Sind Sie auf den Winter vorbereitet, Frau Vizekönigin?

Südninda feiert das Christkönigsfest. Wir haben Vizekönigin Luisa in ihrem Amtssitz in Milony Island zur Lage der Nation befragt.

Klitzekleine Vizekönigin (Foto: Martin Dühning)
Klitzekleine Vizekönigin (Foto: Martin Dühning)

Anastratin.de: Guten Mittag, Frau Vizekönigin. Heute ist Christkönigsonntag, sind Sie zufrieden?

Luisa Amiratu: Müsste ich an diesem Tag denn besonders zufrieden sein oder wollen Sie von mir wissen, wie es heute lief?

Anastratin.de: Wie lief es denn heute?

Luisa Amiratu: Heute war ein wunderschöner Sonntag in Milony Island, die Herbstsonne schien, Pater Benedikt hat im Gottesdienst gut gepredigt und ich bin zusammen mit meiner Lebenspartnerin Kara, ihrem Hund Henry IV. und mit meiner kleinen Tochter Nuri spazieren gegangen und war dann auch noch kurz in Hajoida und habe dort die neue Stadthalle bewundert. Es ist eine wirklich schöne Markthalle, in chinesischem Stil, fragen Sie mich aber bitte nicht, in welchem. (lacht)

Anastratin.de: In Hajoida wird zur Zeit kräftig gebaut, das scheint Sie zu freuen…

Luisa Amiratu: Natürlich freut mich das! Es zeigt, dass es unseren Verbündeten gut geht und seine Verbündeten muss man immer gut behandeln und darf sich dann auch mit ihnen über Erfolge freuen. Außerdem profitieren wir hier davon, wenn die Wirtschaft dort floriert, wir unterhalten enge Handelsbeziehungen zum Imperium. Wenn die neue Marktstadt fertig ist, werden wir alle begeistert sein, sie ist nicht nur wunderhübsch, sondern ein Magnet für Kaufleute und Touristen. Wir exportieren schon jetzt dorthin massig Marmelade und Bausteine und importieren Ramen (Nudeln) und Reisgerichte. Wissen Sie, dass Nitramier Reis und Ramen lieben? Das ist wirklich eine nutzbringende Beziehung!

Anastratin.de: Das ist bekannt, ja. Es gibt Gerüchte, dass Sie eine weitere Eisenbahnstrecke planen, direkt nach Hajoida.

Luisa Amiratu: Das stimmt nicht, ich kann schlecht in anderen Ländern Eisenbahnen planen. Dazu habe ich nicht das Recht und auch nicht die Mittel. Aber wir hoffen, dass es irgendwann mal eine Eisenbahnverbindung von Juneau oder Saint Patrick geben wird, dann wäre Hajoida per Eisenbahn erreichbar. Durch Großhajoida Eisenbahnschienen zu verlegen wäre aber eine Mammutaufgabe, das würde wohl Jahre dauern. Außerdem gibt es ja Häfen und per Schiff klappt es schon heute.

Anastratin.de: Nun ja, so lange die Häfen eisfrei sind. Aber der Winter naht…

Luisa Amiratu: Im Winter fahren auch keine Eisenbahnen, wenn die Schienen zugeschneit sind. Sie könnten vielleicht die Strecken in den Ebenen freiräumen, aber unmöglich die Gebirgspässe. Und um nach Hajoida zu kommen, müssen Sie auf jeden Fall über das Gebirge. Es ist ein ziemlich großes Gebirge!

Anastratin.de: Wie sieht es denn in den Vereinigten Provinzen von Südninda aus, sind Sie auf den Winter vorbereitet, Frau Vizekönigin?

Luisa Amiratu: Nun ja, der starke Bodenfrost jetzt hat uns schon überrascht. Ich hatte gehofft, dass es noch eine Weile schön bleibt, dann hätten wir noch weiter ernten können. Wir haben nämlich zu wenig Arbeiter zur Zeit. Aber das wissen Sie ja. Was nicht geerntet war, ist jetzt futsch, außer die Schlehenbeeren, die erntet man erst jetzt.

Anastratin.de: Die nindanische Mauer ist auch nicht fertig geworden.

Luisa Amiratu: Wir haben leider zu wenig Baumaterial und bei der aktuellen Witterung können unsere wenigen Baumeister auch nicht mehr arbeiten. Es wäre natürlich besser, wenn wir Unterstützung von der 12ten Flotte anfordern könnten, aber die nitramischen Truppen werden zur Zeit im Foriensis-Sektor für billige Routinepatrouillen verschwendet. Also wenn Sie mich fragen, könnte man unsere Ingenieure und Wissenschaftler auch zu besseren Aufgaben einsetzen als für sinnlose Aufseherarbeiten. Und teilweise hängen sie dort nur herum, weil ihre Arbeitszeiten so blöde sind. Wir könnten sie hier soviel besser gebrauchen!

Anastratin.de: Der Foriensis-Sektor ist wie viele weitere von der großen Seuche betroffen, die Patrouillen dienen der Seuchenbekämpfung.

Luisa Amiratu: Es soll der Seuchenbekämpfung dienen? Pah, dass ich nicht lache! Glauben Sie wirklich, es hilft irgendwas, wenn Sie bloß rumkontrollieren, dass irgendwelche Leute irgendwelche Formulare ausfüllen und sich Papier vor das Gesicht kleben und mit billigen Putzmitteln um sich werfen? So bekämpft man keine Seuchen! Das ist doch alles Firlefanz! Diese Patrouillen vergeuden unsere Arbeitskraft und Lebenszeit. Was könnte man nicht alles Sinnvolleres tun!

Anastratin.de: Sie haben da eine ziemlich eindeutige Meinung. Wie schützen Sie denn Ihre Bevölkerung vor Ort vor der Seuche?

Luisa Amiratu: Wir führen flächendeckend täglich Tests aus und isolieren Besucher von außerhalb in Sicherheitsquarantäne für ein paar Tage. Das wird allerdings auch nicht viel bringen, solange das Kontinuum unsere Truppen dazu zwingt, ohne hinreichenden Schutz im Foriensis-Sektor Patrouillen zu schieben. Daher befürchte ich, könnte die Seuche über unsere Truppen Ninda erreichen. Allerdings ist nur ein Teil dafür anfällig, nämlich die großen Völker. Die meisten meiner Untertanen gehören zu den „kleinen Völkern“, die wären nur indirekt betroffen durch den Zusammenbruch des Fernverkehrs. Deshalb haben wir auch ein paar Vorräte eingelagert, aber eigentlich nicht mehr, als wir in den Winterjahren ohnehin einlagern, falls es von der Witterung notwendig ist. Und unsere medizinische Versorgung ist vorsorglich immer gut. Hier sind ja oft Leute krank, da halten wir schon gut Vorrat.

Anastratin.de: Klopapier und Desinfektionsmittel?

Luisa Amiratu: Was?! Wir sind nicht blöde, beides kann man nicht essen und es heilt auch keine Krankheiten! Wir haben Medikamente und Lebensmittelrationen auf Vorrat, aber auch nur so, wie wir das letztlich immer tun im Winter. Virenwellen sind auch nicht wirklich neu in unserer Geschichte. Deshalb sorgen wir ohnehin vor. Unser Gesundheitssystem wurde auch nie privatisiert und kaputtgespart, es besteht also nur indirekt Grund dazu, in Panik zu verfallen.

Anastratin.de: Indirekt in Panik verfallen? Was meinen Sie damit?

Luisa Amiratu: Naja, schauen Sie doch nur, was in der Welt um uns herum los ist! Da wird gerade in inflationär Geld verbreitet und Erspartes eingebrannt. Wir befürchten eine Geldentwertung! Die Versicherungen für unsere Truppen haben jetzt schon alle drastisch aufgeschlagen. Das trifft uns und unsere heimischen Steuerzahler natürlich dann auch. Und all diese unnötigen Zusatzdienste, die unsere Truppen jetzt leisten müssen als Feigenblatt für eine fehlgeleitete intergalaktische Krisenvorsorge. Das zehrt gewaltig an unseren Ressourcen und Kräften! Und am Schlimmsten: Es wird wohl alles nicht helfen, weil es halbherzig und dilletantisch ist, keine langfristige Strategie hat und letztlich geht es nur darum, ohne wirklich was an den Strukturen zu verändern die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Da werden eine Menge Regeln aufgestellt, die man so gar nicht kontrollieren kann. Schon nimmt der Geiz und der Neid zu, die Hilfsbereitschaft sinkt und der Egoismus feiert fröhliche Urstände. Das ist alles völlig unnitramisch und das macht uns sehr ärgerlich! Aber was soll eine kleine Zwergfee wie ich dagegen tun? Ich kann nur hoffen, dass es nicht auf unser gut funktionierendes heimisches System übergreift!

Anastratin.de: Es gibt Leute, die meinen, das alles wäre eine große, inszenierte Verschwörung. Was meinen Sie dazu?

Luisa Amiratu: Paranoide Verschwörungstheorien sind nicht so mein Ding. Wir wissen, dass die Bedrohung echt ist, weil es schon Tote gab, auch in unserem Bekanntenkreis. Und so stümperhaft, wie die Großen mit der Krise umgehen, kann das alles unmöglich geplant sein. Nein, ich glaube eher, da ist ein paar Ignoranten plötzlich die Realität auf den Kopf gefallen und hat all die Menschen unsanft aus ihren technischen Kontrollträumen und Konsumfantasien aufgeweckt. Wissen Sie, das ist dann die Folge davon, wenn man permanent die eigenen und anderer Leute Grenzen nicht achtet und immer nur mehr, und mehr und mehr will! Und diese Seuche deckt jetzt schonungslos auf, was schon vorher alles nicht gestimmt hat: Ich sage da nur „Pflegesystem“ und „Massentierhaltung“. Was mich allerdings bedenklich stimmt ist, dass manche Leute vernünftiges Selbstdenken und Kultur, ja selbst Spiritualität nun einfach überbord werfen. Früher hat man den Kranken damit Trost und Zuspruch gegeben. Nun glaubt man, lebenskalte Computerstatistiken seien besser geeignet Krisen zu überwinden als zwischenmenschlicher Zuspruch. Das ist einfach nur ein Armutszeugnis!

Anastratin.de: Was würden Sie machen, wenn Sie die Macht dazu hätten, Frau Vizekönigin?

Luisa Amiratu: Ich würde sofort die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen, es war ein großer Fehler, das abzuschaffen. Sie brauchen die Wehrpflicht für ein krisenfestes Gemeinwesen, nicht wegen irgendwelcher Kriege, sondern weil Sie Rekruten im Zivildienst und technischen Hilfswerk brauchen. Sie können eine Pandemie nicht nur privatwirtschaftlich angehen, sonst werden sie nur ausgeplündert von gierigen Profiteuren. Sie brauchen viele, viele Menschen, die helfen und eine vernünftige, unbürokratische, schnell und einfach funktionierende Amtshilfe. Jede Aktion sollte zudem im Verhältnis zu ihrem Nutzen stehen, nicht im Verhältnis zu einem erwarteten Prestigeverlust bei Lobbygruppen und Wählern. Außerdem müssen Sie wegkommen von dem Irrglauben, man könne Probleme mit einer Liste von Regeln und Satzungen lösen. Probleme kann man nur mit echter Strategie und handfester Hilfe lösen. Ein vernünftiges Gemeinwesen braucht einen Langzeitplan, genügend pflegefähige Helfer, Medikamente in ausreichender Zahl vor Ort und eine Quarantäneverordnung, die nicht nur auf dem Papier existiert. Daher muss alles austariert und realisierbar sein. Ein Wust von Regeln führt nur dazu, dass die Leute die Gesetze nicht mehr befolgen, weil sie zuviele werden – zumal wenn Sie gar nicht wirklich kontrollieren können oder wollen, ob sie eingehalten werden. Das sehe ich als das größte Problem an: Es besteht ein großer Unterschied zwischen Anspruchsdenken und Wirklichkeit. Damit können Sie vielleicht paragrafengläubige Leute einschüchtern oder medienwirksam Wahlwerbung machen, den Viren ist das aber alles letzlich egal, es hilft dann nichts. Und für echte Hilfe ist nun die Zeit!

Anastratin.de: Hm… da wir gerade von Wahlen sprechen – wie steht es denn mit den Wahlen in Südninda und in Ventadorn?

Luisa Amiratu: Gefällt Ihnen das Thema nicht mehr? Nun gut: Wenn alles planmäßig läuft, werden wir in Südninda am 1. Advent ein neues Provinzialparlament wählen. Ich denke, das wird wohl gelingen. Was Ventadorn angeht, habe ich immer noch nicht die nötigen vier Kandidaten beisammen für die Präsidentenwahl und nicht genug Bewerber auf die Gemeinderatsposten in allen Distrikten. Wir könnten bereits in Sanarth, Juletree, Saint Margareta und in Westland Hafen wählen. Aber die anderen Distrikte haben noch keine vollständigen Wahllisten. Daher werde ich vermutlich auch mindestens noch im nächsten Jahr komissarische Regentin in Ventadorn bleiben. Notfalls eben so lange, bis eine neue Generation herangewachsen ist, die sich nicht vom alten Filz einschüchtern lässt. Ich hoffe auf die Jugend, wissen Sie, das sind teils sehr engagierte und kluge Leute. Man muss nur schauen, dass man ihnen die Chance lässt und die wirklich Fähigen ermutigt. Das will ich versuchen, so gut ich kann.

Anastratin.de: Nun, da drücken wir Ihnen natürlich die Daumen, dass das gelingt und würden uns freuen, wenn wir Sie vorab wieder interviewen dürfen, Frau Vizekönigin.

Luisa Amiratu: Ich danke auch für das Gespräch – bis zum nächsten Mal alles Gute und bleiben Sie gesund!

Das Gespräch führte Nils Kawomba.

 

Nils Kawomba
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Nils Kawomba, ehemals Chefredakteur der NNZ (Neue Nitramische Zeitung), ist unser nitramischer Korrespondent in Ventadorn (Ninda).