Toten auferweckt und dass Jesus Gottes Sohn ist, der die ganze Welt erlöst hat. Das wussten die Jünger in der Geschichte damals alles noch nicht.

Aber wenn einfache Fischer wie ein Andreas oder Simon Petrus etwas genau wussten, dann doch, wie man ein Boot über den heimatlichen See Genezareth fährt und wann es auf diesem Wasser wirklich gefährlich wird. Und ein WIRBELSTURM ist da ziemlich gefährlich! Schon kleine Windhosen können ja beispielsweise große Bäume wie den auf dem Schulhof entwurzeln, ein großer Wirbelsturm wie der aus der Geschichte verwandelt ein Gewässer wie den See Genezareth zum tödlichen Monstrum.

Aber Jesus will die Gefahr ja gar nicht kleinreden. Er kritisiert etwas anderes. Denn die Jünger machen einen Fehler, den auch wir heute oft machen: Wir haben gelernt, wie die Jünger damals, dass man Gleichnisse und andere Bibelworte nicht einfach wörtlich nehmen darf, dass sie metaphorisch zu verstehen sind. Aber dann kommt gleich der nächste Fehler: Man denkt, das ist ja alles sowieso nur „symbolisch“. Und das führt oft dazu, dass man Gottes Wort dann gar nicht mehr auf sein eigenes Leben anwendet. Das Reich Gottes kommt dann nur noch als Metapher in der Bibel vor und in Religionsbüchern, aber nicht mehr in unserem eigenen Alltag.

Das ist kein Glauben, sondern Literaturwissenschaft: Man hat es dann zwar im Prinzip verstanden mit der frohen Botschaft, aber mit einem selbst hat das trotzdem nichts zu tun. GOTT ist dann nicht im eigenen Leben VERANKERT: Glauben heißt nicht bloß, über religiöse Inhalte Bescheid zu wissen, GLAUBEN bedeutet, auch im eigenen Leben auf Gott zu VERTRAUEN – was wesentlich mehr verlangt. Richtig vertrauen kann ich nur jemandem, wenn ich eine Beziehung zu ihm aufbaue, und die braucht Zeit zum Wachsen. Anders funktioniert es nicht. Die Jünger zeigen das sehr deutlich. Den ganzen Tag hatte ihnen Jesus zwar in vielen Gleichnissen beigebracht wie dem vom Sämann oder dem vom Senfkorn, wie unsere Gottesbeziehung keimt, sich verwurzelt und heranreift, aber als sie dann in den Sturm kommen, ist das alles vergessen. Nackte Panik herrscht und pure Todesangst. Von Hoffnung und froher Botschaft keine Spur! Gott scheint fern und Jesus schläft.

Nun ist Gott tatsächlich kein Wunscherfüllungsautomat. Er tut nicht einfach das, was ich ihm befehle, wenn ich zu ihm bete. Er ist nicht dazu da, mir schönes Wetter für meine Reisen oder Klassenausflüge zu zaubern, oder nette Lehrer und Mitschüler, oder gute Noten. Beten ist nicht dafür da, damit ich es im Leben immer nur leicht habe. Das haben viele Leute begriffen, aber leider mit der Folge, dass sie jetzt gar nichts mehr mit Gott zu tun haben wollen. Für sie ist auch Gott nur noch symbolisch. Und wenn es hart auf hart kommt, ist ein solcher Symbolgott dann auch keine Hilfe. Dabei, ob in Symbolen oder nicht, spricht die Bibel die ganze Zeit von nichts anderem, als dass der wirkliche Gott für uns da ist – in guten, aber gerade auch in schlechten Zeiten. Und wenn es uns mal richtig mies geht, DÜRFEN wir uns nicht nur an Gott wenden, wir SOLLEN es auch! Denn Gott hat nicht nur damals, sondern auch für uns heute die Zusage gegeben, dass er uns segnet – und Gott ist treu – er hält sein Wort, auch wenn die Dinge nicht immer so einfach ablaufen, wie wir uns das gerne wünschen. Manchmal möchte Gott von uns erst ausdrücklich gebeten werden. Schließlich ist es ja unser Leben, Gott hat es uns geschenkt, dass wir es frei leben dürfen. Frei – nicht in Bevormundung und Zwang! Aber wenn es mal schlecht läuft und wir mal einen Anker brauchen im Leben, der uns Halt gibt – gerade dann ist Gott für uns da! Darauf dürfen wir fest vertrauen – und genau hier kritisiert Jesus die Jünger – denn sie hatten in der Not keine Hoffnung und kein Vertrauen.

Die Geschichte vom Sturm auf dem See zeigt zwei Dinge: Erstens, dass man im Leben nicht immer nur gutes Wetter hat, selbst wenn man als treuer Jünger mit Jesus Christus persönlich auf Reisen geht, aber eben zweitens auch, dass Gott dann hilft, dass er für uns da ist, wenn wir ihn wirklich brauchen. Manchmal, in unserer Not, scheint es uns, als wenn er schläft, als wenn wir ihn erst wachrütteln müssen. Manchmal müssen wir klagend zu ihm rufen, wie später auch Jesus selbst, als er am Kreuz hängt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“ – das ist der Beginn von Psalm 22, ein klassisches Klagegebet. Wir dürfen mit Jesus darauf vertrauen, dass Gott uns hört. Und wenn wir ihn um Hilfe bitten, dann hilft er uns sicher nicht nur symbolisch, dann hat das Gebet durch Gott Kraft; eine Kraft, die uns vielleicht nicht alle kleinen Wünsche erfüllt, aber eine Kraft, auf die wir unsere ganze Hoffnung setzen dürfen, weil sie uns auf unserer großen Lebensreise wirklich weiterhilft.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.