Interview mit Kulturministerin Una Niva

Allerlei bunte Farben
Allerlei bunte Farben

Anderorts leidet die Kultur. Wir haben die Kulturministerin der Konföderation befragt, wie es in Nitramien steht.

Anastratin.de: Guten Tag, Frau Niva. Seit einigen Jahren sind Sie wieder Kulturministerin der Neu-Nitramischen Konföderation. Derzeit hält die Welt wegen einer großen Pandemie den Atem an, viel Kultur wurde gestrichen. Wie steht es in Nitramien?

Una Niva: Guten Tag, Herr Kawomba. Wir leiden seit vielen Jahren unter außenpolitischen Krisen, das begrenzt natürlich auch den Kultursektor, soweit es finanzielle Mittel betrifft. Nun wissen Sie aber, dass Kultur in Nitramien immer schon an zweithöchster Stelle auf der Agenda stand. Insofern geht es uns hier deutlich besser als in anderen Teilen der Galaxis. Außerdem profitieren unsere Künstler von unserer anderen Art des Wirtschaftens. Kultur ist ein angesehener Teil der Gesellschaft, sie ist nicht gezwungen, profitorientiert zu sein. Und Massenveranstaltungen waren hier auch nie gefragt.

Anastratin.de: Wenn die Kultur nur an zweiter Stelle steht, was steht dann an erster?

Una Niva: Natürlich stehen an erster Stelle immer Ethik und Moral. Kunst ist der Modus, in dem quasi jeder von uns lebt – das geschieht intuitiv. Viel schwieriger ist es, als Gemeinschaft gut zu handeln und die richtigen Entscheidungen zu treffen, wenn es darauf ankommt. Darum muss man darauf ein größeres Augenmerk haben – dafür gibt es den Staat. Ethik und Kunst sind aber nicht wirklich Konkurrenten, ich finde, sie ergänzen sich perfekt.

Anastratin.de: Gilt das nicht nur für die schönen Künste? Was ist mit Kunst, die kritisiert und provoziert?

Una Niva: Der Wert, der sich hinter künstlerischen Provokationen oft verbirgt, ist Wahrhaftigkeit. Das ist ein durch und durch ethischer Wert. Kunst soll ja nicht nur berauschen, im schlimmsten Fall wäre sie so nur eine Art Opium des Volkes, sie soll Sinn thematisieren, auf ihre Art sogar erschaffen. Und Sinn ist übrigens nicht primär eine logische Angelegenheit, sondern eine ganzheitliche – dazu bedarf es einer grundsätzlich kreativen Herangehensweise. Wenn man neuen Sinn erschließen will, muss man bisweilen auch primitive Weltbilder infrage stellen. Ja, das ist geradezu Pflicht für echte Kunst.

Anastratin.de: Anderorts mangelt es an Geld für die Kunst, warum ist das in Nitramien kein Problem?

Una Niva: Oh, wir haben auch einen massiven Devisenmangel, aber das ist kein Problem der Kunst. Unsere Wirtschaft ist auf Nachhaltigkeit angelegt, wir produzieren nicht für Konsum, daher trifft uns die intergalaktische Krise nur mittelbar. Künstler bei uns haben die Freiheit, ohne Zielrichtung auf Profit zu arbeiten, das entspannt ihre Lage.

Anastratin.de: Und trotzdem gibt es in den meisten nitramischen Staaten kein bedingungsloses Grundeinkommen, wie funktioniert das trotzdem?

Una Niva: Das bedingungslose Grundeinkommen ist eigentlich eine grundsätzlich gute Idee, sie passt aber nicht zu der Art und Weise, wie wir wirtschaften. Wir wirtschaften nicht mit einem Wirtschaftswachstum, Profit, der umverteilt werden müsste, sondern unsere Wirtschaft bedient ohnehin primär die Grundbedürfnisse unserer Bürger. Dass jedem das Seine zuteil wird, ist ohnehin Basis. Kultur und Kunst sind in unserer Gesellschaft sehr wichtige Werte, genauso wie soziale Tätigkeiten, sie genießen große Anerkennung, diese Wertschätzung zeigt sich auch finanziell – daher ist ein Hilfssystem, dass Gelder umleitet in Nitramien nicht nötig. Wir müssen allerdings auch zugeben, dass die Leute hier etwas anders ticken und dass unsere Verfassung Zwangsenteignungen vorsieht für den Fall, dass jemand sein Vermögen nicht gemeinnützig, sondern nur zum eigenen Vorteil ausnutzt. Daher sind unsere gutsituierten Mitbürger ganz generell sehr spendabel. Und sich als Mäzen zu betätigen gilt geradezu als selbstverständlich. Es geht dabei meist wirklich nicht darum, sich selbst mit anderer Leute Kunst zu bekränzen, die Leute machen das hier, weil sie Kunst und Kultur als wichtigen Teil ihres Lebens betrachten. Daran ändern auch Seuchen und Wirtschaftskrisen nichts. Problematischer wird es, wenn es um Devisen geht, denn dann sind wir von diesen zweifelhaften kapitalistischen Fremdsystemen abhängig. Das betrifft auch unsere Künstler, sofern es um Arbeitsmaterialien geht, die wir nicht selbst herstellen können. Der Handelsmagistrat hat aber auch da gut gefüllte Lager und unsere Landsleute sind kniffige Bastler, daher denke ich, dass sich das nicht wirklich nachteilig für uns erweist.

Anastratin.de: Wie steht es mit dem Renommee nitramischer Kunst im Ausland? Ließen sich dadurch nicht Devisen erwirtschaften?

Una Niva: Es liefe eigentlich dem Sinn von Kunst und Kultur zuwider, sie als Devisenbringer zu instrumentalisieren. Außerdem haben es graue Eminenzen im Ausland geschafft, unser Renommee in den letzten hundert Jahren fast völlig auszulöschen, teils auf eine sehr beleidigende Art und Weise . Nitramische Kunst ist zur Legende verkommen, weshalb niemand im Ausland mehr danach fragt. Das mag auch daran liegen, dass unsere wenigen Bündnispartner meist selbst genug Probleme haben, als dass sie sich für unsere Kunst interessieren würden. Und die dunklen Bedrohungen fremder Mächte verängstigen auch unsere heimischen Künstler, weshalb sie nicht mehr gerne Aufträge aus dem Ausland annehmen. Oft genug wurden sie vorgeführt, wenn Aufträge nachträglich zurückgezogen wurden und sie ihre Kunstwerke somit quasi für den Müll produziert haben. Nitramier haben ein sehr gutes Gedächtnis, sie werden das nicht vergessen – und darum gibt es auch nur noch wenige, die überhaupt für das Ausland arbeiten wollen. Schon vor drei Jahrzehnten hat es sich eingebürgert, dass Legaten oder der Kaiser den Auftrag in Kommission nehmen – und so schlecht, wie auch nitramische Politiker im Ausland behandelt werden ist auch deren Interesse äußerst begrenzt, „Perlen vor die Säue zu werfen“ . Unsere kulturellen Leuchten strahlen daher eher im heimischen Licht. Ich finde, man kann auch so zufrieden leben, ich denke nämlich nicht, dass unsere Künstler im Ausland überhaupt jemals verstanden wurden.

Anastratin.de: Das ist ein sehr hartes Urteil. Glauben Sie nicht, dass es nicht vielleicht auch im Ausland verständige Künstler und Kunstliebhaber gibt?

Una Niva: Doch, die gibt es bestimmt, bloß haben sie leider nie eine Rolle gespielt in unserer Geschichte, sie bleiben ferne Phantome am Horizont. Dagegen wurden wir zu oft zu fruchtlosen Händeln und sinnlosen Zwangsbeziehungen verdonnert. Das ist gerade für die Kunst fatal, sie kann so nicht wachsen und blühen, denn ohne Freiheit und positive Grundeinstellung gedeiht Kreativität nicht. Die Dinge sind aber nun einmal, wie sie sind und wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Das können wir am besten bei uns selbst und an Orten, wo wir das Sagen haben und fremde Mächte nicht unser Leben verdunkeln.

Anastratin.de: Und das bedeutet?

Una Niva: Das bedeutet, dass wir unsere Kunst für uns behalten, und zwar so lange, bis es eine sinnvolle Möglichkeit gibt zu kreativem Austausch. Und falls das niemals passieren sollte, Kunst ist eine wunderbare Sprache – wenn es aber nichts zu bereden gibt, sollte man auch nicht das Gespräch suchen, wo keines sinnvoll ist. Nitramien ist ein schönes Land. Wir können auch im Innern erblühen und in die Tiefe gehen, statt uns in fremden Weiten zu verzetteln. Daher sehe ich mich auch nicht als Außenpolitikerin, sondern als Innenpolitikerin. Hier kann und will ich wirken, sei es im musikalischen, im literarischen oder im bildnerisch-künstlerischen Bereich. Und wir haben hier auch trotz allem ein wundervolles und vielfältiges Kulturprogramm.

Anastratin.de: Frau Niva, wir danken für das Gespräch.

Una Niva: Bitte sehr, gern geschehen.

Das Gespräch führte Nils Kawomba.

Über Martin Dühning 1523 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.