Kurz vor ihrem siebzigsten Geburtstag hat Anastratin.de Vizekönigin Luisa Amiratu befragt. Lesen Sie hier das Interview.
Anastratin.de: Frau Amiratu, wir schreiben den 20. Februar 538 des zweiten Zeitalters – wie ist die Lage der Nation?
Luisa Amiratu: Die Zeiten sind hart, aber wir halten die Stellung. Freudige Zeiten sind es sicher nicht, aber wir haben die letzte Krise hoffentlich überwunden. Die Seuche, die Ninda im letzten Jahr heimgesucht hat, scheint weitgehend ausgestanden. Auch die sehr schlimmen Winterstürme haben, soweit ich das bislang beurteilen kann, kaum Schaden angerichtet.
Anastratin.de: Es sind aber doch einige Festungsanlagen beschädigt worden.
Luisa Amiratu: Schon, aber die Zerstörungen sind meist nur geknickte Fahnenmasten oder sehr leichte Fassadenschäden. Lediglich in Araruna ist ein Teil der Grenzmauer eingeknickt. Das ist aber alles nichts, was ein Wartungsteam der Nationalgarde nicht an einem Tag beheben könnte. Außerdem werden die Instandsetzungen kaum Geld kosten. Wir hatten mit sehr viel schlimmeren Zerstörungen gerechnet angesichts der Stärke der Orkane. Seien wir froh drum: Manchmal ist es eben doch auch gut, wenn man sich irrt.
Anastratin.de: Wie sehen Ihre Eisenbahnpläne aus?
Luisa Amiratu: Da sieht es sehr gut aus. Wir sind mit den Strecken weitgehend fertig, nur die neuen Bahnhöfe brauchen noch ein paar Nachbesserungen für die Barrierefreiheit. Ich hätte aber nicht gedacht, dass das alles so schnell und reibungslos und noch innerhalb meiner Regentschaft klappt.
Anastratin.de: Das klingt, als wenn Sie schon Ihren Rückzug planen.
Luisa Amiratu: Nun ja, ich werde bald 70. Siebzig Jahre, das müssen Sie sich mal vorstellen! Davon habe ich die meiste Zeit hier in Ninda gelebt. Ab einem gewissen Alter sollte man sich dann schon Gedanken über einen Rückzug machen. Wir wissen ja nicht, wieviel Zeit der Liebe Gott für uns vorgesehen hat. Also ja, manchmal denke ich schon an Ruhestand. Aber jetzt noch nicht. Vielleicht in fünf Jahren. Noch bin ich ja einigermaßen fit, da kann ich schon noch ein bisschen weitermachen. Allerdings wäre es doch sehr schön, wenn sich bald mal Unterstützung fände, besonders in Ventadorn. Ich merke eben schon, ich bin kein junger Hüpfer mehr.
Anastratin.de: Planen Sie eine Geburtstagsfeier?
Luisa Amiratu: Ich würde schon gerne feiern, wir haben hier in Ninda sonst ja nur noch Abschiede, und wenn man dann mal einen Grund für gute Laune hat, sollte man das vielleicht auch nutzen. Aber vielleicht feiere ich meinen Siebzigsten auch im kleineren Kreise und eher mein vierzigjähriges Thronjubiläum, zumal König Milony ja auch bald sein fünzigjähriges Thronjubiläum nachfeiern möchte, das könnten wir dann zusammen machen, mit Festen kennt er sich besser aus als ich. Außerdem haben wir auch noch die 540-Jahr-Feier Nitramiens in absehbarer Zeit.
Anastratin.de: Das sind eigentlich sehr viele Anlässe zum Feiern. Warum feiern Sie nicht einfach alles?
Luisa Amiratu: Haha, da hätten wir schön was zu tun. Aber wer sollte das alles bezahlen? Die Bundeskassen sind leer und ich kann den Haushalt meiner Provinz nicht einfach für Feten raushauen. Sonst wäre ich doch wohl nicht mehr lange im Amt. (Grinst) Wir brauchen das Geld dringend für die Vorbereitung auf künftige Katastrophen.
Anastratin.de: Was meinen Sie damit?
Luisa Amiratu: Meine Metereologen warnen vor einer dramatischen Jahrhundertdürre, die kommt, die noch schlimmer werden soll als die Hitzewelle vor einigen Jahren. Langfristig Temperaturen über 40 Grade sind angekündigt und monatelange Sommerhitze ohne Regen. Wenn das wirklich so kommt, ist das schrecklich. Wir müssen uns darauf vorbereiten, so gut wir können, auch wenn wir uns gegen die Naturgewalten kaum schützen können. Und darauf müssen wir die wenigen Reserven, die wir noch haben, konzentrieren.
Anastratin.de: Und was haben Sie vor?
Luisa Amiratu: Wir müssen irgendwelche Vorrichtungen bauen gegen Überhitzung. Wir brauchen vielleicht sogar Klimaanlagen und Notstromaggregate – obwohl das meiner Ansicht nach das erste sein wird, was ausfällt, wenn es zu heiß wird. Besser wäre natürlicher Schutz. Deshalb wollen wir weitere Sanddornwälder pflanzen in der Hoffnung, dass diese die Dürre dann besser überstehen. Eigentlich wollten wir noch Hummelstöcke für unsere Obstplantagen anschaffen, aber da droht wegen der milden Witterung jetzt wieder später Frostschaden und den Rest erledigt dann die Dürre. Das wird wieder kaum eine Ernte. Zudem haben wir derzeit wieder genug Bienen, die Populationen haben sich wieder erholt. Hummeln sind weniger hitzeresistent als Bienen.
Anastratin.de: Sie haben Bienen trotz des Bienensterbens?
Luisa Amiratu: Wir sind hier in Nitramien und planetieren nicht wie andere Leute überall alles zu. Wir haben noch genügend Grünflächen und Blütenstände in unseren Naturschutzgebieten, deshalb gibt es hier noch etwas mehr Vögel und Insekten als anderswo und die kaiserliche Wildhüterin achtet auch darauf, dass es so bleibt.
Anastratin.de: Dennoch treiben Wilderer und Holzräuber ihr Unwesen in den Provinzen. Warum setzen Sie nicht die Nationalgarde ein?
Luisa Amiratu: Der Kaiser hätte wohl kaum ein Kopfgeld in Höhe von 500 DRAM Sterlingsilber auf die Diebe ausgesetzt, wenn ich sie mit der Nationalgarde so einfach fangen könnte. Das sind sehr gut ausgerüstete Profis, denen es auch eher um Schaden als um Profit geht. Wahrscheinlich ist das mehr eine Machtdemonstration unserer Nachbarstaaten und soll uns einschüchtern und demotivieren. Ich kann einfach nicht tausend Meilen Grenze rund um die Uhr bewachen lassen, tut mir leid. Soviel Truppen haben wir einfach nicht und wir haben auch keine Verbündeten mehr. Letztlich sind wir doch immer vollkommen auf uns selbst gestellt. Aber bedenken Sie: Es beleidigt uns zwar, wenn man unsere Bäume massakriert, aber deshalb sind wir dennoch ein souveräner Staat. Und ich bin ja bereits dabei, die Schäden wieder aufforsten zu lassen.
Anastratin.de: Mit Bäumen, die dann womöglich wieder gefällt werden.
Luisa Amiratu: Ich bin wirklich sehr offen für konstruktive Vorschläge, aber unter den gegebenen Umständen ist es das beste, was mir übrig bleibt. Es sei denn, Sie zaubern uns eine Armee aus dem Hut, welche diese Überfälle ein für allemal abstellt. Der größere Feind aus meiner Sicht wird aber die Dürre sein. Die letzte hat weitaus mehr Schaden angerichtet als die paar Holzdiebe.
Anastratin.de: Schon die letzten Ernteperioden verliefen eher mau. Es sieht ja nicht so aus, als wenn Ihre vizeköniglichen Bemühungen groß Frucht tragen könnten. Haben Sie nicht manchmal Lust, einfach hinzuwerfen?
Luisa Amiratu: Doch, ganz klar, ich habe oft keine Lust mehr. Es geht ja so oft schief, was wir hier tun. Aber dann denke ich mir: Wir haben nur dieses eine Leben, und wir dürfen deshalb nicht einfach aufgeben. Wir müssen das beste aus unserem Leben machen, was wir können. Und das bedeutet für mich: Bäume pflanzen, kaputte Dinge in meinen Provinzen reparieren, den Leuten helfen und heilen, was geht. Wenn es eben nicht geht, geht es nicht. Aber man muss es versucht haben! Und wer, wenn nicht ich, die Vizekönigin, soll den Leuten hier sonst beistehen? Es ist ja sonst keiner mehr da! Darum mache ich das hier alles, nicht etwa aus Selbstdarstellung, oder um mich irgendwie selbst zu verwirklichen. Der Wert unserer Arbeit liegt darin, was wir damit bewirken können, besonders dann, wenn es die Leute, denen man damit hilft, nicht wirklich zurückgeben können. Sonst wäre es ja nur irgendein Job. Und das ist es nicht: Unser Leben ist kein Job, es geht nicht um Profit! Es geht ums Leben: Unseres, und das der anderen!
Anastratin.de: Das klingt nun fast wie eine Predigt. Wie steht es um die Religion in Ninda? Anderorts sind die Kirchen ja in großen Schwierigkeiten.
Luisa Amiratu: Also ich bin sicher keine besonders religiöse Person und obwohl ich das nach hier geltendem Recht dürfte als kaiserliche Stellvertreterin, habe ich noch nie selbst einen Gottesdienst gehalten. Denn das ist auch gar nicht nötig. Wir haben hier genug geeignete Leute, die das gerne tun. Außerdem dürfen Sie nicht Religion, Spiritualität und Kirche durcheinanderbringen. In Emolas, wo ich ursprünglich herkomme, waren wir durchaus spirituell, aber wir hatten keine Kirche. Hier in Nitramien haben wir Kirchen, aber auch, weil die Leute hier spirituell sind und nicht aus irgendwelchen verwaltungstechnischen Gründen, wie anderorts. Was das Wichtigste ist: Hier nehmen sich die Leute auch Zeit dafür und es geht nicht darum, eine Art Firma zu führen. Und deshalb gibt es hier in Ninda auch weder eine Kirchenkrise, noch eine Religionskrise. Und so als kleiner Tipp für all die Weltuntergangsbeschwörer im Ausland: Wenn Sie mehr Engagement von spirituell veranlagten Persönlichkeiten haben wollen, dann dürfen Sie nicht haushalten wie im Krieg mit Truppenverlegungen, Frontbegradigungen und damit, dass man ganze Weiler aufgibt und dem Zerfall anheimstellt. Genau so verliert man eine Sache. Aber das ist meine private Meinung, natürlich wissen Wirtschaftsberater und Finanzagenturen besser, wie man Spiritualität fördert (böser Blick).
Anastratin.de: Was soll man aber sonst tun, wenn Priester fehlen?
Luisa Amiratu: Ach, das ist doch alles Quatsch und eine faule Ausrede! Wenn Sie gläubig sein wollen brauchen Sie keinen Priester, sondern Zeit, Zuspruch und Gottvertrauen. Und genau das fehlt diesen ständig herumjammernden Leuten heute, oder besser: Die glauben, dass sie es sich nicht leisten können und es ihnen irgendwer anders liefern muss. Aber wenn Sie weder Zeit investieren, noch Gottvertrauen haben und auch kein Miteinander da ist – Stichwort Nächstenliebe und so – dann hilft Ihnen auch eine ganze Armee von Priestern nicht, egal ob es Männer, Frauen oder Kaninchen sind. Diese ganze Diskussion um irgendwelche Ämter geht doch völlig an der Sache vorbei. Da bin ich doch heilfroh, dass ich hier in Ninda lebe, die Leute hier sind doch irgendwie besser geerdet. Und vielleicht haben wir hier auch keinen Mangel deswegen, weil in unseren Gotteshäusern noch hauptsächlich gebetet, statt herumgejammert wird.
Anastratin.de: Da haben Sie schon eine sehr klare Meinung, die aber beim Erzbischof von Ventadorn nicht ganz auf Gegenliebe stoßen dürfte und erst recht nicht bei Weiheträgern anderswo.
Luisa Amiratu: Erzbischof Tamen Elinod und ich sind nicht immer einer Meinung, mag sein, aber ich bezweifle, dass er da so anderer Meinung sein dürfte. Ich bin ja überhaupt nicht gegen Ämter und Würden. Ich kann es eben nur nicht haben, wenn man das als faule Ausrede dafür nutzt, dass man eine Sache gegen die Wand fahren lässt. Ich hasse Leute, die ständig herumjammern, obwohl sie selber schon etwas tun könnten, wenn sie nur nicht so furchtbar mit Lamentieren beschäftigt wären. Wenn mir was nicht gefällt, jammere ich auch nicht herum, dann ändere ich es eben. Und wenn das nicht geht, dann sollte man auch nicht jammern, finde ich, sondern eben für sich das beste daraus machen, was man kann. Und wie gesagt, ich selbst sehe mich nicht als besonders religiöse Person – wenn dann aber jemand religiös ist und an Wunder glaubt, also ich verstehe dann wirklich nicht, warum er dann noch herumlamentiert. Ich frage mich dann immer: Diese säuerlich-verzweifelten Leute, haben die eigentlich wirklich verstanden, woran sie glauben? Und wenn: Warum jammern sie dann die ganze Zeit? Eigentlich müssten sie glücklich, voller Zuversicht und Seelenfrieden sein, wenn sie doch an einen lieben Gott glauben, der selbst Tote wieder zum Leben erweckt und der aus Steinen Kinder machen kann. Also ich verstehe das wirklich nicht. Aber vielleicht bin ich inzwischen auch zu alt dafür.
Anastratin.de: Sie haben vorher gesagt, dass es in Ninda genug Priester gibt. Wäre es dann nicht eine Option, wenn Sie anderen Völkern helfen?
Luisa Amiratu: Ich sehe jetzt wirklich nicht ein, was das bringen soll. Ein Mangel an Amtsträgern ist ja aus meiner Sicht nicht das Problem. Und ich hatte im Übrigen auch nicht das Gefühl, dass unsere Hilfe von irgendjemandem außerhalb Nitramiens erwünscht ist. Wenn jemand Rat oder unsere Hilfe wünscht, kann er ja zu uns kommen.
Anastratin.de: In Hinblick auf bald 40 Jahre Regierung als Vizekönigin: Was ist ein Wunsch, den Sie sich noch erfüllen wollen?
Luisa Amiratu: Fragen Sie jetzt für mich persönlich in meinem Leben oder mich als Vizekönig von Südninda? Also für mein Leben habe ich alles erreicht, was ging. Sicher, ich bin als Botschafterin von Emolas gescheitert, aber ich war 38 Jahre lang eine recht erfolgreiche Vizekönigin, also vom persönlichen Erfolg her gesehen. Ich bin Mutter einer wundervollen Tochter, Lebenspartnerin meiner Traumfreundin und Patentante der allerersten Zwergfee, die in Nitramien je ein Kapitänspatent für Langstreckenfrachter erlangt hat. Ich hatte ein Leben voller Träume und Abenteuer, es war zwar nur ein Zwergfeenleben, aber es war das, in das ich geboren wurde. Wenn ich morgen sterben müsste, wäre es ein erfülltes Leben gewesen. Soweit für mich als kleine Person. Als Vizekönigin bin ich nicht ganz zufrieden. Sicher habe ich vieles erreicht, was man in Geschichtsbücher schreiben könnte und ich bin wahrscheinlich die einzige Vizekönigin, die je über Nitramien hinaus bekannt geworden ist. Aber nichts von alledem hat wirklich dazu geführt, dass meine Untertanen sicher oder geborgen wären. Wir stehen in der Galaxis allein da, wir sind weiterhin Mächten ausgeliefert, die uns den Schlaf rauben und manchen Tages Kraft und das schlimmste ist – ich weiß nicht, wie das nach mir einmal hier weiter gehen soll, denn es ist niemand da, der meine Sache weiterführt. Als Vizekönigin habe ich vielleicht nur ein wackeliges Vermächtnis, wie so mancher Monarch, nach dem alles zusammenfällt. Und das macht mich ratlos und etwas unglücklich. Ich weiß nicht, ob man das als Erfolg bezeichnen kann, wenn man so beliebt ist, nur weil man gebraucht wird. Und deshalb habe ich den einen Wunsch, dass, wenn ich einmal nicht mehr bin, jemand das weiterführt, was mir wichtig war. Denn ich glaube, dass mir die richtigen Dinge wichtig waren – und das sollte jemand weiterführen.
Anastratin.de: Vielen Dank Frau Vizekönigin, wir hoffen mit Ihnen. Aber wir hoffen natürlich auch, dass das noch nicht unser letztes Interview mit Ihnen war.
Luisa Amiratu: Frau wird sehen. Warten wir’s ab. Und bis dahin eine schöne Zeit.
Das Interview führte Nils Kawomba.