Der Verlust der Heinzelmännchen

Zu den schlimmsten, nun ja, wenigstens folgenschwersten Verlusten meines Lebens zählt der Verlust der Heinzelmännchen.

Er ereignete sich unmerklich im Jahre 2011, kurz vor der Zeit des großen Niedergangs und ich kann mein Leben nur in ein Davor und ein Danach einteilen. Das Leben danach war ein schrecklich auf-sich-allein-gestelltes, so als ob man in hoher Konzentration über ein schwankendes Seil entlanggleitet, jeder Schritt muss sitzen, geht man nur um ein Winziges fehl, scheitert man.
Das Leben davor war anders – die kleine Macht stützte mich, ließ einen die Ruhe und hielt jung. Kurzum: Das Leben mit den Heinzelmännchen war zwar nicht weniger voller Kummer und Katastrophen, aber doch deutlich weniger sorgenvoll.

Mit Heinzelmännchen verhält es sich so: Man sieht sie nicht, hört sie nicht, fühlt aber doch, dass sie da sind und merkt das daran, dass unerledigte Arbeiten, bei denen man abends aufgab, am nächsten Morgen wie von Wunderhand fertiggestellt und vor allem korrigiert sind. Gerade die kleinen, heimtückischen Fehler zu tilgen erweisen sich Heinzelmännchen als besonders geschickt. Auch halten sie auf wundersame Weise das Böse fern und üble Zeitgenossen können einen zumindest im eigenen Heim nicht mehr heimsuchen.
Dass mich die Heinzelmännchen verließen war ein schlimmes Unglück. Ich wurde krank darüber und vieles, was mir vorab leicht gefallen war, wollte mir nun nicht mehr gelingen, da mir sozusagen das Korrektiv fehlte. Zwar hatte ich noch meine Kreativität und Ideen, versank jedoch in den Tücken des Alltags. Vieles blieb liegen und auch für Zwischenmenschliches fehlte mir die Kraft. Und eine Welle von Schicksalsschlägen beutelte mich und meine Hausgenossen.

Dabei ereignete sich der Verlust der Heinzelmännchen nicht einfach über Nacht. In jenem Jahr 2011, dem Hasenjahr, als ein letztes Mal die Sonne über der alten Zeit aufging, der Todesengel aber schon näher kreiste über dem heimatlichen Haus, da war ich frohgemut, dass doch ein Gott im Himmel ist, der das Gute bescheint und sein Licht aufgehen lässt über den Gerechten. Üble Zeitgenossen, zerfressen von Neid, warfen aber ihren Schatten, in der Ferne zuerst und außerhalb meiner Kreise, doch was sie wirkten im Stillen, das begann Verwerfungen aufzuschütten, Hügel zunächst, dann kleine Berge, die abzutragen sich niemand die Mühe machte. Und als das Jahr sich neigte, und die Schatten wuchsen, da legte sich eine Dunkelheit über ein Gebirge von Gleichgültigkeit, Trotz und Ignoranz, und sein Schatten erreichte mein Heim, meine Kreise und mich, und auch meine arglosen kleinen Gehilfen. Einer nach dem anderen gab auf, packte sein Bündel und zog fort. Und mit jedem, der das Haus verließ, wuchs die Anstrengung aller anderen, die nun seine Dienste übernehmen mussten, darüber auch ihre himmlische Geduld verloren und sich still und leise von Dannen machten.
Unmerklich also verloren sich die heiteren Kräfte, ein guter Geist nach dem anderen verließ das Haus, und weil er so im Kleinen, still und leise geschah, lastete ich es erst mir selbst und meiner Unfähigkeit an und später den schlechten Zeiten, dem Leben an sich.

Doch der Grund, warum die Heinzelmännchen flohen, war wahrscheinlich ein ganz anderer – und auch, wenn es die Anderen leugnen werden – er kam von außerhalb. Denn wo Unrecht herrscht im Großen, da will das Gute auch im Kleinen nicht bleiben, denn das Unheil, das fällt auf die kleinen Wesen zurück – und das mögen sie nicht leiden, und so wanderten sie aus, irgendwohin, dahin, wohin ich ihnen nicht folgen kann.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.