Keine guten Nachrichten rund um die Uhr…

"Stories matter" (Foto: Suzy Hazelwood via Pexels)
"Stories matter" (Foto: Suzy Hazelwood via Pexels)

„Only bad news are good news“ lautet eine Medienweisheit – welche die deutschen Leitmedien eifrig bedienen. Selbst frohe Kunde wird so formuliert, dass sie wie Schreckensmeldungen klingt. Es gibt aber positive Ausnahmen.

Das Phänomen, dass Zeitmedien Nachrichten dramatisieren und tendenziell ein allgemeines Dysangelium zelebrieren, ist nicht ganz neu. Schon in Goethes Faust wird gewarnt „was das Allerschlimmste bleibt, gar mancher kommt vom Lesen der Journale“ – was nicht als Kompliment gedacht ist, weder für die Journale, noch deren Leser. Der Dichter Goethe hielt im Allgemeinen auch nicht sehr viel von Pressemedien, die seiner Meinung nach nur als Aufreger dienen, nicht als Aufklärer. Dabei wollen gerade moderne Medien oft Aufklärer sein. Von letzteren, den real-existierenden Aufklärern des 18. Jahrhunderts, haben sie oft auch ihren dogmatischen Duktus übernommen und den Glauben, das tumbe deutsche Volk mit einfachen Botschaften belehren zu müssen. Das war schon vor zweihundert Jahren nicht von Erfolg gekrönt, weil es die Leserschaft von oben herab behandelt und intellektuell nicht ernst nimmt. Im Zweifelsfall taugt das dann nur für Stammtischgespräche.

Was man von Presse im 21. Jahrhundert eigentlich erwarten darf, ist eine nüchterne und objektive, eine unaufgeregte Berichterstattung, welche die Informationsgrundlage für politische Partizipation bildet, statt Propaganda zu betreiben oder niedere Gefühlsebenen zu bedienen.

Differenzierte, objektive Fakten findet man im deutschen Internet allerdings eher selten, dort scheint man sich eher daran zu orientieren, was hohe Klickraten erzeugt – und das sind gefühlsbetonte, dramatisierte Botschaften. Das ist inzwischen keine Plattitüde von fragwürdigen Clickbait-Seiten, Boulevardzeitschriften oder Privatfernsehsendern mehr, auch öffentlich-rechtliche Medienanstalten präferieren inzwischen diesen Modus: Selten findet man dort eine Schlagzeile, die nicht ins Apokalyptische abdriftet, ein paar Beispiele von tagesschau.de vom 14. August 2023:

  • „Keine guten Nachrichten um 3:36 Uhr“

Dieser Artikel wurde wohl von der Nachschicht der Redaktion verfasst: Es geht darin eigentlich um eine Flugverzögerung von Außenministerin Baerbock – verborgen hinter einer kryptischen, reißerischen Überschrift, die zum Anklicken annimiert, da verrätselt. Das ist Clickbaiting in Reinstform!

  • „Steht der Golfstrom vor dem Kollaps?“

Sehr bezeichnend: die völlig übertriebene Überschrift, die im Artikel selbst dann sofort wieder zurückgenommen wird: „Um es vorwegzunehmen: Der Golfstrom selbst droht gar nicht zusammenzubrechen…“ Auch das ist Clickbaiting.

Warum das überhaupt als Topmeldung eingereiht ist, erscheint fraglich, zumal andere Medien die zugrundeliegenden Studien, die zu einem wesentlich differenzierteren Urteil kommen, schon vor eine Woche behandelt haben.

  • „Messengerdienst mit zweifelhaftem Ruf“

Ein Artikel zum zehnjährigen Jubiläum von Telegram, der eigentlich auch dessen gute Seiten betont. Die Überschrift verrät davon nichts…

  • „Flüchtlingspolitik ohne Plan?“

Ein Artikel, der eigentlich eher ein kritischer Kommentar als ein Bericht ist, nur ist dieser nicht als solcher gekennzeichnet. Immerhin passt hier die Überschrift mal zum Inhalt des Artikels.

  • „Die absehbare Katastrophe von Genua“

Fatalistischer Jubiläumsartikel zum fünfjährigen Jahrestag des Brückeneinsturzes von Genua, nicht wirklich aktuell, auch wenn er so daherkommt. (Womöglich hatte die tagesschau.de-Redaktion am 14. August nicht genug aktuelle schlechte Nachrichten, sodass sie welche aus dem Archiv nehmen musste.)

Nun ja, gibt es viele schlechte Nachrichten auf dieser Welt, das ist leider wahr. Aber es gäbe ja eigentlich auch Gutes. Davon findet man auf tagesschau.de aber selten etwas, es sei denn, man versteht darunter die Kriegsberichterstattung zur Ukraine. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass dort (wie auch sonst oft in der deutschen Presse) selbst gute Nachrichten oft so formuliert sind, dass man sie nicht als positiv erkennt. Gut wäre beispielsweise, dass sich die finanzielle Situation vieler deutschen aufgrund der nachlassenden Inflation verbessert, dass klingt als Überschrift dann aber so: „Preisdruck in Deutschland geht zurück“ – hier wird man dann ausgesprochen neutral, gute Gefühle zu äußern, käme wohl nicht so gut an.

Dass es auch besser geht, kann man nachlesen, wenn man beispielsweise in die Schweizer Presselandschaft blickt. Die NZZ (Neue Zürcher Zeitung) zählt dabei sicher nicht zu den Medien, welche die Welt nur durch eine rosa Brille betrachten. Dennoch wirkt selbst deren Kritik journalistisch wesentlich ausgewogener formuliert. Statt die Überschriften zu dramatisieren, greift die NZZ häufiger mal auf Zitate zurück, die eine Stimmung übermitteln, beispielsweise:

  • „Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren“: Der deutsche Finanzminister besucht überraschend Kiew

  • „Nach dem Alter zu fragen, ist diskrimierend“, sagt die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello

  • „Politiker wird nur, wer ohnehin etwas eitel ist“: Die Fotografin Herlinde Koelbl über die explodierenden Kosten für Styling und Fotos in der deutschen Politik

Wo liegt der Unterschied? Die Meinung wird hier als subjektiv gekennzeichnet, bleibt aber authentisch dadurch, dass sie einer Person zugeordnet wird! Das wirkt für den Leser durchaus interessant und ist deutlich professioneller. Kommentare sind stets als solche gekennzeichnet. Auch wagt es die NZZ, in ihren Überschriften verschiedene Möglichkeiten einander gegenüberzustellen oder gar positive Prognosen anzureißen:

  • Die Lehre vom 38. Breitengrad: Ein Waffenstillstand wie in Korea könnte eine realistische Option für die Beendigung des Ukraine-Krieges sein

Die Welt mag schlecht sein, aber die NZZ begnügt sich nicht damit, sie bietet auch Verbesserungsoptionen an, über die der Leser dann selbst entscheiden darf. Das wird eigentlich dem Anspruch von Aufklärung gerechter als die Verbreitung reiner Hiobsbotschaften, wie man sie sonst oft findet. Nimmt man hinzu, dass die NZZ auch nicht davor zurückschreckt, Gastkommentare zu veröffentlichen, die vom politischen Mainstream in Deutschland abweichen, dann wird klar, warum die Neue Zürcher Zeitung inzwischen selbst bei deutschen Lesern so beliebt ist, dass sie inzwischen eine auf deutsche Leserschaft optimierte Auswahl an Artikeln präsentiert, wenn man sie von einer deutschen IP-Adresse aus besucht.

Erfreulich ist, dass dieser Erfolg die deutschen Leitmedien teils so neidisch macht, dass sie den Stil der NZZ teilweise imitieren. Wenn das mal nicht eine positive Nachricht ist!

Über Martin Dühning 1507 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.