Das Jahr der Reparatur

Silvestergedanken 2020/2021

2021 (Foto: Vladislav Murashko via Pexels)
2021 (Foto: Vladislav Murashko via Pexels)

Zeiten der Ruhe, so sagt man, bergen großes geistiges Potential. Wenn es sich so verhält, ist davon in der aktuellen Mediengesellschaft nicht viel zu entdecken. Denn dort dreht sich seit 11 Monden nunmehr alles um Corona.

Freilich, das Jahr 2020 wird kollektiv als das „Corona-Jahr“ in die Geschichte eingehen. Medial war das Thema so präsent wie selten eines zuvor, und zwar nicht nur global, sondern auch lokal – womit sich diese „Neuigkeit“ von so manchen News dadurch unterschied, dass sie tatsächlich mit dem eigenen Leben etwas zu tun hatte, was man nur akzeptieren oder leugnen konnte. Ein Ignorieren war jedenfalls nicht mehr möglich und das ist vielleicht das wirklich Neue an der „Corona-Situation“, denn Seuchen gab es in der Menschheitsgeschichte schon viele. Keine zuvor wurde allerdings so sehr medial ausgewalzt.

So stand 2020 auch in meinem Leben unter dem Corona-Vorbehalt und letztlich bin ich glücklich (wie auch in den Vorjahren), dass ich das Jahr überlebt habe und die meisten meiner Anverwandten auch. Neues kam aber nicht hinzu, der nunmehr zehnjährige Abwärtstrend setzte sich weiter fort, nur verlangsamt. Denn wenn man ohnehin schon das Leben eines Hikikomori führt, dann kann einem auch ein Lockdown nichts anhaben. Ich bin es gewohnt, allein zu sein und rauschende Feste gibt es in meinem Leben ohnehin nicht. Daher habe ich nichts vermisst. Selten war es zumindest zeitweise so schön still im Klettgau, als die naheliegende B34 quasi ruhte und der ansonsten allgegenwärtige Lauchringer Fluglärm auch. Und auch der Fernunterricht verkomplizierte mein Leben nicht unbedingt, denn das bisschen Technik mehr stellte für einen langjährigen PC-Nerd keine besondere Herausforderung dar.

Freilich hätte ich das Jahr intensiver nutzen können für Kreatives, hätte ich ein Ziel vor Augen gehabt, wozu die Zeiten allerdings zu nebulös und das Zwischenmenschliche zu inexistent war. Daher nutzte ich das Jahr 2020 hauptsächlich zu Reparaturen – und 2020 wird schließlich auch als das Jahr der Reparaturen in die Geschichte eingehen. Verschwendet war die Zeit also nicht, aber Kaputtes zu reparieren, zumal es nur bei unbelebten Dingen möglich ist, ist auch nicht besonders herausragend. Außerdem ist Reparieren kraftaufwendig und teuer. Und was an größeren offiziellen Kreativprojekten angedacht war, fiel coronabedingt aus. Das produktivste Ereignis dieses Jahres blieb so das Setzen des Grabsteines für meine Mutter.

Nun gut, ehrlich gesagt ist es mir seit Jahren ohnehin nicht erlaubt, wirklich kreativ zu wirken, mein Schaffen ist in der Menschenwelt nicht gern gesehen, zu mächtig ist der Gegenwind und zu gering die Unterstützung. Wo es nicht zu ignorieren ist, wird es äußerst kritisch beäugt. Wenn man nur mit einem Schutzschild kämpfen darf, selbst die Verteidigung sanktioniert wird, dann ist die Aussicht auf Gewinn recht gering. Und ich bin von meiner inneren Verfasstheit ein Reformer und kein Revolutionär, ein gewaltsamer Umsturz ist mir auch nicht möglich – und so war auch 2020 für mich nur wieder ein Jahr der Verluste.

Immerhin, hoffe ich, schließt das Jahr nicht wieder als Kriegböllerei ab, denn, eine späte Genugtuung: Die Qualität der Zeit gab mir insofern Rückenwind, als sie das unterstützt hat, was mir immer schon wichtig war: Einkehr, Besinnung und das Innehalten, was unsere moderne Gesellschaft allzu leichtfertig weggekürzt hat in ihrem Konsumwahn und wofür es nun für alle jene die Quittung gibt, die sich gar nichts anderes vorstellen können.

Es ist nur schade, dass man daraus wohl leider nichts lernen wird und dass man zum „Business as usual“ zurückkehren wird, sobald es möglich ist. Ich hätte mir eine entstresste Gesellschaft sehr gewünscht und Entschleunigung auch in meinem Alltag. Denn alles andere macht letztlich seelenlehr und krank. Doch für ein neues Zeitalter bedürfte es mehr als einer Pandemie. Ein neues Zeitalter beginnt nur dann, wenn sich das Denken der Menschen ändert. Und davon habe ich um mich herum noch nichts bemerkt.

Was wünsche ich mir für 2021? Zur Abwechslung mal einen Engel als Unterstützung statt dämonischer Belagerung durch böse Nachbarn. Das wäre doch nach all den Jahren mal wieder schön, wenn man Schutz und göttlichen Beistand spüren könnte.

Über Martin Dühning 1507 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.