Nicht erst seit Broadchurch wissen wir, dass sich in Britanniens wunderschöner Landschaft leidlich morden lässt. Auch DCI Vera Stanhope hat in bisher neun Staffeln mancherlei Verbrechen aufzuklären – im bildschönen Newcastle.
Wenn es überhaupt einen Vorteil gibt, privat viel Zeit allein zu sein, ist es vielleicht der, dass man ausufernd Gebrauch von Streamingangeboten machen kann – und wenn dann alle Fantasy-Serien aufgebraucht sind und Doctor Who oder Star Trek Picard wöchentlich nur einzelepisodisch tröpfeln, kommt man, selbst als Krimiverächter, schon mal auf den Gedanken, sich auch dem detektivischen Genre zu widmen, auch jenseits von Fantasy-Krimis wie Dirk Gentley oder Carneval Row.
Ein immer wieder äußerst lohnender Vertreter kineastischer Kriminalistik für einsame Wochenenden ist VERA, oder zu Deutsch: Vera – ein ganz besonderer Fall – mit Brenda Blethyn in der titelgebenden Hauptrolle als DCI Vera Stanhope. Die Serie der ITV Studios um die in Northumberland tätige Ermittlerin hat es seit 2011 auf bisher neun Staffeln gebracht, eine zehnte steht bevor, eine elfte ist angekündigt. Jede Staffel besteht aus nur vier Folgen, die aber Kinofilmlänge haben und meist ebenso imposant in Szene gesetzt sind. Inoffizieller Star fast jeder Folge ist die unbeschreiblich schöne Landschaft der Grafschaft Northumberland und die Stadt Newcastle Upon Tyne.
Gefallen an der Serie hat mir nicht nur die charmante Darstellung einer – mal wieder – leicht extrentrischen, älteren britischen Kriminalistin durch Brenda Blethyn, die der Genreschablone personale Authenzität und Tiefe verleiht. DCI Vera Stanhope ist mehr als nur eine Mischung aus Miss Marple, Columbo und Inspektor Wallander. Sie führt durch die Episoden hindurch ein eigenes Privatleben, auch recht einsam in dem von ihrem unbeliebten Vater geerbten Cottage, liebt mehr als ihre Mitmenschen ihren Brandy, ihren wettergegerbten Trench Coat und einen klassischen 1971er Range Rover Defender. Ihr Sarkasmus und diverse Boshaftigkeiten gegenüber ihren Untergebenen wirken nicht nur komisch, manchmal auch etwas hilflos, sodass sie dem Zuschauer letztlich doch wieder sympathisch wird. Sie hat ja eigentlich doch ein recht gutes Herz, trotz ihrer harten Biografie.
Auch, was ich an Krimis eigentlich generell hasse, dass sie scheinlogisch gestrickt und zu vorhersehbar sind, umgeht die Serie gekonnt – selten ist es mir wirklich gelungen, dem wahren Täter kurz vor dem Ende einer Episode auf die Schliche zu kommen, da die Mordfälle ein recht detailliertes Profil aller Verdächtigen zeichnen und die Motive teils recht komplex und so abgründig sind wie die Moore im Northumberland National Park, der nicht selten als Kulisse dient. Tief und undurchsichtig ist nicht nur die Psyche der Täter, sondern auch oft die der Opfer und der Ermittler – Soziopathien aller Art, die offenbar auch die bildhübsche Natur kaum zu heilen im Stande ist. Trotzdem geben die 90 Minuten je Folge dem Plot genügend Zeit, um sich allmählich und mit teils durchaus überraschenden Wendungen zu entwickeln, bietet in den Ermittlungspausen aber auch manchmal geradezu meditative Impressionen der rauhen Natur an der Grenze zu Schottland. Nicht nur Vera Stanhope, sondern auch der Zuschauer atmet dann tief durch.
Dummerweise sind die Folgen der neuen Staffeln zwischenzeitlich fast aufgebraucht und mein Geld reicht auch derzeit nicht für einen echten Kurztripp an den Ort des Geschehens, den ich mir, von der Landschaft begeistert, inzwischen in die Topten meiner Wunschreiseziele gesetzt habe – hoffend, dass dort anders als in der Serie nicht fast an jeder Ecke ein Mordfall lauert und die Einwohner vielleicht doch etwas freundlicher und weniger schroff sind als in der Serie.