Bei Gott gibt es keine vollendeten Tatsachen!

„Wir glauben an Gott, den Vater, den allmächtigen“ – so heißt es im christlichen Glaubensbekenntnis. So verlockend es klingt, dieses Bild verführt doch zum Glauben an einen allmächtigen Determinismus.

"Rückkehr des verlorenen Sohnes" - Heinrich HofmannGeorg Hahn [Public domain], Quelle: Wikimedia Commons
„Rückkehr des verlorenen Sohnes“ – Heinrich Hofmann Georg Hahn [Public domain], Quelle: Wikimedia Commons
Schuld sind vielleicht die vielen Siebe und Filter, durch die sich die heutige Gottesvorstellung destilliert hat. Und so schön und sinnig das Konzept daraus auch wirken mag, als Plattitüde ist es nicht das, was die Bibel über den erfahrbaren Gott aussagt. Zumindest wenn man den mittleren Bestandteil im römischen Sinne als „Pater“, als Familienoberhaupt auffasst, als Bestimmer und Planer, einen Architekten – wie es in Genesis 1,1-2,4a höchstens angedeutet wird, vielmehr erst im Prolog zum Johannesevangelium konzipiert wird: als Logos, als alles ordnende Kraft des Universums.

Verlockend ist eine solche Ansicht besonders dann, wenn man selbst gerne vollendete Tatsachen schafft und diese dann auch noch religiös überhöht rechtfertigen will. Nun gut, viele Zeitgenossen haben heute noch nicht einmal das mehr nötig, und schaffen nach persönlichem Gusto munter vollendete Tatsachen gegenüber ihren Mitmenschen. Meist geht es darum, im eigenen Leben für sich besser voranzukommen. Das ist der Plan, zur Not auf Kosten anderer. Für religiös Interessierte sei aber ausgeführt, warum sich ein solches Verhalten gerade eben nicht auf Gott oder göttliche Gesetze berufen kann.

Gott als der große Architekt und Weltvollender: Das passt nämlich nicht mehr zur Gotteserfahrung, wie sie sich in den meisten biblischen Geschichten niederschlägt, wo Menschen Gott als etwas Befreiendes, Zukunft schaffendes erfahren. Es passt aber auch sicher nicht mehr zur Verheißung Jesu, wo Gott liebevoll Papi ist, mitunter eine Kraft, die Fürsorge spendet, aber doch nicht entmündigt oder gar alles im Vorhinein festlegt. Im Gegenteil: Oft scheint es geradezu, als wenn der biblisch erfahrbare Gott zur Selbstinitiative der Menschen einlädt und eher reagiert, als irgendetwas vorzuplanen.

Gottes Prinzip: Hoffnung!

Es sind die Menschen, und nicht Gott, die gerne alles vorgeplant und kanalisiert hätten – und es sind auch die Menschen, die sich so einen Gott wünschen, wenn es in ihrem Leben nicht so läuft, wie sie wollen. Gott aber entzieht sich solchen Festlegungsversuchen. Sehr bestimmt behandelt dieses Thema die Parabel vom barmherzigen Vater (Lk 15,1-32), gerne auch etwas irreführend als „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ tituliert: Der Vater in diesem Gleichnis versucht immer wieder den Wünschen seiner Söhne nachzukommen, wird damit auch unberechenbar und parteiisch, wie ihm der ältere Sohn am Schluss der Perikope vorhält. Die Antwort des Vaters ist bezeichnend:

„Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. Man musste aber feiern und sich freuen, denn dieser, dein Bruder war tot und lebt wieder, war verloren und wurde gefunden.“ (Lk 15,31-32)

Es ist hier weder von Strafe die Rede, nicht einmal direkt von so etwas wie Reue, sondern von Freude über den besonderen Umstand, dass etwas Verlorenes wiedergefunden wurde, gerade weil es nicht anzunehmen gewesen wäre, was einer Determination durch einen gedachten allwissenden Vatergott diametral widerspricht. Der Vater weiß von der Rückkehr des Sohnes nur dadurch, dass er darauf gehofft und deshalb Ausschau nach ihm gehalten hat. Hoffnung ist kein Element von Determination. Hoffnung ist ein positives und offenes Verhalten gegenüber der Welt und dem Schicksal. Bei Gott gibt es keine vollendeten Tatsachen, wie sie von Menschen gerne geschaffen werden. Stattdessen ist das Schlüsselwort „Umkehr“ und „Wiederfinden“ – beides sind offene Vorgänge. Es hätte auch schiefgehen können. Und das wäre dann die Hölle.

Barmherzigkeit ist nicht reglementierbar

Das Motiv eines ergebnisoffenen und damit auch vergebenden Gottes gibt es aber auch schon im Alten Testament, beispielsweise im Buch Jona, wo sich der Prophet Jona am Schluss gegen Gottes Vergebung sträubt (die seine mühsam ausgeführte Untergangsprophezeiung gegenüber der Stadt Ninive aufhebt und Jona damit als Propheten blamiert). Grund ist auch hier, dass Gott seine Drohung nicht ausführen möchte, weil die Bewohner Ninives umgekehrt und auf den Weg Gottes zurückgekehrt sind. Auch hier werden keine vollendeten Tatsachen geschaffen – das Eingreifen Gottes hebt also nicht nur ein vorgegebenes Schicksal, sondern auch jede Vergeltungsstrafe auf. Jona ist darüber entrüstet und versucht sogar, sich das Leben zu nehmen – er geht in die Wüste. Dort wird er von Gott durch eine Rizinusstaude gerettet, diese dann wieder entfernt und der wütende Prophet dann vor die Frage gestellt:

Darauf sagte der Herr: „Dir ist es leid um den Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – und außerdem so viel Vieh?“ (Jona 4,10-12)
Ja, es gibt auch viele Abschnitte im Alten Testament, die für begangene Untaten Strafe androhen, die berühmteste und härteste ist vielleicht die im Dekalog:
„Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.“ (Ex 20,5b-6)
Dabei wird, ganz im Sinne des Kreislaufs der ethischen Kausalität, auf die Folgen von Untaten hingewiesen. Es fällt aber auch das Wort „Barmherzigkeit“ – und im Gegensatz zu den Vergeltungsstrafen ist diese nicht an Generationen gekoppelt, sondern es ist von „vielen tausenden“ die Rede, denen sie zeitlos zuteil wird. Dies lässt erwarten, dass Barmherzigkeit nicht bloß als „gutes Karma“ zu verstehen ist, sondern als bewusster Akt göttlicher Vergebung, der sich einer strikteren Reglementierung entzieht.
 
Kurzum: Gott lässt sich nicht für vollendete Tatsachen instrumentalisieren. Und wer es versucht, missbraucht den Namen Gottes. Weiter noch ist Gott jemand, der offenbar an das Gute im Menschen glaubt und der auf ihn hofft – was mithin einen freien Willen voraussetzt und eine nichtdeterminierte Zukunft. Und dass Gott alle menschlichen Erwartungen durchstreicht und selbst in die Geschichte eingreift, zeigt für Christen nicht zuletzt die Kreuzigung und die Auferstehung – wobei in diesem Sinne, beides zusammengehört: Die Kreuzigung ist die von Menschen geschaffene endgültige vollendete Tatsache gegenüber Gottes Wirken, die von Gott gewirkte Auferstehung aber stellt lebendige Freiheit wieder her, und zwar für alle.
 
Und gerade darum ist es mithin das Christlichste, was es gibt, zu glauben, zu lieben und zu HOFFEN. Denn Gott tut es für uns auch.
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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.