Wir schreiben das Jahr 544 a. C. und in Südninda hat der Sommer seinen Höhepunkt bereits überschritten. Wir haben Vizekönigin Luisa Amiratu nach ihrem Befinden und nach ihren Plänen befragt.
Anastratin.de: Frau Vizekönigin, die letzten Monate waren turbulent. Wie fühlen Sie sich?
Luisa Amiratu: Oh ja, sie waren sehr turbulent! Wir leben in sehr unruhigen Zeiten und es war teils nicht schön. Momentan geht es mir aber besser, da wir von mehreren Seiten Beistand und Unterstützung erhalten haben.
Anastratin.de: Sie hatten ja – mal wieder – Probleme mit den Nachbarstaaten.
Luisa Amiratu: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es den bösen Nachbarn nicht gefällt…
Anastratin.de: Was gedenken Sie zu tun, um die Bürger vor weiteren Übergriffen zu schützen?
Luisa Amiratu: Das machen die kaiserlichen Legaten und unsere Strategen. Als Vizekönigin bin ich eher für die zivile Verwaltung zuständig und für die Logistik. Zu Details darf ich mich natürlich nicht äußern. Unsere Truppen wurden deutlich verstärkt, wie Sie sicher bemerkt haben und wir errichten auch neue Grenzbefestigungen. Seien Sie sich gewiss, dass das Kaiserreich und unsere neuen Verbündeten alles tun werden, um unsere Bürger zu schützen und ein Leben in Ruhe und Frieden sicherzustellen.
Anastratin.de: Dies und die globalen Krisen tragen nicht gerade dazu bei, dass sich die nitramische Wirtschaft erholt…
Luisa Amiratu: Das stimmt nicht, die nitramische Wirtschaft hat sich deutlich erholt in den letzten Jahren, trotz allem, auch in Südninda, das inzwischen für seine Obst- und Marmeladenproduktion bekannt geworden ist. Wir machen großen Gewinn. Noch eine Saison, und die Kosten für die Plantagen haben wir wieder eingespielt. Dieses Jahr ist unsere Ernte auch gut, da die Dürre gerade noch rechtzeitig zuende ging, bevor wieder irreparable Schäden aufgetreten sind. Momentan haben wir sogar einen Produktionsüberschuss, den wir nicht abarbeiten können. Ich denke, wir haben inzwischen auch genug Marmelade.
Anastratin.de: Was wollen Sie denn mit den vielen übrigen Früchten tun?
Luisa Amiratu: Na wir werden sie natürlich selber essen! Unsere biologisch angebauten Beeren und Früchte sind sehr gesund! Außerdem planen wir, in größerem Maßstab wieder in die Eiscremeproduktion einzusteigen – zuallererst mit Heidelbeer-Eiscreme. Ich denke, das könnte der nächste große Coup werden. Wir müssen nur die alten Produktionsstätten wieder in Betrieb nehmen. Derzeit haben wir noch ein paar technische Probleme, aber die werden wir wohl in den Griff kriegen. Wenn das klappt, steht neuen Produkten nichts im Wege. Abnehmer haben wir, dank neuer Bündnisse, auch schon.
Anastratin.de: Eis lässt sich aber deutlich schlechter lagern als Marmelade.
Luisa Amiratu: Wir ersetzen unsere preisgekrönte Marmelade ja nicht mit dem Speiseeis, wir ergänzen nur unser Angebot. Und bei all diesen Hitzewellen ist das, finde ich, eine tolle Ergänzung. Falls es nicht so der Hit wird, macht es auch nichts, wir haben es dann immerhin versucht.
Anastratin.de: Auch dieses Jahr war wieder von Dürren geprägt. Wie sieht es mit der Ernte aus?
Luisa Amiratu: Das hatte ich doch schon gesagt: Sehr gut! Wir haben ja durchaus dazugelernt und dass wir so fleißig Zisternen in den vergangenen Jahren gebaut haben, zahlt sich nun aus. Wir haben genug Wasser. Und im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten hatten wir es auch nicht nötig, das Wasser zu klauen, es ist unser eigenes Wasser. Unser Zisternenwasser – und damit konnten wir unsere Plantagen über die Trockenphasen bewässern. Und nun haben wir eine wirklich sehenswerte Ernte und damit – nach langen Jahren – auch wieder Gewinn erwirtschaftet. Das war für mich ein ganz besonderer Moment.
Anastratin.de: Ja, Sie haben tatsächlich all die Kritiker verblüfft, die Sie und Ihre Agrarprojekte schon scheitern sahen, genau wie Ihre Vorgänger gescheitert waren.
Luisa Amiratu: Wissen Sie, ich denke, das eigentliche Problem heutezutage ist, dass großmäuligen Meckerern zuviel Raum gegeben wird. Wir sollten uns nicht soviel darum kümmern, was laute Leute von sich geben, die eh nur den Untergang erwarten und das Ende der Welt heraufbeschwören – mit sich selbst als Mittelpunkt. Füttern Sie keine Aasgeier, wenn Sie wollen, dass das Gute gewinnt. Nicht alles, aber manche Leute sollte man besser ignorieren und ihnen keine Bühne bieten. Im Gegenzug sollte man seine echten und treuen Freunde und stille, aber kluge Ratgeber besser behandeln und solche Leute, die einfach das Richtige tun – gerade auch dann, wenn sie keinen Lärm darum machen und keine Gegenleistung dafür erwarten. Geben Sie denen Respekt, die es wirklich verdienen!
Anastratin.de: Das scheint auch Teil Ihrer Regierungspolitik zu sein. Sie haben in letzter Zeit einer Menge Leute große Geschenke gemacht, teils auch solchen, die bislang nicht sehr angesehen waren. Sie haben den Mindestlohn in vielen Branchen erhöht und ehrenamtlich tätige Personen teilweise von der Steuer befreit.
Luisa Amiratu: Nicht das Ansehen macht die Moral, sondern der Charakter und die Taten. Ich habe lediglich dafür gesorgt, dass guten Leuten einmal gedankt wurde für das, was sie getan haben oder täglich tun. Man sollte das Gute nicht selbstverständlich hinnehmen, man sollte vorbildliche Taten belohnen – und nicht auf billige Art mit leeren Worten und hohlem Geklatsche, sondern indem Sie die Leute, die Gutes tun, wirklich einmal honorieren, auch handfest und finanziell. Im Gegenzug bin ich aber auch ein Freund von öffentlicher Kritik, wenn sich Leute daneben benehmen, wie Sie ja sicher wissen. Wenn sich jemand daneben benimmt, verdient er Strafe, immer. Egal, für wie wichtig er sich hält.
Anastratin.de: Ja, Sie haben schon Adlige und hohe Beamten zu Fall gebracht. Im Bildungssektor und der Justiz haben Sie schon damals bei Ihrem Amtsantritt vor 44 Jahren gründlich aufgeräumt. Sind Sie mit den Entwicklungen im Bildungswesen und in der Justiz denn zufrieden?
Luisa Amiratu: Ich finde, man kann für gute Bildung und ein gerechtes Justizwesen nie genug tun, deshalb bin ich natürlich noch nicht zufrieden. Aber ich finde, wir bewegen uns jetzt in die richtige Richtung: Wir haben nun sehr viel mehr und qualifiziertere Lehrkräfte und unsere Erwachsenenbildung kommt bei den Leuten richtig gut an. Wir haben nicht den Fehler gemacht, auf den Götzen „Digitalisierung“ zu setzen, denn gute Bildung ist eine Charakterfrage – bei uns findet Bildung als humanitäre Interaktion statt, zwischen echten Personen. Das kommt in allen Altersklassen gut an. Unsere Kurskataloge für die Volkshochschule sind inzwischen richtig dicke Wälzer und wenn Sie sich weiterbilden wollen, haben Sie jetzt in fast jeder nindanischen Stadt dazu gute Möglichkeiten – und falls es keine passenden Kurse gibt bei Ihnen zuhause, oder die Plätze schon vergeben sind – die Kurse sind sehr gut besucht – kommen Sie mit den erneuerten öffentlichen Verkehrsmitteln viel weiter als jemals zuvor und können sich woanders weiterbilden. Ich habe auch durchgesetzt, dass Bürger von Südninda die Volkshochschulkurse der Metropolis von Ventadorn besuchen dürfen – kostenlos natürlich. Dem Justizwesen geht es soweit gut. Im Rechtswesen hatten wir schon viele Jahre lang keine Probleme mehr mit dem Personal. Nur was die Schöffen angeht, ist die Begeisterung bei den Bürgern leider nicht sehr groß, was dieses meiner Ansicht nach doch wichtige Bürgeramt angeht. Aber das wird schon noch. Ein bisschen ärgert mich die Entwicklung im Bankensektor, einige Finanzinstitute haben bei uns immer noch nicht begriffen, dass sie kein Geld horten oder bloß Profit machen sollen, sondern dass sie zuallererst der Gemeinschaft dienen. Daher denke ich, dass ich hier in nächster Zeit stärker eingreifen werde.
Anastratin.de: Was haben Sie denn vor? Seit Vizekönig Valens die Banken unter vizekönigliche Aufsicht gestellt hat nach dem letzten Bankenskandal haben Sie doch ohnehin weitreichende Befugnisse?
Luisa Amiratu: Ja, das habe ich, aber bislang wurde davon kaum Gebrauch gemacht. Es ärgert mich zum Beispiel, dass die Bank von Südninda mehrere Grundstücke in bester Stadtlage in Westlandstadt hat, auf der derzeit noch ihre Bankgebäude stehen, aber keine dieser „Banken“ hat jemals geöffnet. Wenn Sie mich fragen, hortet die Bank hier nur Immobiliengrundstücke. Das finde ich asozial, daher werde ich sie enteignen.
Anastratin.de: Das klingt drastisch. Was wollen Sie mit den Bankgebäuden denn anfangen?
Luisa Amiratu: Ich werde diese ungenutzten Bankgebäude abreißen lassen. Sie sind hässlich und protzig und offensichtlich hauptsächlich dazu da, Grundstücke zu verbauen. Tatsächlich fehlt uns aber Wohnfläche und kleine Gewerbeflächen – daher werden wir die eckigen grauen Kästen – ich frage mich wirklich, wie man sowas nur bauen konnte – durch neue, bunte und freundliche Stadtwohnungen ersetzen. Diese werden dann an Leute verteilt, die gute Ideen für städtische Lebensqualität haben und die unsere Gemeinschaft wirklich bereichern.
Anastratin.de: Werden dann nicht Bankgebäude fehlen für Leute, die zur Bank müssen?
Luisa Amiratu: Wer bezahlt in Westland denn noch mit Bargeld? Wir leben im fortschrittlichen sechsten Jahrhundert! Außerdem hat bislang die Banken auch niemand vermisst, wie gesagt, die Banken waren seit Jahren geschlossen, aber noch gewerblich angemeldet, was offenbar niemand bislang hinterfragt hat, sonst wären die Gebäude wohl schon viel früher enteignet worden. Das geschieht nun. Wir haben schon ein paar Architekten engagiert wegen der Neubauten, bislang beraten die sich noch und so lange werden die alten Gebäude wohl stehen bleiben. Aber nicht mehr sehr lange, wenn es nach mir geht…
Anastratin.de: Es klingt, als wenn Sie eine Menge neuer Pläne haben…
Luisa Amiratu: Zu tun gibt es immer was und man sollte die Zeit nutzen, die einem geschenkt ist. Jetzt ist hier Hochsommer, das ist noch eine gute Zeit für Bauprojekte, bevor dann wieder der Winter kommt. Sie sehen aber, ich habe viel zu tun.
Anastratin.de: Dann wollen wir Sie auch nicht länger aufhalten, vielen Dank für das Gespräch, Frau Amiratu.
Luisa Amiratu: Bittesehr. Gerne wieder. 😉
Das Gespräch führte Nils Kawomba.