Ein schreckliches Erwachen …

Leseprobe aus der Fantasy-Novelle: Ein Elch für mich - Belions Abenteuerfahrt nachhause

Als Belion Atanavi aus der Narkose erwachte, begann für sie ein einziger Alptraum. Gerade hatte sie noch in Deersborough auf der Veranda des Hauses geschaukelt, das ihr Kara überlassen hatte. Nun war alles anders: Ihr Freund Alke war weg, die süßen Emolas-Drachen, das Haus, die Landschaft – alles!

Der Planet Ninda und seine vier Monde (Grafik: Martin Dühning)
Der Planet Ninda und seine vier Monde (Grafik: Martin Dühning)

Und als sie panisch und verwirrt aus dem Krankenzimmer der Raumstation St. Victor ausbrach, sah sie von den großen Fenstern der Raumstation in die Leere des Weltraums, in der wie eine große, grün-goldene Murmel der Planet Ninda schwebte, umrundet von seinen vier Monden. Sie konnte es nicht fassen, man hatte sie einfach ausgestoßen! „Alke! Jamaa!“, rief sie entsetzt gegen die Raumluke, doch die umstehenden Civinatsbeamten wussten nicht, von was sie sprach. Weinend brach sie auf dem Promenadendeck der Raumstation zusammen. Es wurde nicht besser, als man Belion nach Ventadorn brachte. Der Trubel der Großstadt war für die Emolas-Fee einfach zuviel und als die Civinatsbeamten verwirrt feststellten, dass die kleine Fee überhaupt keinen Einbürgerungsantrag stellen wollte, sondern einfach nur zurück nachhause, brachte man die Emolanerin unverrichteter Dinge zum Legaten des Südens, Christopher Albin.

Belion war inzwischen einmal ohnmächtig geworden, sie hatte sich übergeben müssen, Heulkrämpfe gekriegt, es wurde auch nicht besser beim Legaten und Christopher Albin wusste sich nicht anders zu helfen, als seine Tochter Una aus dem Kultusministerium herzubeordern. In Anwesenheit der kleinen weißen Fee beruhigte sich Belion wenigstens ein bisschen. Aber schlau wurde auch Una nicht aus der Sache – denn die grüne Fee faselte allerlei für sie völlig unverständliches Zeug und bestand darauf, zurück nach Emolas gebracht zu werden. Der Legat und die Kulturministerin erklärten ihr geduldig, dass das nicht gehe, weil kein nitramisches Schiff derzeit nach Deersborough dürfe, aber Belion war nicht abzubringen.

Schließlich entschloss sich Una, es war schon spät, Belion erst mal zu sich nachhause zu nehmen in ihre grunderneuerte Wohnung in Ventadorn Beltaine. Sie hoffte, dass Tifa sie vielleicht wieder zur Vernunft brächte. Tifa war Unas Hausdrache. Doch als sie Unas Emolasdrachen sah, brach Belion nur wieder in einen neuen Heulkrampf aus, denn sie wollte zurück nach Deersborough zu „ihren“ Drachen. In einem unbeaufsichtigten Moment büchste sie aus und Una, selbst todmüde, brachte sich die ganze Nacht mit Suchen um die Ohren, bis sie Belion dann schließlich irgendwann morgens in einem Polizeirevier fand. Die grüne Fee hatte in einer örtlichen Bar randaliert, weil man ihr dort keinen „Baileys“ oder irgendein anderes Likör hatte geben wollen. Belion schimpfte, fluchte und kratzte alles, was ihr in die Quere kam, weil man sich in Nitramien noch nicht einmal besaufen konnte, wenn man todunglücklich war. Sie hasste Nitramien!

Feenwald von Neu-Emolas im Königreich Kournia (Grafik: Martin Dühning)
Feenwald von Neu-Emolas im Königreich Kournia (Grafik: Martin Dühning)

Weil sie mit dieser Einstellung nicht wirklich in Ventadorn oder Süd-Ninda bleiben konnte, brachte sie Una in das freie Königreich Kournia, wo inzwischen einige Exilemolaner lebten, die Voret Andumnognos seinerzeit heimlich nach Ninda gebracht hatte. Sie hatten sich dort, in einem der vielen Wälder, ihr kleines neues Zuhause eingerichtet, das sie stolz „Neu-Emolas“ nannten. Anders als Una es sich erhofft hatte, nahm man Belion dort aber keineswegs herzlich auf. „Nicht Du schon wieder!“, giftete Telia. „Du magst Dich nennen, wie Du willst, Alisa, aber ich erkenne Dich auch so!“ Inzwischen hatte sich Telia, nun zertifizierte Heilpraktikerin, nämlich ausgiebig mit Luisas Krankenakte beschäftigt und dabei festgestellt, dass diese unmöglich ihre kleinere Schwester Alisa sein konnte, weil Luisa nach den nitramischen Medizinakten eindeutig biologisch älter war. Und Telia war sich sicher, dass konnte nicht an ihrer „Krankheit“ liegen. Wie nun aber Emolaner manchmal sind, hatte Telia daraufhin lange nachgegrübelt und für Telia gab es nur eine mögliche Lösung für dieses Rätsel: In Wahrheit musste Belion ihre zwielichtige kleine Schwester Alisa sein. Diese kleine Schwester, die ihr einst ihre Mutter gestohlen hatte!

Belion und Una wussten nicht, wie ihnen geschah, als sie so plötzlich von Telia beschimpft wurden. Beim Weihnachtsessen war doch alles noch so friedlich gewesen. Aber in Wahrheit hatte Telia damals schon vermutet, mit wem sie es in Wirklichkeit zu tun hatte! Sie hatte sich damals noch beherrscht und nachts lange nachgedacht. Sie wurde sich dabei immer sicherer und immer wütender. Inzwischen hatte sich ihr Zorn meterhoch angestaut und nachdem man ihr dieses unverschämte Gör nun auch in ihr neues, sicheres Zuhause aufdrängte, nach allem, was man ihr damals angetan hatte – es war einfach zuviel. Nein! Sie solle verschwinden! Schrie Telia. Sie solle ihr nicht schon wieder alles kaputt machen in ihrem Leben! Sie solle sie doch endlich in Ruhe lassen! Eindringling! Liebesdieb! Schlampe! Belion aber geriet durch diese aus ihrer Sicht völlig ungerechtfertigten Vorwürfe so in Rage, dass beide Grünfeen augenblicklich aufeinander losgingen und sich ganz heftig fetzten. Una, ganz erschrocken und Friedensengel, wollte dazwischengehen, aber da fielen die beiden Grünfeen in ihrer groben, unglücksstrotzenden Wut über sie her und schlugen die kleine weiße Fee krankenhausreif.

Es war ein Glück, dass der örtliche königliche Vogt, Bernd Bee – genannt „das Brot“, weil er etwas kastig um die Hüften war – die ganze Szene mitangesehen hatte. Bernd hatte es schon lange kommen sehen, dass diese ganzen schrecklich bunten und lauten Feen dem kleinen, und davor doch so wunderbar stillen und herrlich facettenlosen Königreich Kournia nicht gut tun würden. Bernd hatte es immer schon gewusst. Bernd hatte König Milony in vielen, langatmigen und sehr vernünftigen Briefen gewarnt. Aber es hatte nichts genutzt. Es kamen nur immer mehr von diesen bunten kleinen Dingern, diese schrecklich lauten, nervigen und grellen Kreaturen! Und sie waren immer so furchtbar emotional! Bernd das Brot schritt sofort zur Tat und rief die Polizei an.

Die chronisch unterbezahlten kournischen Polizeibeamten hatten ihre liebe Not, die drei Feen, oder was noch von ihnen übrig war, auseinanderzubekommen. Die Ursache der Schlägerei war schnell ausgemacht: Es war nach dem eindeutigen Bericht der örtlichen Heilpraktikerin die illegal eingewanderte Zwergfee Alisa „Belion“ Atanavi, eine gemeingefährliche Schwerverbrecherin aus Emolas, die dort schon viel Schaden angerichtet hatte. Die zweite Zeugin, eine bewusstlos geschlagene weiße Zwergfee, konnte man leider nicht mehr befragen und da die Sache dringlich schien, brachte man die Missetäterin auf der Stelle zu König Milony persönlich in seine Residenz in Aprilis auf der Insel Milony Island.

Die Kleinstadt Aprilis auf Milony Island, Residenz von König Milony von Dumont (Grafik: Martin Dühning)
Die Kleinstadt Aprilis auf Milony Island, Residenz von König Milony von Dumont (Grafik: Martin Dühning)

König Milony wollte wie immer mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Sein einziger verbliebener Zahn tat ihm weh, wie immer mittwochs, wenn es draußen regnete, also hängte er gerade kopfüber aus seinem Schlafzimmerfenster und summte laut „Mi-mi-mi“. Der über 400jährige König wusste, dass das die Schmerzen meist etwas linderte, vor allem, wenn er damit noch die Anwohner verwirren und seine Hausärzte ärgern konnte. Dass diese völlig ungelegene und uninteressante fremde Randalier-Fee ihm aber helfen könnte, daran glaubte er nicht. Und überhaupt, was behelligte man ihn bloß mitten in der Woche wieder mit diesem dämlichen Königreich, dass man ihm – übrigens ganz eindeutig gegen seinen eigenen Willen – damals aufgedrängt hatte. „Mi-mi-mi!“ Sollte sich doch dieser unnütze und ansonsten wahrscheinlich untätige Kaiser im fernen Julverne drum kümmern. Ja, man sollte diese lästige Person wegbringen, weit weg, zu dem Kaiser. „Mi-mi-mi!“ Der sei überhaupt sowieso an allem Schuld und wisse es ja sowieso besser. Immerhin sei er der Kaiser. Das hatte ja seinen Grund! Weg-weg-weg!

So brachte man denn die heftig angeschrammte kleine Fee Belion, die sich ihrer Lage inzwischen wieder bewusst geworden war und heftig heulte, auf königliche Anordnung hin im schnellsten Kurierschiff Nindas nach Julverne, wo Kaiser Jitro in der dortigen Reichsprokuratur inzwischen seine provisorische Residenz aufgeschlagen hatte.

Julverne, die Hauptstadt der Neu-Nitramischen Konföderation im Jahre 503 (Grafik: Martin Dühning)
Julverne, die Hauptstadt der Neu-Nitramischen Konföderation im Jahre 503 (Grafik: Martin Dühning)

Nachdem man Belion dort notdürftig verarztet, gereinigt und ein Sedativum gegeben hatte, worauf sie erst mal einige Stunden schlief, brachte man sie zum Kaiser und der sah sich die kleine grüne Fee sehr lange an. Er kannte Belion, sie war im Gefolge Luisas und Karas damals bei seiner Krönung dabei gewesen. Er blickte sie lange nachdenklich an und Belion erzählte ihm ihr ganzes Leid und dass sie wieder zurück nach Emolas wollte, zu ihren Drachen und ihrer heimlichen Liebe, Alke.

„Nun ja…“, setzte Kaiser Jitro an und die kummervollen Ränder unter seinen müden Augen verhießen schon nichts Gutes. „Ich fürchte, das können wir wohl nicht machen. Wenn die Emolaner Dich aus Emolas verbannt haben, warum auch immer, dann werden sie Dich auch nicht wieder bei sich aufnehmen. Die Emolaner sind sehr stolze Wesen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, bleiben sie dabei, auch wenn es sich im Nachhinein als falsch erweist.“

Damit machte Kaiser Jitro die kleine Belion sehr ärgerlich, denn sie mochte es nicht, wenn man so schlecht über ihr eigenes Volk redete, aber sie beschloss, ihren Ärger für diesmal lieber runterzuschlucken, wenn dieser nitramische Typ ihr helfen sollte. Sie würde das später nochmal klarstellen. Und Belion redete erneut auf Kaiser Jitro ein, dass man sie unbedingt zurück nachhause bringen müsse.

Aber Jitro ließ sich dadurch nicht beirren. Der Kaiser blieb dabei – es war zu gefährlich. Er hatte in den vergangenen Wochen lange und hart verhandelt über die Beziehungen mit Emolas, doch der neue hohe Olvenias, ein gewisser Isolar U. Pator, hatte alle Diplomaten düpiert, sämtliche Vorschläge schroff zurückgewiesen und die Verhandlungen über jedwede Bündnisse beenden lassen, sodass Kaiser Jitro, um die Würde der Nitramier zu wahren, seinerseits verfügt hatte, seinen Botschafter abzuziehen. Jitro war sich ziemlich sicher, dass Pator dafür sorgen würde, dass in Deersborough keine Erinnerungen an das alte Bündnis erhalten blieb, zumindest nichts, was eine Zukunft hätte, und die kleine grüne Zwergfee ähnelte ihrer Verwandten Luisa, der großen Bündnisschmiederin, einfach zu sehr. Ihre Gegenwart musste Pator ein Dorn im Auge sein. Sie hatte vielleicht noch Glück gehabt, dass sie nicht verschleppt oder dem Schattenläufer zum Fraß vorgeworfen worden war. Gleichwohl hatte der Kaiser Mitleid mit der grünen Emolasfee, die ziemlich offensichtlich eine ziemlich große Portion Trauer, Heimweh und Liebeskummer in ihrem Herzen trug, wusste allerdings auch nicht, was er da nun wirklich tun sollte.

Schließlich entschied er sich, der kleinen Belion nicht auch noch ihre letzte Hoffnung zu nehmen und machte ihr einen beschwichtigenden Vorschlag: Es gebe wohl doch noch eine letzte Hoffnung, jemanden, der allerdings recht eigensinnig sei. Wenn man Voret Andumnognos finden könnte, vielleicht hätte er über seine einflussreichen Verwandten eine Möglichkeit, Belions Seelenwünsche zu erfüllen. Nur, wisse niemand, wo er gerade abgeblieben sei. Seine letzte Spur habe sich verloren, als er eigenmächtig auf eine Reise durch die Randwelten der nitramischen Epikratie aufgebrochen war…

Mit Tränen in den Augen blickte Belion den Kaiser an. Könnte „Onkel“ Voret ihr wenigstens helfen? […]

Leseprobe aus der Fantasy-Novelle: Ein Elch für mich – Belions Abenteuerfahrt nachhause

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.