„Wir haben den Frieden verloren…“

Erstmals in der Geschichte von Anastratin.de gibt ein kaiserlicher Legat uns ein Interview. Wir durften mit Ian Delessian, dem Legaten des Ostens sprechen.

Legat Ian Delessian (Grafik: Martin Dühning)
Legat Ian Delessian (Grafik: Martin Dühning)

Anastratin.de: Herr Delessian, Sie haben seit drei Jahren das Amt des kaiserlichen Legaten des Ostens inne, womit Ihnen die zwölfte nitramische Raumflotte untersteht und die Stadt Saint Andrea im Foriensis Sektor. Außerdem verleiht Ihnen dieses Amt den Titel eines hoheren Senators im Foriensis-Thais-System und einen Sitz im dortigen Senat sowie das Amt des Patriarchen des Foriensis-Thais-Systems. Sind Sie damit am Ziel Ihrer persönlichen Karriere angelangt?

Ian Delessian: (lacht) Was soll ich darauf jetzt antworten? Sie haben noch vergessen zu erwähnen, dass ich die Beziehungen zu allen nichtverbündeten außernitramischen Völkern koordiniere. Damit vertrete ich den Kaiser in sehr vielen Bereichen und bin zumindest nach außen hin sehr präsent, zumal Außenstehende unser komplexes Regierungssystem ohnehin nicht verstehen. Aber das macht mich nicht zu einem Imperator und wenn Sie die äußerst unselige Geschichte meines Vorgängers hinzunehmen – ich bin nicht stolz darauf, dass ich so ins Amt gekommen bin…

Anastratin.de: Sie spielen auf den Eklat an, den die Foriensis-Admiralität hervorrief, als sie Graf Cassinor Tirouyel demütigte.

Ian Delessian: Abgesehen von der unwürdigen Behandlung halte ich es für ein Unding, dass uns primitive Außenstehende neuerdings in unsere Kultur und Religion hineinreden wollen. Soweit sind wir noch nicht gesunken, dass wir uns das gefallen lassen müssen. Und das ist auch die Meinung des Kaisers zu dieser Sache, der Tirouyels Rücktritt deshalb auch verständnisvoll annahm. Allerdings müssen wir ja doch trotz allem Außenbeziehungen wahren, weshalb ich dann nachrückte und seine Aufgabe übernommen habe, wenn es so sicher auch kein Traumjob werden wird.

Anastratin.de: Wie gedenken Sie denn nun die nitramischen Interessen im Foriensis-Sektor künftig  zu vertreten?

Ian Delessian: Mit mehr Distanz und etwas weniger Vertrauen, zumal es ja auch nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruht. Wir sehen die derzeitige Entwicklungen im Kibur’Gate-Sektor und im Foriensis-Sektor sehr kritisch, es laufen zu viele divergente Interessen ab und wir haben recht wenig Möglichkeiten, die Verhältnisse sinnvoll in unserem Sinne zu gestalten. Der Kibur’Gate-Sektor ist wohl auf immer verloren und im Foriensis-Sektor spielten wir nie wirklich eine gestaltende Rolle. Daher werden wir unsere Kräfte wohl langfristig anders einteilen.

Anastratin.de: Und wie soll das konkret aussehen?

Ian Delessian: Tut mir leid, diese Frage möchte ich hier nicht beantworten. Sie werden sicher verstehen, dass ein Stratege seine taktischen Planungen nicht vorab öffentlich herausposaunt.

Anastratin.de: Zwischen einigen der anderen Senatoren im Foriensis-Sektor bestehen derzeit bedrohliche Spannungen. Erwägen Sie militärische Interventionen für den Fall, dass die Lage eskaliert?

Ian Delessian: Wir haben zur Zeit nicht die militärischen Mittel, um Friedenstruppen in fremde Länder zu schicken. Das kann auch nicht unsere Aufgabe sein. Momentan können wir leider nur für uns selbst sorgen und sind damit vollauf beschäftigt, weil uns unsere alten Verbündeten allesamt im Stich gelassen haben. Das ist beschämend. Unsere Militärausgaben sind außerdem zu hoch, wir müssen sie senken und Aufgaben und Ausgaben outsourcen.

Anastratin.de: Wie meinen Sie das?

Ian Delessian: Als unser derzeitiger Kaiser noch Legat des Ostens war, zur Zeit von Kaiser Nuriel, sind wir bei der letzten Flottenreform nach altem Muster verfahren und haben die Ausrüstung komplett selbst angeschafft. Allerdings kam ein Großteil davon nie wirklich zum Einsatz, weil sie im Foriensis-Sektor nicht erwünscht oder nicht kompatibel war – und inzwischen muss es dringend ersetzt werden. Wir erledigen viele Aufgaben aktuell noch mit T410er-Orbitern, die noch aus der Zeit der Symmachie mit Emolas stammen und die technisch gesehen damals schon völlig veraltet waren. Wir hatten sie damals eigentlich nur als Zeichen der Partnerschaft angeschafft. Künftig würden wir gerne haben, dass die Admiralität des Foriensis-Sektors uns die nächste Generation Orbiter selber stellt, wenn wir deren ureigene Aufträge ausführen. Ich möchte nicht länger nitramische Steuerzahler für fremder Leute Projekte zahlen lassen.

Anastratin.de: Und wenn das nicht gelingt?

Ian Delessian: Wir würden dann eben, wie das ja leider gängige intergalaktische Praxis im öffentlichen Sektor ist, uns altes Material auf Verschleiß weiterfahren solange, bis es gar nicht mehr geht. Im Zweifelsfall werden wir dann einige Aufträge eben ablehnen müssen. Wir brauchen unsere eigenen Mittel aber dringender, um unsere Mittelstreckenfrachter zu erneuern. Die Veneto-Klasse-Kreuzer sind inzwischen fast 200 Jahre alt und fallen regelrecht auseinander, glücklicherweise haben wir mit der 11CXS-Klasse würdige Nachfolger für die Traveller-Klasse gefunden, die einfach nur Schrott war. Das zu ersetzen hat uns aber unmäßig viel Geld gekostet, sodass wir alle anderen Anschaffungen hintan stellen müssen. Da wir uns auf die öffentlichen intergalaktischen Verkehrsmittel zur Zeit auch wirklich nicht mehr verlassen können, ist das ein überaus großes Problem.

Anastratin.de: War das nicht vorhersehbar?

Ian Delessian: Nein, das war so nicht vorhersehbar, genauso wenig wie die anhaltende Wirtschaftskrise! Die Ursache für die aktuelle und auch die damalige Krise liegt darin, dass uns unsere sogenannten Verbündeten permanent im Stich gelassen haben und wir sehr teuer und kraftaufwendig dann alles ganz alleine organisieren mussten. Wer solche „Freunde“ hat, braucht eigentlich keine Feinde mehr. Es dürfte klar sein, dass die Bilanz dann so nicht stimmen kann, wenn Sie immer nur investieren, aber nie irgendetwas zurückkriegen. Darum sage ich ja, dass wir dringend outsourcen müssen. Ich glaube nicht, dass von alten Schuldnern jemals noch etwas zurückkommt, aber wir können verhindern, dass künftig noch mehr von uns in die falschen Kanäle abfließt.

Anastratin.de: Liegt das nicht auch daran, dass die Legaten den nitramischen Interessen nicht genug Nachdruck verleihen?

Ian Delessian: Wie sollte das gehen? Wir haben aktuell nicht mehr die Macht für irgendeine Art von militärischem Nachdruck. Diese Macht hätten wir – vielleicht – gehabt vor 120 Jahren im Kibur’Gate-Sektor, aber wir haben uns für den Frieden entschieden, statt für Kriege, und heute müssen wir einsehen: Wir haben den Frieden verloren. Wir wurden besiegt, ohne Schlachten geschlagen zu haben, die wir vielleicht hätten gewinnen können. Bloß hätte ein Sieg uns ohnehin nichts gebracht, wie Sie derzeit wunderbar sehen können daran, wie es anderen im Kibur’Gate-Sektor erging, die viel mächtiger waren, die das große Spiel gespielt haben und die dennoch gescheitert sind. Dass wir allerdings heute nicht mehr die Kräfte von damals haben ist ehrlich gesagt ein großes Problem, denn heute haben wir leider mehr Feinde, oder, wenn Sie dieses Wort nicht mögen: Wir sind noch weitaus häufiger als früher mit fragwürdigen Interessen konfrontiert, die uns sehr schaden und die unseren eigenen Idealen zuwider laufen.

Anastratin.de: Wäre nicht auch eine Möglichkeit, stärker an den Anstand und die Vernunft von Verbündeten und Gegnern zu appellieren?

Ian Delessian: Vernunft und Anstand überzeugen leider nur vernünftige und anständige Leute, und diese werden im Universum ja leider immer seltener. Heute schauen alle nur, dass sie selber zu ihrem Recht kommen. Jeder ist sich selbst der Nächste, versucht nur, sich selbst zu verwirklichen und seine eigenen Interessen voran zu treiben oder die seiner eigenen Sippschaft – was neuerdings schon als besonders altruistisch gilt. Unser Volk war eigentlich immer an kreativem Austausch interessiert, der nicht auf Eigennutz basiert, sondern auf gegenseitiger Ergänzung. Die Tragik unseres Volkes ist, dass wir nie Partner gefunden haben, die das zu schätzen gewusst hätten. Man hat von uns immer nur hündischen, unkritischen Beistand, einseitige Wertschätzung oder einfach Profit verlangt. Das schließt sich ja alles nicht automatisch aus, aber wir können auf dieser Basis so nicht weitermachen, sonst werfen wir Perlen vor die Säue und werden zerrissen.

Anastratin.de: Das sind sehr düstere Prognosen. Gibt es denn wenigstens Hoffnung?

Ian Delessian: Hoffnung gibt es immer, gerade zur Zeit haben sich einige neue Möglichkeiten eröffnet, die aber noch weit von dem entfernt sind, was wir in den letzten 120 Jahren aufgeben mussten. Letztlich wird es wieder darauf hinauslaufen, dass wir nur deshalb vorankommen, weil sich die Kräfte der Gegenseite in ihrer Eigensinnigkeit von selbst erledigen. Das ist allerdings ein sehr stumpfsinniger und deprimierender Vorgang, weil wir so mit unseren durchaus vorhandenen Begabungen gar nicht mitgestalten können. Solange uns fremde Mächte unpassende Bedingungen diktieren, die uns blockieren, wird sich daran auch nichts ändern. Derzeit sehe ich mangels Beistand wenig Möglichkeiten, daran etwas zu ändern. Das heißt aber nicht, dass wir es nicht natürlich versuchen werden. Mit Geduld und Ausdauer wird es uns doch gelingen, die derzeitige Stagnationsphase zu überwinden. Außerdem müssen wir dringend an der Gesundheit unseres Volkes arbeiten. Wir sollten unsere besten Leute nicht mehr in fremden, unnötigen Kampfeinsätzen aufreiben, das können auch anderer Leute Androiden, zumal wenn unser Herz und Kreativität bei der Arbeit überhaupt nicht geschätzt werden. Das ist aber eine Angelegenheit, für die ich als Legat des Ostens nicht zuständig bin. Sehr schön fände ich es im übrigen auch, wenn sich das Amt des Legaten des Westens, also desjenigen, der für freundschaftliche Beziehungen zuständig ist, bei uns wieder lohnen würde.

Anastratin.de: Das Amt gibt es derzeit aber nicht mehr, die Volksversammlung hatte es bei der Emolas-Krise abgeschafft.

Ian Delessian: Inzwischen haben wir einerseits einen anderen Kaiser; andererseits haben sich unsere schlimmsten außenpolitischen Befürchtungen bestätigt. Zugleich sollte man aber die Hoffnung nicht aufgeben. Das Amt wieder einzuführen wäre ein gutes Zeichen, vorausgesetzt, es gibt auch Grund dazu. Es wäre aber eher ein symbolischer Akt. Faktisch ist es egal, ob die Aufgaben ein Stratege oder ein Legat ausführt. Es würde mir lediglich mehr Sicherheit geben und es wäre ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber unseren verbliebenen und möglichen neuen Verbündeten.

Anastratin.de: Viele sind es ja nicht.

Ian Delessian: Gut, es sind sicher nicht so viele, wie es für uns wünschenswert wäre und wir haben bei weitem nicht mehr den Status, den wir vor einem Jahrhundert innehatten, aber zwischenzeitlich sieht es nicht mehr ganz so schlimm aus wie vor 12 Jahren. Um stabilere Bündnisse zu haben, müssten wir allerdings bald mal deutlichere Richtungsentscheidungen treffen. Mit einer Politik bloßer Toleranz und Neutralität punkten Sie in diesem Universum nicht, zumal es unseren Gegnern in die Hände spielt, den Anschein von Unentschlossenheit zu erzeugen. Manchmal ist eine klare Haltung, die bekämpft wird, besser als diplomatische Neutralität, weil eine solche derzeit nur ausgenutzt wird. Wir besitzen eigentlich solide Prinzipien und wir sollten diese auch öffentlich kund tun. Es mag sein, dass dies auf Gegenwehr stößt, aber ich möchte noch einmal betonen: Den falschen Frieden, den wir die letzten hundert Jahre wahrten, den haben wir eben verloren. Nun sollten wir wieder gewinnen, wenn schon nicht an Einfluss und Wohlstand, dann doch wenigstens an Profil. Das kann man auch ohne teure Aktionen umsetzen, indem man sich öffentlich in den Ratsgremien zur Wehr setzt und nicht von einer äußerst dubiosen Geheimkammerpolitik, mit der wir in letzter Zeit leider häufiger konfrontiert werden, in die Ecke drängen lässt. Vielleicht wäre es jetzt einmal an uns, dysfunktionale Beziehungen zu beenden zugunsten derer, die deutlich für uns sind.

Anastratin.de: Was könnte Nitramien denn potentiellen Verbündeten denn bieten?

Ian Delessian: Wir glauben an die Kraft der Hoffnung, an die Fantasie und an das Gute in der Welt und sind bereit, uns für konstruktive Zwecke einzusetzen, sofern diese nachhaltig angelegt sind. Wir besitzen in den Bereichen Kultur, Ethik und Technik mehr Wissen und Können als der Großteil der restlichen Galaxis und wahren überdies ein Gedächtnis. Wir gehen Dinge eigentlich sehr effizient an und haben weitverzweigte Kontakte. Wir besitzen die Gabe des Erschaffens. Unsere verbliebenen Werke in der Welt sprechen eigentlich genug für uns. Es ist sehr schade, dass dies alles gegenüber kurzfristigen Effekten, die unsere Konkurrenten bieten, nur noch so selten geschätzt wird. Nun gut, man kann es nicht ändern, so läuft der Faden der Zeit. Wu wei.

Anastratin.de: Herr Legat, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Nils Kawomba.

Nils Kawomba
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Nils Kawomba, ehemals Chefredakteur der NNZ (Neue Nitramische Zeitung), ist unser nitramischer Korrespondent in Ventadorn (Ninda).