Ein politischer Alptraum

Phantomszene aus der Zwischenkriegszeit (Quelle: Familienarchiv Jester)
Phantomszene aus der Zwischenkriegszeit (Quelle: Familienarchiv Jester)

Nachts habe ich manchmal gar seltsame Träume, oft in Romanform, bisweilen aber auch als geradezu kineastischer Film.

Ich hüte mich eigentlich davor, vor dem Zuschlafengehen düsteres Material zu betrachten, was mir Alpträume verursacht. Allzu oft geraten meine Träume sonst aus den Fugen oder werden zu bizzar. Zwar besitze ich die Fähigkeit, Träume in luzide umzuwandeln oder beenden zu können, aber dann liege ich nur den Rest der Nacht wach und nicht immer löst das die seelische Verspannung. Als ich vor einiger Zeit abends den Trailer zu einer Mysteryhorrorserie ansah, versehentlich eher, verfolgte mich ein menschenmordender Fledermausdämon in der Nacht bis in den Schlaf und es dauerte nach dem Aufwachen noch einige Zeit, bis sich sein Machtschatten aus meiner Wohnung gänzlich verflüchtigt hatte.

Manchmal sind meine Träume in ihrer Beschaffenheit aber auch weniger eindeutig zuzuordnen, wie beispielsweise der in der heutigen Nacht. Er war eine letztlich recht intelligente Collage (wer sich das nur immer wieder ausdenkt?) einiger Dokumentarfilme zum Dritten Reich und seiner Medienkultur, die ich in der Vergangenheit angeschaut habe, gemischt mit der TV- und Showkultur der Gegenwartszeit. Zunächst wurde ich Augenzeuge einer TV-Show à la „Wetter dass … ?“, in welcher der prototypische deutsche Showmoderator einige Menschen als Attraktionen darstellte und auch Freiwillige aus dem Publikum zu sich rief. Im Publikum saßen zugleich aber auch einige seltsame Charaktere mit sonderlich altertümlicher Kleidung, vor allem ein Mann um die Fünfzig, der einen ambivalenten Schnurrbart trug und gekleidet war wie der Hauptmann von Köpenick. Zunächst erinnerte er an einen General aus dem Ersten Weltkrieg. Dieser mischte sich brüllend und mit befremdendem, jovialen Lächeln immer wieder in den Showverlauf ein und versprach dem grölenden Publikum allerlei vom Moderator als hervorragend präsentierte Konsumartikel als Geschenk. Seine Einfälle beendete er immer mit dem Satz: „Bestellen Sie das und notieren Sie die Rechnung…“, welche er seinem rechten Nebenmann diktierte, aus dessen Perspektive die Traum-Kamera zunächst drehte. Dieser Mann, ein sympathisch-ahnungsloser, dynamischer Mitvierziger, Archetyp des Heimatfilms der Adenauerzeit, war quasi das filmische Ich: Er reagierte zunächst mit Verwirrung, Zweifel und später mit Entsetzen, zumal sich die umstehende Masse langsam von einem „normalen“ Fernsehpublikum zu einer Rotte politisch radikalisierter Zombiefiguren wandelte, teils Glatzköpfe, teils seltsam retro gekleidete Bürgerliche mit finsteren, säuerlichen Mienen. Der Versuch des filmischen Ichs, sich von dieser eindeutig radikalisierten Gruppe zu distanzieren, wurde zunächst durch die eng sitzenden Massen vereitelt, später aber dadurch, dass ihn der bis dahin vom ganzen Geschehen unbeeindruckte Showmoderator selbst als Kandidaten auf die Bühne rief.

Nun wechselte die Kamera in eine Panoromaperspektive und aus der TV-Show hatte sich das ganze in eine Art Reichsparteitag gewechselt, mit einem erschreckend uniformen, militärisch gekleideten Publikum, einem dunklen Nachthimmel und Fackelmassen. Der Kandidat selbst aber wurde in einer Art spukhaft-pagane Feuerzaubershow gegen den archetypischen Deutschen der 30er-Jahre ausgetauscht in einer Szene, die Mischung aus einer Selbstopferungsszene war, wie man sie im ersten Narniafilm kennt, als der Löwe Aslan von paganen Kräften geopfert wird; teils erinnerte sie aus Propagandafilmszenen in Art der Inszenierung von Lenie Riefenstahls oder Veit Harlans Filmarbeiten. Noch verwirrender wurde das Ganze, weil der gesamte Stil inzwischen in colorierten Stummfilm überging, er raste in schnellen Schnittszenen, die man aus immer größerer Distanz wahrnahm und in denen sich nun auch, überzogen idealisiert, ein politischer Partisanenkampf entspann, der dann inhaltlich wie filmisch in eine recht platt wirkende Science-Fiktion-Thematik überging, in der verschiedene politische Richtungen gegeneinaner kämpfen wie die in billigen Pulp Fiction Fantasyfilmen.

Interessanterweise wechselte die Perspektive nun erneut und ich fand mich selbst auf einem Fernsehsofa vor einem modernen LED-Monitor wieder, vor dem das Ganze wie ein frisch renovierter Film im Streaming-TV lief. „Es ist doch interessant“, hörte ich mich mit in der Realität gar nicht existierenden Freunden austauschen, „wie gut man diese alten Filme inzwischen optisch digital aufbereiten kann!“ – und wir diskutierten dann die Frage, welche politische Haltung der Filmregisseur eigentlich vertrat oder ob das letztlich nicht alles ganz banal und normal war, weil aus den zunehmend turbulent werdenden, plakativen Zusammenschnitt eigentlich nicht erkennbar war, ob hier die Filmkultur des Dritten Reichs verherrlicht, parodiert oder einfach nur medial ausgeschlachtet wurde – der schale Beigeschmack, der sich aber bei mir ergab, zumal manchmal auch aktuelle Inhalte unterschwellig eingeschnitten wurde, war der, dass hier einfach dem Publikum rechte wie linke Häppchen präsentiert wurden, faschistische Kriegspropaganda und viel Brutalität, nur um es in seiner Gier nach neuen Inhalten zu befriedigen und ohne die Folgen zu achten, die es beim Publikum hat, wenn man solche Stories ganz von moralischen Grundkriterien entfesselt.

Wie der Film weiter wirkte, und ob sich auch das Publikum vor dem TV langsam in skurrile Puppen wandelte, wurde gnädigerweise ausgeblendet und der Film entschwebte irgendwie in eine nicht ganz glaubwürdige, oberflächliche Fernsehutopie mit mehrfachen Happy Ends, von der man letztlich nicht einmal sagen konnte, ob die vielen Bilder und Tonfetzen überhaupt einen tieferen Zusammenhang hatten.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.