Der Snowdonia Nationalpark ist die Perle von Nordwales. Drei Dampflokomotivlinien durchqueren ihn, ich entschied mich für die Ffestiniog & Welsh Highland Railways.
Genau genommen nahm ich nur die Teilstrecke, die von Blaenau Ffestiniog nach Porthmadog führt, nicht die größere Rundstrecke, die zusätzlich über das eigentliche Snowdoniamassiv bis nach Caernarfon verläuft. Grund dafür war das schlechte Wetter (vom Mount Snowdown hätte man so eh nicht viel gesehen) wie auch die Tatsache, dass mir die spätabendliche Rückfahrt von Caernarfon, das nicht ans britische moderne Eisenbahnnetz mehr angeschlossen ist, zu heikel war.
Es ist sehr traurig, dass ich in meinem Leben fast alle meine Reisen alleine machen musste, da ich, ganz im Gegensatz zu einigen Kollegen, überhaupt nicht gerne alleine Reise. Denn mir fehlt dann spätestens abends eine vertraute Person, der ich meine Eindrücke und Gefühle mitteilen kann, was mir nicht gut tut. Hinzu kommen ständige Sinnfragen, bohrende Langeweile und meine allzu ausgeprägte Vorsicht, die mich, wenn ich alleine bin, die meisten Abenteuer nicht machen lässt. Da ist dann nichts mit Felsenklettern, Kanufahrten oder Höhlenerkundung. Gerade bei der heutigen Tour war das etwas schade, denn so sah ich zwar viele Bergmassive, traumhaft verwunschene Wälder, wagte allerdings nicht, sie streckenweise zu Fuß zu erkunden, aus Angst, mich auf dunklen Wegen zu verirren und später den letzten Zug zu verpassen. Letzteres erwies sich als nicht ganz unbegründet, denn Dampflokomotiven sind nicht eben pünktlich und zuverlässig, aber schade ist es trotzdem drum. Auch der große Rundkurs, allein die Dampflokomotivenfahrt auf den zwei Linien hätte den ganzen Tag eingenommen, war mir solo eine Nummer zu groß.
Also wählte ich die Strecke zwischen Blaenau Ffestiniog und Porthmadog – hin und zurück. Dies hatte immerhin den Vorteil, dass man, sollte man auf der Hinfahrt Fotomotive verpassen, sie auf der Rückfahrt vielleicht doch noch erwischen könnte. Außerdem konnte ich so genug Zeitfenster einplanen, falls ich doch noch eine kleine Wanderung wagen würde. Allein, mein Mut und auch das trübe Wetter reichten dafür dann doch nicht aus.
Zunächst startete ich am Dienstagmorgen des 28. August 2018 mit Arriva Trains Wales in Llandudno, die eine reguläre Bahnverbindung bis nach Blaenau Ffestiniog betreiben. Schon diese Hinfahrt führte durch die malerischen Landschaften des Conwy Valley, vorbei an Conwy, Tal-y-Cafn, Betws-y-Coed und anderen hübschen Orten. Ein weiteres Mal zeigte mir Arriva Trains, dass man auch mit Dieselwagen modern, pünktlich und mit gutem Service fahren kann, was man am Hochrhein ja immer als Ausrede für das Nichtfunktionieren des Nahverkehrs benutzt. In Wales funktionierte es dagegen tadellos.
Nicht ganz so pünktlich sind dann schon die Dampflokomotiven. Denn beim Aufheizen oder Wassertanken kann es schon mal zu Verzögerungen kommen. Die kleinen Schmalspurloks sind aber auch für Liebhaber und Nostalgiker gedacht. Es geht nicht darum, schnell damit ans Ziel zu kommen: Hier ist die gemächliche Bahnfahrt das eigentliche Ziel. Die Strecke zwischen Blaenau Ffestiniog und Porthmadog diente früher dem Gütertransport, Schiefer und Granit aus dem Snowdoniagebirge wurde von den Steinbrüchen damit zum Hafen gebracht, und von Porthmadog dann ins ganze British Empire verschifft. Später kauften Bahnliebhaber dann die Strecke auf und ergatterten statt der Güterwägen passende Schmalspurpersonenwägen. Die kleinen Loks sind langsam, aber sehr kräftig und ziehen stets eine ganze lange Kolonne kunterbunter Wägen aus verschiedenen Epochen und Ländern.
Sehr beeindruckt hat mich der Stationsvorsteher, der wie Saruman in adretter Bahnuniform wirkte und sichtlich mit großer Begeisterung seiner Betätigung nachging. Er schloss mir eine Kabine auf und nach mir dann wieder ab – denn die Wägen verfügen über je eine Türe per Doppelbank, die während der Fahrt verschlossen wird, damit auch niemand aus dem Zug fällt. Der Zug fährt zwar nicht schnell, aber an windigen Abgründen vorbei. Die Fenster kann man aber, praktisch zum Fotografieren, öffnen, wobei es zur Belustigung der anderen Gäste eine Weile dauerte, bis ich begriff, wie man sie wieder schließen kann.
So tuckerte die Dampflok dann aus Blaenau Ffestiniog los, über das Gebirge an hübschen Schluchten, Cottages, Schäfchen und Feenwäldern vorbei Richtung Küste. Draußen wehte ein steifer, kalter Wind und dunkle Wolken hingen über Snowdonia, der Zug wurde immer wieder heftig durchgeschüttelt durch die rustikalen Gleise, was meiner Spiegelreflex einiges abverlangte. Mit meinem Handy konnte ich so natürlich kaum fotografieren. Dabei hielt er an vielen kleinen Stationen, die aus einem BBC-Märchenfilm hätten stammen können. Oft säumten kleine Wasserfälle die Fahrt oder abenteuerliche Bergschafe grasten auf den Höhen.
Besonders als Ausflugsziel beliebt ist Tan-y-Bwlch, ein Ort mit einem wahrhaft unaussprechlichen Namen. Es beruhigte mich, dass auch der britische Schaffner bei Arriva, der den Ort als Reiseziel entdeckte, keine Ahnung hatte, wie er wohl ausgesprochen wurde. Dort gibt es mehrere kleine Seen und verschlungene Wanderpfade durch moosberankte Zauberwälder.
Bei Tan-y-Bwlch kam es zu ersten Verzögerungen, weil es mit dem Auftanken offenbar nicht ganz klappen wollte. Das machte aber nichts, denn die Passagiere genossen das Schauspiel, sofern sie nicht schon hier den Zug verließen, um zum Rastplatz, den kleinen Seen oder mit den Kindern zum Spielplatz zu wandern. Nach kurzer Unterbrechung setzte der Zug seine Fahrt fort zum nächsten Ziel, Minffordd.
Schließlich erreichten wir das Meer und die Hafenstadt Porthmadog. Dort endet die Ffestiniog Railway, denn der ursprünglich mit der Bahn transportierte Stein wurde hier einst verschifft. Heute ist der Ort ein Fischer- und Touristenhafen, hauptsächlich auch, weil hier die zweite große Dampfeisenbahn von Snowdonia Richtung Caernarfon anschließt. Ich begnügte mich mit einer kleinen Tour durch den Fischerort und nahm im Bahnhofsrestaurant ein mehr oder weniger mondänes Minimahl zu mir. (Nun ja, die Pasta waren nicht so der Hit, aber das Knoblauchbrot verdiente seinen Namen.)
Dann spazierte ich den langen Bahnsteig am Priel entlang und mir glückte eine relativ gute Filmaufnahme bei der Abfahrt des nächsten Zuges, die ich hier nicht vorenthalten möchte:
Natürlich inspizierte ich auch die anderen Züge und warf auch einen scheuen Blick in die First-Class-Waggons, die für mich allerdings eine Nummer zu nobel waren. Ich fuhr zweiter Klasse. Es gibt dann noch „dritte Klasse“ für ganz hartgesottene, diese Wägen verzichten auf Fenster und auch Polster. Man ist dann ganz nah dran am walisischen Wetter und am Lokomotivenrauch, besonders in den Tunneln.
Später stieg ich wieder in einen Zug ein und ließ mich vom Bahnhofsvorsteher in meinem Bankabteil einschließen, der Zug wies diesmal deutlich weniger Passagiere auf, mit in meinem Abteil waren aber noch ein Vater und sein halbwüchsiger Sohn, von denen ich einige Fotos für sie machte, allerdings auf deren Handy. Auf der Rückfahrt glückten mir dann noch einige Fotos von Ansichten, die ich bei der Hinfahrt gesehen, aber verpasst hatte. Das ist der Vorteil, wenn man eine Strecke hin und zurück fährt.
Der Zug war schon verspätet losgefahren und kam schon mit deutlicher Verzögerung in Tan-y-Bwlch an. Außerdem wurden die Regenwolken immer düsterer, daher gab ich den letzten Versuch auf, eine kleine Wanderung zu unternehmen. Sehr verspätet kamen wir dann in Blaenau Ffestiniog an, mir blieb aber noch genug Zeit, mir diesen Ort diesmal genauer anzusehen und nochmals ein paar Filme von ausfahrenden Dampflokomotiven aufzunehmen.
Blaenau Ffestiniog ist wahrscheinlich schon bei gutem Wetter ein sehr düsterer Ort. Wer sich immer schon gefragt hat, warum dunkle Bildschirmdesigns manchmal „Slate“ getauft werden, wird hier fündig: Schwarz und anthrazitfarben glänzt der Schieferstein von den Bergen. Auch die Häuser von Blaenau Ffestiniog wachsen in düsterer Steinoptik aus dem Felsboden. Ein wirklich geeigneter Ort, um einen Horrorfilm zu drehen, schon am Tage.
Immerhin hat man das beste aus dem Steinmetzort gemacht und den Hauptplatz mit allerlei Schieferkunst bestückt. Auch ein tiefschwarzer Brunnenfels schmückt ihn. Neben einem Museum gibt es noch ein paar kleinere Krimskramläden, teils mit antiquarischen Büchern. Der Ort wirkte allerdings an diesem Dienstagabend außerhalb des Bahnhofs wie ausgestorben. Nur einige missmutige Touristenfamilien schlurften durch die verlassenen Gassen. Ausflugswetter war halt nicht.
Der Dieseltriebwagen von Arriva Trains Wales war wieder gewohnt pünktlich, dort waren die Menschen, und besonders der Schaffner, schon wesentlich besser gelaunt. Und wir fuhren vorbei durch bezaubernde Täler und Wälder des Conwy Valley, die ich allzugern noch besucht oder erwandert hätte, wäre nur noch Zeit gewesen oder das Wetter besser. Aus dem Zug, durch leider spiegelnde Scheiben, konnte ich nur wenig fotografieren.
Auch als ich in Llandudno abends ankam, war dort sehr schlechtes Wetter. Ich machte also nur noch eine kleine obligatorische Runde, bevor ich wieder in meinem Quartier im Bodnant Guest House den Abend beschloss. Dieser Tag hatte sich wirklich gelohnt, und ich konnte meiner Lieblingsmenschin wieder viele Fotos und meinem Vater einen kleinen Dampflokomotivenfilm schicken.